«Journalisten musst du bespassen»Artistin

Schön wie ein Kunstmagazin: die Flüchtlingszeitung «Hinterland»

Rührig und flott präsentiert sich die Belegschaft der Zeitschrift «Hinterland» des bayrischen Flüchtlingsrates, der sich ein Wohnmobil ausborgte und eigenständig Inventur in den Flüchtlingslagern machte.München ist voll von außerplanetarischen Gestalten, die durch die Gegend schwanken und wanken. Ein Mann in Lederhose fährt Fahrrad in Schlängellinien, eine Frau im Dirndl torkelt nach vorne gebeugt hinter ihm her. Punks mit Kapuzenshirts, Stiefeln und Dirndln, die Auslagen voll mit Schaufensterpuppen in Lederhosen-Aufzug. Es ist gerade Oktoberfest in München, und viele streben flott und eifrig der «Wiesn» zu, als Österreicherin fühlt man sich wie auf einem anderen Planeten (die Unsrigen schwanken weniger).

«Flüchtlinge sind in Bayern nicht eingesperrt», erzählt der quirlige Matthias Weinzierl vom Bayrischen Flüchtlingsrat. «Sie müssen in Gemeinschaftszentren, Kasernen, heruntergekommenen Bauobjekten und Lagern wohnen. Oder in Containern, 12 Quadratmeter für vier Leute. Sie sollen Benutzungsgebühr zahlen, falls sie eine Arbeit gefunden haben.» Der Flüchtlingsrat ist in schönen großen Räumen mit Holzboden in der Augsburgerstraße untergebracht. Die Flüchtlinge haben ihren eigenen Frei-Raum mit zirka dreißig Rechnern angefüllt und sitzen daher bei der Zeitschrift «Hinterland» im Zimmer. «Flüchtlinge dürfen nicht privat wohnen», sagt Redakteur Matthias, «ich kenne welche, die lebten seit 1991 in der Unterkunft Prager Straße und kamen erst vor kurzem raus.»

Die wunderschöne, dicke Zeitschrift «Hinterland» schaut wie eine Kunstzeitschrift aus. Die nächste Ausgabe soll zu Kolonialismus sein, und der «Arbeitskreis Panafrikanismus» arbeitet mit. Auf Nachfrage gab es schon einmal einen Artikel eines Afrikaners: «Fahrradhändler machen Männer unfruchtbar», reklamierte der, mit dem Titel «Rettet die Lenden!». Vor lauter Respekt dauerte es eine Zeitlang, bis die Journalisten merkten, dass es sich um eine Satire handelte.

«Dschungelcamps heißen die Flüchtlingslager in Niederbayern. Die sind in einem Tal im Wald. Man fährt Autobahn, dann noch 30 km Landstraße, hinter Deggendorf in Böbach ist das tiefstes Niederbayern. Wer da wohnt, hat Residenzpflicht», erläutert Christoph Merk, auch er seit Jahren bei «Hinterland» tätig. Die beiden Erstaufnahmestellen in München und in Zirndorf bei Nürnberg sind offen. «Die Residenzpflicht wird gerade aufgeweicht, es kommt ein neues Gesetz, dass du auch in die Nachbarsgebiete darfst. Es gibt Regierungsbezirke und Randlandkreise, aber darfst du noch in den nächsten Landkreis?» Das weiß keiner.

Nichts Vergleichbares in Österreich

Den Flüchtlingsrat gibt es seit bald 25 Jahren, alles begann als Koordinierungsstelle von Basisinitiativen. «Die Gesetze ändern sich so schnell, man muss flott reagieren können», sagt Matthias und hüpft auf seinem Sessel auf und ab. «Wir sind inzwischen Dienstleister. Flüchtlinge oder ihre Freunde rufen uns für Rechtsberatung an. Mittlerweile haben wir schon Proteste mit den Flüchtlingen gemeinsam gestemmt, wie den Essenspaketeboykott. Es gibt auch das Lagerlandnetzwerk, gegen Lagerzwang arbeiten die» Ich bin schockiert, dass es elf Millionen Bayern bei 7500 im Land lebenden Flüchtlingen gibt. Auch wenn das vielleicht als Rassismus rüberkommt, mir egal. Mehr Bayern als Österreicher auf der Welt, mein Weltbild wandelt sich.

«Wie kommt es, dass ihr bei dem harten Thema Flucht und Flüchtlinge euch eure gute Stimmung bewahren konntet?», frage ich, denn die Zeitschrift ist sehr locker und absolut lesbar geschrieben, es gibt nichts Vergleichbares in Österreich oder Deutschland. Christoph: «Der Bayrische Flüchtlingsrat hatte ein internes Mitteilungsblatt, das wurde von Gott-verdammt-noch-mal niemandem gelesen. Wir wollten eine Zeitschrift machen, die von vielen gelesen wird. Es gibt diese ultrakleine Nische, Flüchtlinge sind Opfer, man kocht immer die gleiche Scheiße auf, wir verpacken die aber nett und tun sie an unerwarteten Stellen auflegen.» «Wir hätten nicht so lange durchgehalten, wenn wir uns in Frust und Trauer suhlen», unterbricht Matthias. «Die alten Haudegen vom Flüchtlingsrat konnten anfangs schlecht damit umgehen, dass es thematisch auch andere Geschichten gab, dass der Ansatz offen ist. Die Leser lassen sich aber drauf ein. Die letzte Ausgabe war von allen Flüchtlingsräten Deutschlands, wir konnten zum Thema Abschiebungen der Roma aus dem Vollen schöpfen.»

Das Straßenmagazin in München namens BISS hat übrigens keine Flüchtlinge als Kolporteure, und es gibt auch keine Fluchtgeschichten drin.

«Hat sich was verändert durch eure Arbeit?», frage ich. «Das wäre anmaßend zu sagen, dass sich etwas durch uns verändert hat», antwortet Christoph. «Na ja, die CSU war ganz lange in der Alleinregierung, jetzt nicht mehr » Alle lachen. «Im Freistaat Bayern werden nicht ständig die Gesetze verschärft, aber wir sind nicht in der Situation, in der wir den Gegner vor uns hertreiben können.» «Wir sind überraschend in den Lagern aufgetaucht in unserer Kampagne gegen Zwangslager. Machten da einen Mordsrabauk. Lagerinventur hieß die. Wir sind mit einem Wohnmobil herum gekurvt.» Matthias hüpft schon wieder ungeduldig hin und her und freut sich an seinen Erinnerungen. «Wo wir wen kannten das war der Trick , kamen wir einfach zu Besuch. Du musstest dich anmelden, zu Besuch geht schon, wir kamen hin und Kamera an Journalisten von Tageszeitungen musst du halt bespaßen (Anm.: unterhalten), dann machen die schon mit.»