«Jeder Text ist ein Körper»Artistin

Laura Freudenthaler im Café am Heumarkt (Foto: © Jana Madzigon)

Die Autorin Laura Freudenthaler schafft in ihrem neuen Werk «Arson» einen poetischen Schwebezustand am Abgrund des Weltenbrands. Weit abseits vom Genre apokalyptischer Climate Fiction entfaltet sie darin das, was sie den «Erfahrungsraum des Schreibens» nennt.

Laura Freudenthaler beantwortet fast alle Fragen im Gespräch zunächst mit einem Schweigen. Dieses Schweigen gehört als Auftakt gewissermaßen schon zur Antwort. Auf ein kurzes Einatmen folgen Sätze, denen das Ringen um Präzision anzumerken ist. In ihren Selbstauskünften setzt Freudenthaler die konzentrierte Poetik ihres Schreibens fort. Die Texte der 1984 in Salzburg geborenen Autorin sind durchdrungen von einer Genauigkeit, die im Stimmenchor der aktuellen Literaturproduktion ihresgleichen sucht.
Es ist kein Zufall, dass ihr im August erschienenes jüngstes Werk Arson auf die handelsübliche Genre-Bezeichnung «Roman» verzichtet. Der Text bietet keine linear nacherzählbare Geschichte auf, sondern entfaltet sich in meist kaum mehr als eine Seite langen Miniaturen. Die kurzen Stücke werden zum Protokoll aus Wahrnehmungen, Traumberichten, Reflexionen von Begegnungen, das sich allmählich zu einer Reise an die Abgründe der Gegenwart verdichtet. Arson – der Titel des Werks gibt das Motto vor: Der englische Begriff für «Brandstiftung» verweist auf die selbsterzeugte Apokalypse, die sich in den immer häufigeren Waldbränden äußert, deren erweiterte Ursache in der Erderhitzung zu finden ist. Das ursprünglich zivilisationsstiftende Feuer schickt sich an, den Planeten zu vernichten.

Krisensymptome

Einer der Protagonisten ist ein meteorologischer Experte für Wildfeuer, dem der berufliche Auftrag sukzessive zu einer persönlichen Mission gerät. Wobei sich in der Konzeption des Buches bereits Fragezeichen einstellen: Gibt es den Meteorologen wirklich? Oder handelt es sich bei ihm um eine literarische Fiktion jener Journalistin, deren Stimme als am deutlichsten erkennbare Erzählinstanz des Textes fungiert? «Wenn man von Figuren spricht, inkludiert das immer, dass an ihnen etwas vorgeführt wird oder dass sie eine gewisse Aufgabe haben», sagt Laura Freudenthaler. «In meinem Schreiben befinde ich mich eher in einem Erfahrungsraum. Und das ist dann wohl der Erfahrungsraum und der Wahrnehmungsraum dieser Figuren.» In Arson entfaltet sich der Erfahrungsraum als Geflecht aus seelisch-körperlicher und ökologischer Krise. Der im Text auftretende Meteorologe laboriert an Schlafmangel, die Journalistin an einer aufgeplatzten Lippe, deren Wunde sich trotz kontinuierlicher Behandlung nicht mehr schließt. Die an und in den Körpern aufklaffenden Symptome setzen sich fort in den zunehmenden Verheerungen des Weltkörpers, die in nüchternen Bildern beschrieben werden.

Zweisamkeit

Die eigenwillige Form des Textes hat sich für Freudenthaler aus einer grundsätzlichen Entwicklung im Schreiben entwickelt. «Ich bemühe mich nicht mehr um das Erzeugen einer geschlossenen Erzählfiktion, sondern erzähle immer mit, dass das ein gemachter literarischer Text ist. Es ist immer auch die Schreibgeschichte eingewoben.» Wo andere zum Mittel der bedeutungsvollen Ausschilderung vermeintlicher Zusammenhänge greifen würden, setzt Freudenthaler auf eine Sprache, die jegliches Hecheln nach Effekten hinter sich gelassen hat. Damit schließt Arson an die bislang von der Autorin publizierten Prosabände Der Schädel von Madeleine (2014), Die Königin schweigt (2017) und Geistergeschichte (2019) an. Ebenso virtuos wie unaufgeregt ertastet Freudenthaler in diesen Werken Erfahrungsräume, die von der Spannung zwischen den Geschlechtern ebenso erzählen wie von biografischen Entwicklungen, die die Protagonist:innen als Randfiguren ihrer eigenen Existenz erscheinen lassen. Über Wahrnehmungen und Beobachtungen entstehen Lebenszusammenhänge, die sich jener «Vereindeutigung» konsequent entziehen, die Freudenthaler im Umgang mit literarischen Texten zunehmend wahrnimmt. «Der eindeutige Plot ist das Gegenteil von Körperlichkeit. Für mich ist es so beim Schreiben: Jeder Text ist ein Körper. Seit einiger Zeit scheint überhaupt kein Raum mehr zu sein für literarische Formen, die kein Roman sind. Je größer die Diskrepanz ist zu der Wirklichkeit, der wir uns gegenübersehen, desto heftiger wird diese Eindeutigkeit und Nacherzählbarkeit eingefordert.»
Freudenthalers profundes Nachdenken über Texte hat frühkindliche Wurzeln: Die Bibliothek im Schlafzimmer der Eltern stellte einen magischen Anziehungspunkt dar. «Die Buchrücken und -titel waren so rätselhaft. Einer, der mir im Gedächtnis geblieben ist, weil ich das nicht zuordnen konnte, war ‹Christa Wolf Kassandra›. Ich hab’ das als einen langen Namen gelesen, es ist zu einem Begriff geworden für mich. Ich hab’ das immer wieder gelesen und mir vorgestellt, das müssen drei Figuren sein.» Geschichten geschrieben habe sie, seit sie das Schreiben einigermaßen beherrschte, so Freudenthaler. Dieses Schreiben für sich habe aber weniger mit Einsamkeit zu tun, als allgemein angenommen würde. «Es ist eigentlich eine Zweisamkeit mit dem Text, die man hat. Das halte ich in Bezug auf mein jetziges Schreiben für das Wichtigste, diese sehr lange Phase der Zweisamkeit, die nicht perforiert wird durch einen Blick von außen oder ein Teilen.»

Sprachwechsel

In ihrer eigenen Schreibentwicklung spielte neben dem Verfassen von Geschichten vor allem das kontinuierliche Tagebuchschreiben eine wichtige Rolle. Die Bedeutung dieses schriftlichen Dialogs mit sich selbst macht Freudenthaler an jener Diskrepanz fest, die bestimmend für die Phase des Heranwachsens sei: der Wirkung nach außen und dem, womit man sich innerlich auseinandersetzt – Zusammenhänge also, «für die man noch keine Sprache hat und die man nicht teilen kann oder nicht teilen will. In diesem Alter stimmt ja das alles nicht zusammen. Dafür braucht es den Raum, den das Schreiben bieten kann.» Ohne dass sie von sich ein konkretes Bild als Autorin entwickelt hätte, wird das Schreiben mit der Zeit zur «Lebensform», wie Freudenthaler es nennt. In der Offenheit des Schreibprozesses, der noch nicht auf eine bestimmte Form oder gar ein zu erreichendes Ergebnis festgelegt ist, fließen Tagebuchnotizen, Überlegungen und Erzählungen ineinander. «Eine Zeit lang habe ich das strikt getrennt und verschiedene Notizhefte verwendet», erzählt Freudenthaler. «Nach der Arbeit an meinem Werk Geistergeschichte bin ich von dieser strikten Trennung abgekommen. Ich habe gemerkt, dass das nicht mehr stimmt, und von da an hatte ich nur noch ein Notizbuch, in das alles reinkommt. Arson ist das erste Buchergebnis dieser Umstellung.»
Die auch in Arson präsenten Themen des Sich-Fremd-Werdens auf der einen und der Möglichkeit von Verständigung auf der anderen Seite rühren unter anderem von Freudenthalers intensiver Begegnung mit der französischen Kultur und Sprache her. Bei ihren Aufenthalten in Frankreich erlebte sie, was es bedeutet, wenn das Leben in einer anderen Sprache stattfindet. «Ich kann nichts anderes als Sprache, auf diesen Satz bin ich für mich einmal gekommen, und deswegen war diese Erfahrung sehr tiefgreifend», sagt Freudenthaler. Für sie fühlte es sich so an, als wäre eine Art von zweiter Identität dazugekommen. Der Sprachwechsel verändere auch die Persönlichkeit: «Das beginnt bei der Stimmlage, und wenn jemand die Stimme verändert, dann wird er zu einer anderen Person. Sprache hat viel mit Intimität zu tun. Das merkt man, wenn da etwas ist, das man nicht teilen kann, weil dem einen oder der anderen die Muttersprache nicht zugänglich ist.» In diesem Sinn sind alle Werke von Laura Freudenthaler «in einer Art Fremdsprache geschrieben», wie der große französische Schriftsteller Marcel Proust einmal formulierte.

Laura Freudenthaler: Arson
Jung und Jung 2023
256 Seiten, 24 Euro

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