Jon Sass: Mann mit TubaArtistin

Jon Sass (Foto: C. Fellmer)

Vor mehr als 40 Jahren übersiedelte Jon Sass mit seiner Tuba von Harlem nach Wien – und gehört mittlerweile zu den besten Jazzer:innen der Alpenrepublik.
Bis Anfang April ist er im TAG in Iphigenie zu hören.

 

Im Jahr 1980 kam Jon Sass auf Einladung des Vienna Art Orchestra (VAO) von Harlem nach Wien – und mehr als 40 Jahre später ist er immer noch da. Mittlerweile eilt ihm der Ruf voraus, einer der weltbesten Tubaspieler:innen zu sein – nicht nur wegen seiner Zusammenarbeit mit dem 1977 von ­Mathias Rüegg gegründeten VAO (Rüegg ist auch der Gründer des Wiener Musik- und Jazzclubs Porgy & Bess, in dem Sass öfters gastiert). Die Liste seiner Kollaborationen geht spannend weiter: Mercedes Echerer, Blue Groove Band, Hans Theessink und Wolfgang Puschnig oder ­Fatima Spar. Zur Tuba kam er in der Highschool, das Tuba-Handwerk ­lernte er später bei ­Samuel Pilafian, ­einem 2019 verstorbenen US-amerikanischen Tubaspieler, der unter anderem mit dem Duke ­Ellington ­Orchestra auf der Bühne stand und an eini­gen Studioaufnahmen von Pink Floyd beteiligt war. «Ich habe nie in ­einem Fast-Food-­Laden ­gearbeitet und in meinem Leben nie ­etwas ­anderes ­gemacht als Tuba ­gespielt», sagt Jon Sass. «Das war schon ein besonderes Glück.» Elf ­Alben hat er zwischen 1994 und 2017 mit verschiedenen Formationen veröffentlicht, sein Solodebüt gab er 2005 mit ­Sassified. Er ist nicht nur auf der Bühne eine großformatige Erscheinung, sondern auch am Insti­tut für Popu­larmusik an der Universität für Musik und ­darstellende Kunst in Wien, wo er als Lektor tätig ist. Bis Anfang April ist er im TAG in der Gumpendorfer Straße in Angelika Messners Stück Iphigenie ­musikalisch aktiv.

 

Er kam, um zu bleiben

Dass Jon Sass letztlich nach Wien kam, ist auf eine Art Bauchgefühl zurückzuführen. Jon ­hatte bei einem Vorspielen für das ­Boston Symphony Orchestra, zu dem ihn die (2021 verstorbene) Tuba-­Legende ­Howard Johnson eingeladen ­hatte, die zweite Tuba angeboten bekommen –, und gleichzeitig waren der (2018 ­verstorbene) Jazzpianist Uli Scherer und der Saxophonist Wolfgang Puschnig in New York auf der ­Suche nach einem Tubisten – den sie in Jon Sass fanden. Johnson hatte Jon nicht nur nach Boston eingeladen, sondern auch nach Wien empfohlen. «Aus dem Bauch ­heraus habe ich mich dafür entschieden, nach Österreich zu kommen», erinnert er sich. «Ich war damals ungefähr 18 Jahre alt.» Von Österreich wusste er praktisch nichts, was über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs aus amerikanischer Sicht ­hinausging – so wie hierzulande Harlem und die Bronx in erster ­Linie Schauplatz diverser ­Kinothriller bekannt ­waren. Vor seinem Abflug besorgte er sich in einem Reisebüro Prospekte der ­Alpenrepublik – und war ein bisschen überrascht, als ihm ein Tubaspieler mit grünem Hut und Trachtenjoppe entgegenlachte. «O.k.», dachte er sich, «ich bin ­zuhause.» Dem war allerdings doch nicht ganz so: In der U-Bahn, die es in Wien seit kurzem gab, hatte er erste Begegnungen mit dem ­gelebten ­Österreich. «Ich habe es als unangenehm empfunden, wie mich die Menschen ­angestarrt haben», sagt Jon Sass, der zum ersten Mal eine mehr oder ­weniger komplett von Weißen domi­nierte Stadt erlebte, die ­gerade ­versuchte, den Erstkontakt mit der Realität zu verarbeiten. Der Tubist mit dem grünen Hut sei nicht ein Zeichen für Weltoffenheit, wurde Jon von einem Kollegen aufgeklärt, sondern eher für den konservativen Wind, der zwischen Wien und Bregenz wehte. «Die Augensprache der Österreicher war eine ganz andere als in New York, und ich konnte sie nicht verstehen. Ich habe mich nicht ausgekannt und ich wusste nicht, ob ich ­wegen dieser Blicke Angst haben sollte …» Später wurde ihm klar: «Es waren Neugier und Angst und – Fremdheit.»

 

Beleidigt & Verleumdet

Jon Sass war in Wien mehr oder weniger alleine, ohne afro-amerikanische Community im ­Rücken, denn die gab es vor 40 Jahren in Wien noch nicht. «Es war damals nicht einfach, weil ich oft Ignoranz begegnet bin, aber ich hatte Freunde, nicht ­viele, aber denen vertraute ich.» Manchmal fühlte er sich durchaus verloren im Eindruck, der einzige Schwarze Musiker in Österreich zu sein – was nicht wirklich der Fall war, denn in der ORF Big Band und der Staatsoper wurden ­bereits afro­amerikanische Künstler:innen ­beschäftigt. «Aber ­außerhalb der Institutionen sah es traurig aus», erinnert er sich. «Am Ende habe ich aber meine Integrität nicht verloren und mich weiterentwickelt. Es war eine lange Zeit. Als ich nach Wien kam, war ich jung und auch naiv.» Richtig verletzt ­fühlte er sich einmal während einer Tournee mit dem VAO. An der Schweizer ­Grenze wurde die Gruppe telefonisch verleumdet, sie würden Drogen mit sich führen. Die polizeiliche Durchsuchung verlief ergebnislos. «Dabei sagte jemand ­etwas zu mir, das ich nicht verstand, weil mein Deutsch noch nicht so gut war. Am nächsten Tag erklärte mir unsere Sängerin, dass mich ein Mann ‹Scheiß-N…› genannt hatte – das hat mich wirklich getroffen.»

 

Ein «native New Yorker»

Jon Sass ­wurde in der Bronx geboren und wuchs in Harlem auf. Als im Mai 2020 der Afro­amerikaner George Perry Floyd in Minneapolis von einem weißen Polizisten getötet wurde und er die ­aufkeimende «Black Lives Matter»-Bewegung aus der ­Ferne beobachtete, war er «ängstlich und traurig». Es kam zu Ausschreitungen, in 40 US-Städten wurden Ausgangssperren verhängt und Amnesty International doku­mentierte vielfache Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei. Letztlich wurden die vier für den Tod von George Perry Floyd verantwortlichen Beamten im Jahr 2022 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. «Deshalb bin ich auch optimistisch», sagt Jon Sass, «weil ich den Eindruck habe, dass wir nach dieser langen Zeit des systematischen Rassismus und der weißen Vorherrschaft endlich gehört werden.» Was heute in Amerika geschieht, habe ­seine Wurzeln am Anfang der Nation: «Die amerikanische Geschichte beginnt mit dem Genozid der Ureinwohner und mit der Versklavung meines Volkes. Die Idee der Demokratie wurde uns fast 400 ­Jahre mehr oder weniger vorenthalten. Jetzt erleben wir, wie der Kessel explodiert, weil der Druck zu hoch geworden ist.» Es ist ein langsamer Prozess mit vielen Rückschlägen und ein Kampf gegen Stereotype. Sie und der systematische Rassismus sind auch in Wien keine Fremden. «Aber es ist über die Jahre besser geworden», befindet der Musiker.

 

Standpunkt

Mit dem Wiener Musiker Wolfgang Schlögl, der für seine Mitwirkung an den Sofa Surfers und The Slow Club in Erinnerung bleibt, arbeitet Jon Sass derzeit an einem noch namenlosen Projekt, das dieses Jahr aus der ­Taufe ­gehoben werden soll. Es ist eine Art Fortführung von Sassified – ein Album mit mehr «Sass inside» als bei anderen Kollaborationen. Als inspirierend empfindet der Tubaspieler dabei die Beschäftigung mit den eigenen musi­kalischen Wurzeln: Jazz, Rhythm & Blues, Klassik. Und die Begegnung mit Menschen wie etwa Olive Moorefield: Die US-amerikanische Musical­darstellerin, Sängerin und Schauspielerin lebt seit 1956 in Wien, wo sie, damals ungewöhnlich für eine Schwarze Künstlerin, von der Volksoper engagiert ­wurde. Ihre Kinokarriere beendete sie 1964 mit der ­Rolle der Sklavin Cassy im Südstaatendrama Onkel Toms Hütte. Mit ihr verbindet Jon Sass der Gedanke, dass deutlicher gezeigt werden müsse, dass Schwarze Künstler:innen nicht nur im Entertainment vertreten sind, sondern überall. «In den letzten Jahren haben sich ­einige turbulente ­Dinge ereignet, die mich dazu inspiriert haben, auf die ­Ereignisse in Amerika musikalisch zu reagieren. Das ist auch ein bisschen ein Echo von Nina Simone, die meinte, dass wir Künstler:innen die Möglichkeit und die Verpflichtung haben, im Hier und Jetzt Stellung zu beziehen.»

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