Kämpfe um Commonstun & lassen

Die Kunst, Ressourcen sowohl dem Markt als auch dem Staat zu entziehen

Auf dieses Buch haben viele gewartet: In «Solidarische Ökonomie & Commons» bringen Brigitte Kratzwald und Andreas Exner eine differenzierte Einführung in die beiden Kernbegriffe gesellschaftlicher Alternativen.Beginnen wir zum Beispiel bei den Diggers. So hieß eine der sozialen Bewegungen, die Mitte des 17. Jahrhunderts in England entstanden. Damals, in der Anfangszeit des Kapitalismus, wurde immer mehr Land privatisiert und vor allem zur Schafzucht für die aufsteigende Wollindustrie verwendet. Die Diggers, zu Deutsch Buddler, die soziale Gleichberechtigung aller Menschen auf ihren Fahnen, beseitigten die neuen Zäune und Mauern und bebauten das Land in kleinen Gemeinschaften. Wenn alle ihrem Beispiel folgten und sich in unabhängigen Kommunen zusammentäten, sagten sie, würde die herrschende Klasse von selbst verschwinden.

Die Gegenkultur der 1960er und der frühen 1970er Jahre in den USA grub den Namen wieder aus und gab ihm eine erweiterte Bedeutung: Die nordamerikanischen Diggers dieser Zeit organisierten unter anderem einen guten Teil der Nahrungsversorgung des Hippie-Viertels in San Francisco, betrieben mehrere Kostnix-Läden und gründeten eine kostenlose Klinik.

Und nun sind sie wieder da und reißen die technischen Zäune auf der großen Allmende des Internets nieder? «Die Hacker sind sozusagen die Diggers des Internet-Zeitalters», schreiben jedenfalls Andreas Exner und Brigitte Kratzwald in dem gerade im Mandelbaum Verlag erschienenen Buch «Solidarische Ökonomie & Commons».

Die historische Spannbreite ist eine der Stärken in der dichten und klugen Einführung in diese beiden Kernbegriffe, die seit einigen Jahren vermehrt in den Diskussionen um gesellschaftliche Alternativen verwendet werden. Sie zeigt nicht nur, was das gemeinsam genutzte Weideland im Feudalismus und das World Wide Web im Neoliberalismus gemein haben (Commons und die Kämpfe um Commons), sondern könnte möglicherweise den sozialen und ökologischen Auseinandersetzungen der kommenden Jahre eine neue Tiefe und Perspektive geben, eine verbindende Erzählung.

Commons werden gemacht

Ein weiterer Verdienst des Buches ist die Analyse der Vielschichtigkeit des zunehmend mit unterschiedlichen Bedeutungen versehenen und für unterschiedliche Ziele verwendeten Begriffs der Commons und das Herausarbeiten seines emanzipatorischen Potenzials. Denn Commons sind keine Güter, die Menschen gemeinsam besitzen, wie das gern missverstanden wird. «Commons sind nicht Commons werden gemacht», betonen Kratzwald und Exner. «Sie entstehen durch Aneignung und Selbstermächtigung immer dann, wenn Menschen etwas für so wichtig halten, dass sie es als ihr Eigenes betrachten, sich darum kümmern und Verantwortung dafür übernehmen; deshalb auch darüber bestimmten wollen, wie diese Ressource genutzt wird.»

Wobei die Ressource stofflich sein kann (z. B. Wasserversorgung, Wald, Ackerland, Energieträger, Produktionsmaschine) oder immateriell (z. B. Sprache, Stille, Forschungsergebnis, DNA, Wikipedia). Und unter Commons eben nicht der Gemeinschaftsgarten oder der Internetzugang für sich verstanden werden sollte, sondern die gemeinsame Sorge darum, die soziale Praxis.

Die Idee der Commons ermöglicht den sozialen Bürger_innenbewegungen, Ressourcen dem Profitstreben des Marktes zu entziehen, ohne sie dabei gleich wieder dem Staat anzuvertrauen (der sich oft als ein schlechter Hüter erweist, weil er zu sehr an die mächtigen Unternehmen gebunden ist). Bleibt die Selbstverwaltung der Nutzer_innen und Betroffenen, nach eigenen Regeln, die auch selbst kontrolliert werden, jenseits des binären Weltbildes von privat oder öffentlich. Im Idealfall geht es dabei um einen geregelten Gebrauch der Commons, der künftigen Generationen nichts nimmt. Um die Gewährung vorübergehender Nutzungsrechte statt um schranken- und zeitlose Verfügung. Was alles wir letztendlich als Commons behandeln wollen, müssen wir selbst festlegen.

Robin Hood ein Held des Commons?

Am Beginn der Geschichte gab es überall Commons. Die Menschen streiften durch die Welt und verfügten als Stammes-Gemeinschaften über Territorien. Vor rund 10.000 Jahren entstanden Landwirtschaft, feste Siedlungen und unterschiedliche Eigentumsformen. Herrscher oder militärische Eroberer erteilten bestimmten Leuten Besitztitel an Grund und Boden. Trotzdem blieb ein großer Teil der Ressourcen in Europa Gemeingut. Im Römischen Reich wurden z. B. Gewässer, Küstenlinien, wild lebende Tiere und der Luftraum ausdrücklich als res communes gewertet, als allen zur Verfügung stehend. Im Mittelalter erhoben Könige und Lehnsherren Rechtsansprüche auf Flüsse, Wälder und Wildtiere, wobei diese Ansprüche regelmäßig zurückgewiesen wurden.

Als besonderes Beispiel für den Kampf um die Commons zu jener Zeit eignet sich die englische Geschichte. Die Zugangsrechte zu Commons wurden dort 1215 durch zwei Gesetzesakte abgesichert: die Magna Carta und die Charter of the Forest. In der Magna Carta geht es vor allem um politische Freiheitsrechte, bis heute bauen fast alle Verfassungen der Welt auf dieser Grundlage auf. Die weniger bekannte Charter of the Forest regelt detailliert die Zugangsrechte zu Commons für diejenigen, die kein eigenes Land besaßen.

Die «Commoners» konnten Holz zum Bauen und Heizen holen, sie konnten dort ihr Vieh weiden lassen, Lebensmittel anbauen usw. Der Sinn war, dass auch Menschen, die keinen eigenen Besitz hatten, ihre politischen Freiheitsrechte in Anspruch nehmen konnten. Zugangsrechte zu Commons sicherten ihre relative Unabhängigkeit, soweit das eben unter feudalen Machtverhältnissen möglich war. Nicht zufällig stammen aus dieser Zeit die Legenden des Robin Hood, der sich dafür einsetzte, dass das einfache Volk weiterhin im Wald jagen und Holz sammeln und in den Gewässern fischen darf, auch wenn das alles dem König gehört.

«Das Recht auf Commons gab den Menschen auch politische Macht gegenüber den Herrschenden. Wer sich selbst erhalten kann, muss sich nicht alles gefallen lassen», schreibt Brigitte Kratzwald in ihrem spannenden Blog (www.kratzwald.wordpress.com). «Das Commons war auch der Ort, wo Menschen sich getroffen haben, um ihre Rechte zu verteidigen, sich gegen die Willkür der Herrschenden zur Wehr zu setzen, wo Aufstände vorbereitet wurden. Darum waren die Mächtigen auch immer bestrebt, sie in Grenzen zu halten ().» Es kam also immer wieder zu Einzäunungen, Einhegungen: dem sogenannten Enclosure-Prozess. Der war dann letztlich auch für die Durchsetzung des Kapitalismus wichtig, weil er die Menschen zwang, Lohnarbeit anzunehmen.

Neue Einhegungen

Die Renaissance der Commons hat mehrere Gründe. Zum einen eignet sich der Krisenkapitalismus vermehrt Gemeingüter an, um sein Wachstumsdogma aufrechtzuerhalten. Nachdem z. B. der «unterirdische Wald» (Erdöl) bald abgeholzt ist, erhöht sich der Druck auf oberirdische Landflächen (land grabbing). Oder die wachsende Bedeutung von Wissen und Information als Profitquelle bedroht den öffentlichen Zugang zu Bildung und Forschung und dem Internet als öffentlichen Raum wobei hier (mit dem Vorwand, sich für unterbezahlte Künstler_innen einzusetzen) nicht nur kommerzielle Verwertungsinteressen von Bedeutung sind, sondern auch massive Überwachungsstrategien.

Zum anderen brachte der Wirtschaftsnobelpreis für Elinor Ostrom 2009 den Begriff Commons wieder ins Gespräch. Ostrom und ihr Team hatten in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Beispiele für funktionierende Commons und die sie tragenden Communitys gesammelt und die entsprechenden «Gelingensregeln» herausgearbeitet.

Kapitalismus und Globalisierung wurden in Elinor Ostroms Arbeiten nicht in Frage gestellt. Andreas Exner und Brigitte Kratzwald hingegen sehen in ihrem Buch eine weitreichendere Möglichkeit von Commons für Widerstand und soziale Veränderungen: «Unsere Aufgabe muss sein, herauszufinden, welche Art von Commons die Macht der Commoners stärkt. Jene Macht nämlich, ihre Commons zu verteidigen, auszubauen und sich den Zumutungen des Kapitals zu wiedersetzen, Lohnarbeit und Markt also verweigern zu können. Dadurch erst werden Commons als Keimform einer postkapitalistischen Gesellschaft der Solidarischen Ökonomien interessant.»

Wie wichtig das Herausarbeiten dieses emanzipatorischen Standpunktes ist, zeigt die jüngste Geschichte. Denn schon sehen die politischen und wirtschaftlichen Eliten in der Entwicklung von Commons und Solidarischer Ökonomie eine Möglichkeit, den angeschlagenen Kapitalismus zu reparieren und zu stärken. Als einen derartigen Versuch der Instrumentalisierung kann mensch das «Big Society»-Programm des britischen Premierminister David Cameron sehen, das bisher staatlich organisierte Bereiche im Bildungs-, Pflege- und Gesundheitsbereich an den Freiwilligen-Sektor übertragen will. Mit ähnlichen Ideen werden wir demnächst wohl auch in anderen europäischen Staaten konfrontiert werden, und da wäre es nicht schlecht, wenn wir hier schon die andere Möglichkeit der Commons im Auge haben: die der kollektiven Selbstermächtigung.

Buch-Tipp: Andreas Exner, Brigitte Kratzwald: Solidarische Ökonomie & Commons, Mandelbaum Verlag, kritik & utopie INTRO

Blog-Tipp: www.kratzwald.wordpress.com

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