Joseph II., der Konjunktiv II und die schulische InklusionDichter Innenteil

Herr Groll auf Reisen (304. Folge)

Herr Groll traf seinen Freund, den Dozenten, am Josefsplatz in der Wiener Innenstadt. Sie hatten neben dem furchterregenden Denkmal, das jenem von Marc Aurel in Rom nachempfunden ist und Grolls Rollstuhl Josef III. immer in Angst versetzte, Aufstellung genommen.

So manche Ladung wird nie gelöscht

Foto: © Mario Lang

Der Dozent wollte Groll einige Überlegungen zum Verhältnis von Kirche und Staat vortragen, er hockte auf den Stufen, Groll stand neben ihm. Wie meist, wenn es um Fragen von welthistorischer Bedeutung ging, hatte Groll ein Campingtischchen mitgebracht, auf ihm befanden sich Speck, Brot, ein Schweizer Armeemesser, eine Flasche Weinviertler Zweigelt und Gläser.

In Zeiten politischer Verwirrung und des Erstarkens autoritärer Parteien sei es nützlich, die Haltung der kirchlichen Vorfeldorganisationen zu studieren, diese seien gesellschaftliche Seismographen, und das in doppelter Hinsicht, sagte der Dozent. Zum einen beobachteten sie gesellschaftliche Umbrüche schon früh, zum zweiten nähmen sie auf die Richtung der neuen Strömungen Einfluss. Nicht selten gelinge es kirchlichen Orden, sich an die Spitze restaurativer Bewegungen zu setzen – wie bei den Jesuiten im Kampf gegen den Protestantismus geschehen. Selten komme es vor, dass apparatkritische Strömungen Einfluss gewönnen.

Er habe an dieser Einleitung nichts auszusetzen, sagte Groll, besonders gefalle ihm die Verwendung des Wörtchens «gewönne». In den gegenwärtigen Verhältnissen erfahre der Konjunktiv II eine neue Blüte. Gewönne Rapid Wien die nächsten beiden Meisterschaftsspiele, sei die Abstiegsgefahr gebannt. Gewönne Herr Kern Hirne und Herzen der Österreicherinnen und Österreicher, stünde dem Land ein Zeitalter der Aufklärung und des allgemeinen Wohlstands bevor, Deutschland werde eifersüchtig auf unsere Erfolge schielen.

Der Dozent nickte mit einem ironischen Lächeln und fuhr fort: «Am 30. Oktober 1781 verfügte der Sohn Maria Theresias, der seit 1765 mit seiner Mutter gemeinsam regiert hatte und nach deren Tod im Jahr 1780 die Stunde für weitreichende Umwälzungen gekommen sah, in einem Handschreiben die Auflösung sämtlicher Orden, die keine gesellschaftliche Arbeit leisteten. Davon waren 700 Klöster betroffen!», rief er. Die ersparten Gelder seien staatlichen Zwecken zugeführt worden. Tatsächlich sei der Eingriff in kirchliche Besitz- und Vermögensverhältnisse der Kern der Klosteraufhebungen gewesen. Der Herrscher habe nach der ungeteilten Macht gestrebt, Hochadel und hohe Klerisei sollten von ihm dominiert werden, das gemeine Volk sowieso.

«Dass Josef die verbliebenen kirchlichen Belange bis ins Detail regelte, eigene Messordnungen herausgab und eine staatliche Priesterausbildung in Generalseminaren mit dem Ziel der Schaffung ‹josefinischer Pfarrer› verfügte, wurde von seinen Herrscherkollegen mit Spott bedacht. Der portugiesische König verordnete seinen Untertanen sogar öffentliche Gebetsstunden für den vom ‹Teufel verblendeten Kaiser›. Der Habsburger aber blieb unbeirrbar. Er war davon überzeugt, dass eine gesittete und disziplinierte Jugend wichtiger sei als eine gelehrte.

«Das ist bis heute der oberste Grundsatz österreichischer Schulpolitik», bekräftigte Groll. «NEOS-Chef Strolz fordert nicht etwa die Abschaffung, sondern den Ausbau der Sonderschulen. UN-Behindertenkonvention hin, österreichischer Umsetzungsplan her – die gemeinsame Schule aller Kinder ist Teufelswerk und daher zu bekämpfen.»

«Und die Lehrergewerkschafter», fragte der Dozent nach. «Sie müssten doch für das Recht der Kinder auf Inklusion eintreten.»

Groll goss Wein nach.

«Verehrter Dozent! Sie verkennen das Wesen österreichischer Beamtengewerkschafter; es besteht vor allem darin, keine, auch nicht die geringste Änderung zuzulassen. Die Schule ist nicht für die Gesellschaft, die Eltern oder gar die Kinder da, die Schule hat den Interessen der Lehrer und Professoren zu dienen und zwar ausschließlich. Im Bachmann-Gymnasium in Klagenfurt werden behinderte erwachsene Menschen den Schülern vorgeführt wie seltene Tiere, man nennt das zynisch ‹Inklusion›. Und in Moosburg verfügen zwei Schulen, dass zwei syrische Flüchtlingskinder mangels Elternbeitrag an der Landschulwoche nicht teilnehmen können. Kein Lehrer protestiert, kein Elternverein wird tätig. Wie in Klagenfurt: auch dort kein Protest von Lehrern und Gewerkschaft angesichts eines entwürdigenden und diskriminierenden Umgangs mit behinderten Menschen.»

Der Dozent leerte sein Glas: «Ob es dieses Schulsystem war, das dem Zwangsaufklärer Josef vorschwebte?»

Anm.: Die Kinder durften – dank zweier Kollekten in Pörtschacher Kirchen – doch auf die Ausflüge mitfahren. Eine Selbstverständlichkeit ist im Österreich der Gegenwart eine Sache des Bettelns und des Mitleids.