Jemand hat die Absicht, eine Piste zu bauentun & lassen

2030 soll die dritte Piste am Flughafen Schwechat fertig sein. Weder das Chaos, in das Corona die Luftfahrt gestürzt hat, noch das allgemein zugängliche Wissen über Klimafolgen scheinen das Großprojekt ins Wanken zu bringen.

Text: Christian Bunke
Foto: Michael Bigus

95,4 % weniger Passagier_innen als im Vorjahr hatte der Wiener Flughafen diesen Juni. Zwar heben wieder deutlich mehr Flieger von Schwechat aus ab als noch vor einigen Wochen, Corona macht dem Flughafen jedoch weiter zu schaffen, staatliche «Rettungsgelder» für die AUA hin oder her. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 fertigte der Wiener Flughafen laut eigenen Angaben 31.662.183 Passagier_innen ab, 7.189.864 davon über den Transfer. Ob und wann die Luftfahrtbranche wieder die Um­sätze vergangener Jahre erreicht, steht derzeit in den Sternen.

Acht Ringstraßen.

Warum soll man sich also gerade jetzt mit der geplanten dritten Piste am Wiener Flughafen befassen? Gerade jetzt, wo die Branche tief in der Krise steckt, eine Eröffnung der neuen Start- und Landebahn erst für 2030 anvisiert wird und selbst Vorstandsdirektor Günther Ofner in Fernsehsendungen die Notwendigkeit der dritten Piste zwar verteidigt, aber keine genaue Antwort geben möchte, ob ein konkreter Baustart bereits geplant wird oder nicht.
Beginnen wir mit der Jahreszahl 2030, dem Jahr, in dem der Flughafen frühestens mit der Inbetriebnahme rechnet. Das ist in zehn Jahren, da wird noch viel Wasser die Donau hinabfließen. Bis dahin, möchte man meinen, gibt es nichts zu sehen. Irgendwann Ende 2029 wird ein wenig Teer in die niederösterreichische Landschaft gekippt, und schwupps, können die Flieger starten.
Denkste. Die dritte Piste ist ein riesiges Großbauprojekt. Mira Kapfinger von der Klimagerechtigkeitsgruppe «System Change, not Climate Change!» spricht von einem «Monsterprojekt», und die Dimensionen sind tatsächlich gigantisch. Es geht um eine 3.680 Meter lange Start- und Landebahn mit einer Breite von 60 Metern. Hinzu kommen zahlreiche Versorgungsgebäude für Infrastruktur und dergleichen. «Die dritte Piste würde wertvollstes Ackerland vernichten, das wir für eine regionale Lebensmittelversorgung dringend brauchen», sagt Kapfinger: «650 Hektar Land würden verbraucht, 200 Hektar komplett versiegelt. Das ist achtmal so viel wie die Wiener Ringstraße.»

Fünfzig Millionen Kubikmeter Erde.

Am 18. März 2019 ging das letzte Revisionsverfahren in der Sache am Verwaltungsgerichtshof zu Ende. Seitdem hat der Flughafen seine Baugenehmigung. Sie sieht drei Baustufen vor: Die erste muss bis zum 31. Dezember 2023 vollendet werden. Das Ende der zweiten Ausbaustufe ist für den 31. Dezember 2024 bestimmt. Und die «Bauvollendungsfrist», wie es im Jurist_innendeutsch so schön heißt, ist auf den 31. Dezember 2029 festgelegt. Damit 2030 die Flieger starten und Österreichs Klimaziele absaufen können.
Auf der Homepage des Flughafens heißt es dazu: «Die erste Ausbaustufe ist auch die umfangreichste. Als Voraussetzung für die Errichtung der Piste sind Geländeanpassungsmaßnahmen vorgesehen und die B10 wird verlegt. Das Pisten- und Rollwegsystem (…) soll errichtet (…) werden. (…) Alle im Betriebsbereich der 3. Piste geplanten Gebäude werden ebenso in der Ausbaustufe 1 errichtet wie die Flug­sicherungseinrichtungen (…). Interne Straßenverbindungen, Infrastrukturtrassen und ein öffentlicher Weg zum Bereich Katharinenhof von der B10 aus gehören auch zu dieser Ausbaustufe.»
Martin Tögel von der Liesinger Bürgerinitiative gegen Fluglärm und die dritte Piste spricht bei der ersten Ausbaustufe von der «größten Erdbewegung Österreichs». Es gehe um «49,5 Millionen m³ Erde, die Einebnung eines ganzen Hügels» und eben die oben erwähnten Infrastrukturmaßnahmen nebst Straßenverlegung. «Falls man an dem immer unsinniger erscheinenden Projekt weiter festhält, wäre also damit zu rechnen, dass bis 2021 damit begonnen werden müsste», so Tögel.
Und plötzlich liegt das 2030, das Jahr der Inbetriebnahme der dritten Piste, ganz nah, nämlich eigentlich im Jahr 2021. Dass sind rund sechs Monate. In Österreich und vielen anderen Staaten wurden der Luftfahrt Milliarden an Steuergeldern zugeschossen. Da ist durchaus denkbar, dass kommendes Jahr Bagger rollen können.

Eintausend Nachtzüge.

Apropos Steuergelder. Die Luftfahrt nimmt diese dankend an (immer mit Verweis auf die vielen, vielen Arbeitsplätze), zahlen will man aber nicht. Zwar sind 40 % des Wiener Flughafens in öffentlicher Hand. 39,8 % gehören jedoch der Airport Group Europe S.à.r.l. Die letzten vier Buchstaben sind ein französisches Kürzel für in Luxemburg ansässige haftungsbeschränkte Gesellschaften. Und genau in dieser Steueroase hat sich mit der Airport Group ein großer Anteilseigner des Wiener Flughafens niedergelassen, der selbst nur ein Ableger des viel größeren, global operierenden Investmentfonds IFM Investors ist.
«Die Luftfahrt wurde von Anfang an staatlich unterstützt, um überhaupt abheben zu können», meint Sophie Lampl, Direktorin für Kampagnen und Kommunikation bei Greenpeace. «Immer wieder gab es Rettungen von Fluglinien. Und sie zahlen in vielen Bereichen keine Steuern, wie zum Beispiel Mehrwertsteuer oder auf Kerosin. Österreich entgeht damit über eine halbe Milliarde Steuergeld.» Fluglinien in Europa würden eine Finanzspritze in Höhe von 30 Milliarden Euro fordern, so Lampl. «Damit könnte man 1.000 Nachtzüge finanzieren, um alle europäischen Hauptstädte zu verbinden. Dann kommen wir alle von A nach B, ohne das Klima und damit die Zukunft unserer Kinder zu zerstören.»

Und ein Wahlkampf.

Derweil regiert die Intransparenz. «Rund um die Flughäfen gibt es einige der besten Böden Österreichs», sagt Mira Kapfinger. «Wir arbeiten mit Landwirt_innen zusammen, die durch den Flughafen von Enteignung betroffen sind. Der Flughafen bietet zwar Flächen zum Kauf, aber wer dort jetzt noch Landwirtschaft betreibt, will auch bleiben.» Viele Anrainergemeinden seien in Abhängigkeit vom Flughafen. Schadenszahlungen für den Bau der dritten Piste seien bereits teilweise in Gemeindebudgets eingepreist, so die Klimaaktivistin.
Und doch tut sich gerade auch in diesen Anrainergemeinden etwas. Schon im Juli 2019 beteiligten sich hunderte Menschen aus 15 Ortschaften an einem Sternmarsch zum Kreisverkehr zwischen Enzersdorf, Gallbrunn, Margarethen und Schwandorf. Damit protestierten sie gegen den Bau einer Reihe von industriellen Großprojekten, zu denen auch die dritte Piste gehört. Es geht um Mülldeponien, Logistikzentren, Transportterminals. Auch der geplante Bau des Lobautunnels wird vom Flughafen unterstützt. «Wir wollen mit unserer Sternmarsch-Bewegung die Ziele der Fridays-for-Future-Bewegung unterstützen und Klimaschutz hier und jetzt einfordern. Wir haben keine Zeit für Mediationsstrategien und Regionalplanung 2040, weil die Negativspirale in der Realität schon in Gang gesetzt ist. (…) Wir wollen weniger Fluglärm und ertragen nicht mehr Fluglärm!» heißt es in einem Flugblatt für den Sternmarsch.
In Wien steht nun der Wahlkampf ins Haus und somit auch eine Entscheidung darüber, wer in den kommenden Jahren über die 20 % Wiener Anteile am Flughafen bestimmt. Doch die Lust von Bürgerinitiativen und Klimaaktivist_innen, deshalb mit der Lokalpolitik in Kontakt zu treten, scheint endenwollend. «Systematische Anfragen an die Parteien, wie sie es mit der dritten Piste halten, haben wir schon mehrmals durchgeführt», sagt Martin Tögel. «Es gibt aber Parteien, die sich im Wahlkampf gegen die dritte Piste aussprechen, und, einmal an der Regierung, sind sie – warum auch immer – plötzlich dafür. Daher macht es nur begrenzt Sinn, noch einmal die gleichen Fragen zu stellen.»
Einhellig ist jedoch die Botschaft von Klimaaktivist_innen, sollte wirklich ein Baustart drohen. Für Greenpeace sagt Sophie Lampl, dass man den Druck aufrechterhalten und gegebenenfalls bei Baubeginn erhöhen werde. Und Mira Kapfinger stellt klar: «Die dritte Piste ist das klimaschädlichste Projekt Österreichs. Sollte es dazu kommen, werden wir uns dem entgegenstellen.»

Eine kleine Flughafen-Chronologie

1938: Flughafen Wien Schwechat wird als Militärflughafen in Betrieb genommen; Spatenstich durch Reichsluftfahrtminister Hermann Göring
1944: Teile des Flughafens werden zum Außenlager des KZ-Mauthausen
1954: Ziviler Flughafenausbau
1977: Eröffnung der zweiten Piste; sie ist nur eingeschränkt zeitgleich mit der ersten nutzbar
2007: Flughafen stellt beim Land Niederösterreich
Antrag auf Bau dritter Piste
2012: Erster Umweltverträglichkeitsbescheid für den Bau der neuen Piste wird ausgestellt
2. 2. 2017: Bundesverwaltungsgericht hält
dritte Piste aufgrund ihrer Klimaschädlichkeit nicht für genehmigungsfähig
26. 6. 2017: Verfassungsgerichtshof hebt obige
Entscheidung auf; Fall geht zum Bundesverwaltungs­gericht zurück
23. 3. 2018: Bundesverwaltungsgericht bestätigt die 2012 erteilte Genehmigung