Jeder Auftritt ist ein Kicktun & lassen

Augustinverkäufer Ernstl

Mein neuer Verkaufsplatz ist bei der Kettenbrückengasse beim hinteren Ausgang der U4-Station. Von 29. Juni bis 1. September ist die U4 wegen Renovierungsarbeiten vom Karlsplatz bis Längenfeldgasse gesperrt. Ich weiß nicht, was ich machen soll in den nächsten zwei Monaten. Da hab ich endlich ein gscheites Platzerl gefunden, und jetzt machen sie es mir für zwei Monate dicht.
Ich bin aus Oberösterreich gebürtig, aus Steyr. 1986 bin ich von Steyr weg und zum Bundesheer, wo ich nach dem Präsenzdienst noch geblieben bin. Ich hab mir gedacht: Verlängerst um ein Jahr, kein Problem. Aber das war um ein Jahr zu viel. Es war eine gemütliche Hackn, aber man ist gerade einmal mit 10.000 Schilling im Monat damals ausgestiegen. Das war für ’86 oder ’87 nicht viel. Und du hast dir noch die Verpflegung selber peckn müssen. Damals hat das mit dem Saufen angefangen. Das hab ich zum Glück hinter mir oder so gut wie. Ich kann die Biere, die ich in einer Woche trinke, an einer Hand abzählen.
Knapp 8 Jahre war ich beim Zirkus. Das war ein Zufallsprodukt. Ich hab in Wien einen kleinen Zirkus gesehen, an der Kassa ein riesengroßes Schild: Mitarbeiter gesucht. Na ja, und da bin ich halt zuwekraxelt, weil ich zu dem Zeitpunkt keine Hackn hatte. Irgendwann bin ich bei einem ganz großen Zirkus gelandet und um die Welt gefahren damit. ’96 habe ich aufgehört. Es ist körperlich nichts mehr gegangen. Ich war so kaputt, dass ich nicht einmal mehr eine Gabel halten konnte. Da bin ich nach Wien zurück. Ich war obdachlos drei, vier Jahre lang. Geschlafen habe ich vor allem auf der Donauinsel unter einer Brücke. Und ’99 habe ich beim AUGUSTIN angefangen. Anno dazumal, da hat man immer seine 30, 40 Zeitungen verkauft. Damals hat der AUGUSTIN höhere Auflagen gehabt. Im Monat 60.000, 70.000. Ich tät mir wieder solche Zeiten wünschen.
2001 war ein Porträt von mir im AUGUSTIN mit Bild auf der Titelseite mit meiner Anna noch (AUGUSTIN Nr. 79, Anm. Red.). Das war ein Jahr, bevor sie gestorben ist. So einen Hund wie die Anna tät ich gern wiederhaben. Sie war ein ausgemusterter Polizeihund aus Italien, weil sie den Carabinieri zu scharf war. Das war der friedlichste und bravste Hund, den es gegeben hat. Solange sie keine Carabinieri gesehen hat.
Seit 2000 bin ich beim Stimmgewitter. Erstens einmal taugt mir das, zweitens macht es Spaß, wenn man Musik machen kann, wenn man was Neues einstudiert, wenn man wie zum Beispiel im August Aufnahme hat in der Cselley Mühle für unser nächstes Album Liebe und Hass. Und jeder Auftritt ist ein Kick, dass man weitermacht. Am 5. Juni ist die Uraufführung der Oper Margarete* auf dem Siebenbrunnenplatz, da sind wir als Stimmgewitter dabei.

* weitere Aufführungen am 6. und 12. 6., siehe auch AUGUSTIN 483 und unter wirsindwien.com
Protokoll: Jenny Legenstein
Foto: Mario Lang