Der Sandleitenhof in Ottakring hat eine neue Buchhandlung. In der bibliobox wird genau darauf geschaut, welche Literatur in die Regale kommt.
Das Gassenlokal in der Rosa-Luxemburg-Gasse 1–9 im 16. Gemeindebezirk ist unscheinbar. Doch nach dem Eintreten wird der Charme des Bücher-Showrooms sofort erkennbar: geschmackvolles Innendesign, dezente Regale und Verkaufstische, Sitzbühne, Kissen und Teppiche, ein freies WLAN laden zusätzlich zum Schmökern und Verweilen ein. Unsere Gesprächspartnerin ist die Buchhändlerin und Bloggerin Arwa Elabd.
Schmerzlose Lektüre
Besucher:innen im Buchlokal bibliobox werden folgende Dinge garantiert: Sie können sicher sein, auf viele interessante und lesenswerte Bücher zu stoßen und nette Menschen zu treffen. Auf Wunsch gibt es eine persönliche Beratung und entsprechende Buchempfehlungen. «Es gibt so viele grausame und schlechte Bücher, die Stereotype reproduzieren, Bücher die problematisch sind – sich aber gut verkaufen. Ich habe mich entschieden, das nicht zu tun!» Vor allem Autor:innen außerhalb des europäischen Raumes haben das Interesse von Arwa Elabd geweckt. Daher finden sich bei ihr viele englischsprachige Bücher oder Erstübersetzungen aus Ländern wie Nigeria, Malaysia oder Brasilien, die sie im Austausch mit internationalen Blogger:innen als Literaturempfehlungen erhalten hat. «Ich habe auch viele Bücher aus dem US-amerikanischen Raum. Die sind in Fragen von Diversität schon viel weiter.»
Das Erfolgskonzept der Marke bibliobox selbst ist smart. Das Sortiment besticht durch Diversität und Qualität, für die sich die Buchhändlerin selbst verbürgt. «Jedes der Bücher ist handgepflückt», und damit meint Arwa Elabd, dass sie jedes Buch selbst gelesen und ausgesucht hat. «Was hier verkauft wird, ist Expertise. Die Leute wissen, das ist ein Safe Space, und dass sie Geschichten finden, bei denen sich niemand wehtun wird.» Der Buchhändlerin ist es wichtig, dass die von ihr geförderten Autor:innen über ihre Erfahrungen aus superdiverser Perspektive berichten, und dadurch unterschiedliche Lebensweisen sichtbar werden.
Vom Klassenzimmer ins Buchgeschäft
Die Liebe zum Lesen und zu Büchern glaubt man Arwa Elabd auf Anhieb. Aber wie startet die Erfolgsstory bibliobox? Zuvor hat die ausgebildete Lehrkraft zunächst Deutsch und Spanisch an Schulen unterrichtet. Konfrontiert mit durchschnittlich vierzehn Schüler:innen pro Klasse, die eine andere Erstsprache als Deutsch sprechen. Doch die Literatur, die in der Schule gelehrt wird, behandelt nach wie vor Texte wie Goethes Faust oder das Nibelungenlied. «Ich habe selbst diese Texte gelesen und finde sie wichtig, aber sie sind weit von den Lebensrealitäten der Schüler:innen entfernt.» Es verwundert daher nicht, dass für Kinder und Jugendliche Lesen wenig attraktiv ist. Dass Bücher auch was anderes vermitteln können, beweist die New-Adult-Trilogie von Mehwish Sohail, deren Band Like water in your hands ebenfalls in der bibliobox zu finden ist. «Es geht um Geschichten, mit denen die Schüler:innen auch tatsächlich etwas anfangen können, weil sie den eigenen Erfahrungen und Lebenswelten entsprechen.» Etwas, was die Schwarze US-amerikanische Professorin Rudine Sims Bishop bereits 1990 umriss: das Verständnis von Büchern als Fenster, die Zugänge zu den Erfahrungen anderer ermöglichen, und als Spiegel, der positiv auf Vor- und Selbstbilder einwirkt.
Buchboxen, TikTok und Co.
Wie so oft begann auch diese Business-Idee in den eigenen vier Wänden. 2017 teilte Arwa Elabd Impressionen von Büchern auf Instagram, Facebook und TikTok. Schnell wird ihr klar, dass sie mehr will. «Ich wollte Bücher mit der Community teilen, zum Lesen einladen, wusste aber nicht wie.» Also beginnt sie mit Buchboxen, einem Konzept aus dem angloamerikanischen Raum, wo Bücher mit inhaltlich passenden Goodies wie Schokolade, Lesezeichen oder Kaffee verschickt werden. Um ein Unternehmen zu gründen, brauchte es jedoch eine smarte Strategie und intelligentes Marketing. Es folgen: intensives Social-Media-Marketing, Pop-ups, gemeinsam mit Künstler:innen, Büchertische und Bücherflohmärkte, kleinere Community-Events wie Read & Chill oder Blind Date with a Book, was den Bekanntheitsgrad der Marke bibliobox intensiviert. Da die Nachfrage stetig stieg, beschloss Arwa Elabd den nächsten Schritt und eröffnet nach zweijähriger Suche den Shop im Gemeindebau Sandleiten und stellt eine Mitarbeiterin ein. Dass es dieser Ort wurde, liegt aber nicht nur an dem tollen Sonnenlicht, das die Verkaufsfläche überflutet – «Ich wollte große Fenster, zwei getrennte Räume» –, sondern ist auch den horrenden Mietpreisen geschuldet. «Alle anderen Lokale waren nicht leistbar. An einer Hauptstraße zahlst du locker 3.500 Euro, das kannst du dir als Jungunternehmerin nicht leisten. Ich und meine Mitarbeiterin haben dann gesagt, passt – wir machen es hier und schauen mal …»
Unternehmensgründung (nicht) leicht gemacht
Die Unternehmensgründung gestaltete sich aufwendig, die Bürokratie dahinter war intransparent und veraltetet, nicht fähig, auf die Anforderungen der heutigen Zeit zu reagieren. Bei arbeits- und steuerrechtlichen Fragen erhielt sie von Expert:innen der Wirtschaftsagentur und den Magistraten der Stadt Wien oft unterschiedliche Antworten. Generell dominiere in der Vergabe von Förderungen, Know-how und Wissenstransfer nach wie vor der österreichspezifische Nepotismus, die Zugänge sind ungenügend. Menschen mit Migrationsbiographie werde es sehr schwer gemacht und sie werden nicht ernst genommen. «Ich hätte mir ein starkes Netzwerk und realistischere oder zugängliche Förderungen gewünscht, wo man nicht gefühlte 60.000 Anträge und Schritte erledigen muss. Der Prozess, einen Antrag einzureichen, ist ein sehr privilegierter, es dauert wochenlang, bis man Antwort erhält.» Auch die verschiedenen Talks zur Unternehmensgründung, die sie besuchte, fand sie kurios. «Dort bekommst du zu hören, dass man alles schaffen kann, wenn man es nur richtig will.» Dass als Beispiel Tech-Giganten wie die Unternehmen von Musk oder Bezos genannt werden, widerspricht einfach der Lebensrealität vieler junger Gründer:innen. «Was ich gelernt habe, ist: Auch wenn du abseits bist – wenn das Publikum vom Konzept überzeugt ist, nimmt es den weiten Weg auf sich und kommt zu dir.» Manche Kund:innen kommen sogar mit Screenshot von den Online-Buchbesprechungen. Wenn sie das sieht, weiß sie, dass sich ihre Social-Media-Marketing-Strategie wirklich auszahlt.
Kund:innenschaft und Community
Arwa Elabd hat Pläne, ihr werden die Ideen noch lange nicht ausgehen. Das wichtigste ist jedoch der persönliche Bezug und Austausch mit der Leser:innenschaft. Viele Personen in ihrem Zielpublikum können sich die Bücher aber kaum leisten. «Denen sind 16 Euro für ein Buch einfach zu viel. Die fotografieren sich die Bücher ab und leihen sie sich in der Bücherei aus.» Während es vielen jungen ambitionierten Leser:innen am notwendigen Geld mangelt, gibt es andere, die groß einkaufen, da sie Arwa Elabds Konzept und Geschäft super finden. Daher nimmt Elabd eine Unterscheidung zwischen Kauf- und Zielpublikum vor. Die Basis ihres Engagements bildet das Engagement für die Community. Dazu gehört auch die Reihe mocktails and art, ein Workshop-Format, das darauf abzielt, mit Künstler:innen zu arbeiten und von ihnen zu lernen. In der ersten Episode wird die Illustratorin Esma Bošnjaković, alias Strudelworte, in die Welt des Comiczeichnens einführen. Auf die Frage nach beruflichen Aspirationen gibt Arwa Elabd ohne zu zögern an: «Langsames, vorsichtiges Wachsen, Ambitionen sind jedenfalls da. Vielleicht wachsen wir, und das hier war einmal unser erstes Buchlokal. Weitere Buchlokale sollen folgen.»
www.bibliobox.at
16., Rosa-Luxemburg-Gasse 1–9