Tagebuch eines Augustinverkäufers
9.5.
Ganz Wien ist schon ESC. Außer meine Wenigkeit. Eurovisions-Songcontest. Hat mich irgendwie nie wirklich interessiert. Und dann kam Tom Neuwirth, oder Conchita Wurst. Aber das war mir anfangs auch ziemlich wurst. Bis die intoleranten Wortmeldungen aus der rechten Ecke kamen und «dieses» Conchita offen anfeindeten. Da der Gesang, der ihrem Mund entfleuchte durchaus großartig klang, platzierte ich meine 4 Buchstaben vor dem TV und wurde Zeuge des Sieges. Was nun wiederum dazu führt, dass eine teilweise schon sehr in die Jahre gekommene Stadthalle zu einer Spitzenlokalität transformiert werden muss. Ich weiß nicht mehr, wohin ich noch flüchten kann, um diesem Wahnsinn zu entfliehen.
(Illu: Carla Müller)
11.5.
Es lauert etwas bei der Futterschüssel. Ich für meinen Teil bin gerade in Wolkenkuckucksheim unterwegs. Wenn ich mich nicht irre. Immer wieder spannend, worüber ich mir so meine Gedanken mache. Inzwischen ist dieses Unterfangen mit vielen Gefahren verbunden. Ich habe etwas über das Erdbeben in Nepal gehört. Darüber, dass die Hubschrauber zuerst für die Rettung der Bergtouristen bereit standen. Ich höre immer wieder davon, dass die Schlepper, die Flüchtlinge aus Afrika nach Europa bringen, in Zukunft intensiver verfolgt werden sollen. Ich höre nichts darüber, dass die Wirtschaftsbosse, die von dem Elend in Afrika profitieren, sich intensiver gegen Selbiges einsetzen sollen. Was war da noch gleich mit der Futterschüssel? Achja, seine Majestät Murli, I. erweckt den Eindruck einer am Hungertuch nagenden Kreatur. Also werde ich ihm ein seinem Rang angemessenes Gala-Diner kredenzen. Oder einfach eine Schale Sheba öffnen.
12.5.
Jeden Tag erhält irgendwo auf diesem Planeten irgendjemand eine x-beliebige Auszeichnung. Über die Wertigkeit von diversen dieser Anerkennungen ließe sich trefflich streiten. Ich bin jetzt einfach mal so frech und möchte zu dieser Problematik Billy Wilder zitieren, der da sprach, wie folgt: «Auszeichnungen sind wie Hämorrhoiden, irgendwann kriegt sie jedes Arschloch.»
Huch, ich höre mich wie meine Mutter an.
14.5.
Es ist verwirrend. Das war vor 30 Jahren noch anders. Huch, ich höre mich wie meine Mutter an. Aber es ist auch wirklich verwirrend. Da Eishockey, dort Fußball. Da Tennis, dort Golf. Es gibt so viele Sportprogramme im TV, dass man gar nicht mehr weiß, wo man gerade nicht zuschauen soll. Eine gefährliche Nebenwirkung dieser ganzen digitalen Errungenschaften scheint die Zunahme an übergewichtigen Kindern zu sein. Zwar arbeitet eine gewisse Heidi Klum daran, dass sich wenigstens ein paar junge Mädchen regelmäßig übergeben, damit sie auch ganz erbärmlich dürr bleiben. Aber in einer immer oberflächlicheren Welt, die sich vorwiegend über Äußerlichkeiten definiert, werden eben leider viele Kinder ständig dicker. Jetzt gibt es allerdings seriöse Studien, die Dickleibigkeit mit Armut in Verbindung bringen. Billige Lebensmittel erscheinen als hauptverdächtig. Aber wie soll man Sport machen, wenn man nicht genug zu essen hat? Wie bereits erwähnt, es ist verwirrend.
15.5.
Heuer unter anderem im Programm: «650 Jahre Universität Wien. 450 Jahre Ringstraße. 70 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges.» Und heute zelebrieren wir 60 Jahre Staatsvertrag. Dabei werden natürlich die allseits wohlbekannten, feierlichen Reden geschwungen. Dabei entdecke ich einen Namen, den ich schon lange nicht mehr wahrgenommen habe. Werner Faymann. Er spricht klug aus seinem Munde. Der hätte vielleicht Talent für die Politik. Was macht dieser Herr Faymann eigentlich beruflich?
18.5.
Schlimme Dinge passieren! Etwas, das ich nicht für möglich gehalten hätte. Nur unter Androhung von Waffengewalt. Also, das Ganze begann damit, dass verschiedene caritative Einrichtungen Freikarten der Stadthalle für die Generalprobe eines Semifinales erhielten. Ich und ESC? In freier Wildbahn eher nicht kompatibel. Aber aus irgendeinem mir nicht näher bekannten Grund erteilt mein Mund die Auskunft, dass ich da gerne hingehen würde. ??? Es scheint, als könnte ich mir selbst nicht mehr so recht trauen. Aber da nur die Harten durchkommen, hülle ich mich in den Ausgehzwirn und starte meine Reise mit dem ersten Schritt. Und dem zweiten, usw. Strenge Sicherheitskontrollen erwarten mich. Dann stehe ich also in der Halle. Und sehe schon die ersten Probleme. Was tun, wenn ich ein Rollstuhlfahrer wäre? Oder einfach nur gehbehindert. Überall nur Treppen. Ich begebe mich auf meinen Wandertag in den 2. Rang. 3 Moderatorinnen bewerfen mich mit einer englischen Moderation. Dann startet das Wettzwitschern um einen Platz in der Finalshow. Ich weiß, dass in der allgemeinen Berichterstattung nur das Beste über die Stadthalle geschrieben wird. Ich muss leider sagen, dass sie ihre wichtigste Aufgabe, nämlich das Transportieren der Musik absolut nicht erfüllen konnte. Wenn mir der Bass fast die Schuhe auszieht, dann kann das durchaus als unangenehm empfunden werden. Aber egal, ich habe das Ganze ohne gröbere Folgeschäden überlebt. Werde mir jetzt dieses Gedudel bis zum Finale ansehen, hoffen bei den Kommentaren der 3 diensthabenden Grazien nicht zu verdummen und nicht vergessen: «WIR SIND SONGCONTEST» HILFE!