Stimmgewitter-Augustin-Original Hans Kratky bleibt unvergesslich
Unsereinen passiert das nur im Traum: dass man als Tourist_in aus Wien auf der Reeperbahn dahinschlendert und mehrmals von Hamburger Menschen erkannt wird: «Du bist doch der vom Augustin!» Für Hans Kratky, Original des «Stimmgewitter Augustin», war Hamburg aus einem anderen Grund Traumstadt: Es zog ihn zur See. «Käptn Bumba», wie man ihn zwischen der Nordsee und dem Wulkabecken nannte, ist von einer Welle, die seinem Herzen zu heftig war, von Bord gefegt worden.
Abseits der Seemannswelt nannte man ihn schlicht Kratky, man ließ den Vornamen weg, wohl weil dessen Biederkeit («Hans!») sehr im Kontrast zur bizarren Persönlichkeit dieses Augustin-Urgesteins stand. Nach zwölfjähriger Selbständigkeit als Altwarenentrümpler hoffnungslos verschuldet, schloss er sich der Gruppe um die renitente Arbeitslosenzeitung «hock’nstad» an, die an inneren Widersprüchen krepierte und so zum unfreiwilligen Zeugnis des erbärmlichen Zustands der Wiener Joblosenbewegung wurde. 1996 stieß er zum Augustin, in dessen früherem Vertriebsbüro er mit der Pedanterie (positiver ausgedrückt: Minuziösität) der Alten Schule die Kaffeekassa verwaltete.
Kratky, der paradoxerweise an einem Dreizehnten (Februar) starb, nachdem er als Aktivist der meisten F13-Aktionen die schwarze, volksdümmliche Bedeutung der Zahl Dreizehn verlachte, hinterlässt eine Trauergemeinde, die in drei konzentrischen Kreisen angeordnet ist. Der äußere sind die Männer und Frauen des Augustin-Gesamtprojekts («Von Deiner Familie», stand auf der Schleife ihres Kranzes), der zweite die erschütterten Kolleg_innen vom Stimmgewitter, der innerste seine Frau Maria, in diesen Tagen die traurigste Frau der Stadt.
Kratky und Maria, die verkörperte Zweierbeziehung in einer Welt des Auseinanderstrebens, standen im Mittelpunkt einer Sendung von Radio Augustin über die Liebe. «Es hat Folgendes gegeben in unserer Ehe: Höhen und Tiefen. Und immer wieder habe ich mich hinausgeboxt aus den Tiefen», sagt Maria. Kratky bestätigt: «Wir haben in den drei Jahrzehnten kein einziges Mal gestritten.»
Das Wunder in der Linzer Uni
Die Zuhörer_innen erfuhren bei dieser Gelegenheit, wie sich die Liaison angebahnt hatte. Die Episode ist filmreif wie praktisch alles, was Kratky in der Öffentlichkeit unternahm. Kratky betrat also ein Lokal in Floridsdorf und bestellte sich ein Achterl, wie üblich. Eine Frau stand an der Bar. Kratky fragte sie, ob sie was trinken wolle. «Sicher, aber ich habe auch einen Hunger», sagte sie. Das waren die ersten Worte, die zwischen Maria und ihm fielen. «Ich hab sie gesehen und hab mir gesagt: Die nimmst du jetzt, und aus. Im Nachhinein wunderte ich mich, dass in diesem Beisel also auch anständige Mädels verkehrten.»
«Ich habe ihn um eine Wurstsemmel gebeten», bestätigt Maria. «Hans schlug mir gleich vor, zu meiner Mutter zu gehen, um sie um meine Hand zu bitten. Ich antwortete, ob ich dich heirate, entscheide ich und nicht meine Mutter.» Nach einem Umweg über den Prater gingen sie tatsächlich gleich zur Mutter.
In der Livemusikabteilung des Augustin, im «Stimmgewitter», blühte Kratkys Originalität endgültig auf. Den Punk-Partnern des «Stimmgewitters», den Altrockern der Linzer Band Seven Sioux, und nicht nur ihnen, fiel ein mathematisches Paradoxon auf: Der «Gesangsverein» wäre ohne den Kratky, der nominell zehn Prozent der Gewitterbarden darstellte, eine halbe Sache.
Unzählig sind die Anekdoten, die seine Gesangeskolleg_innen ab nun erzählen werden, wenn sie im Backstagezimmer jedes Mal nach einem Konzert realisieren, dass vorhin einer gefehlt hat. Mario: «Keiner konnte die Augen so rollen lassen wie er, wenn er beim Bambis-Schlager Nur ein Bild von dir mit ernster Miene durch den Bilderrahmen äugte. Und auch wenn sich Publikum und selbst das Stimmgewitter sich haltlos zerkugelten, ihm kam nie ein Lacher aus. Martin: «Dass er auf der Bühne den Käptn spielte, mit seiner weißen Käptn-Kappe, brachte uns indirekt auf die Idee, eine CD mit Seemannsliedern zu produzieren. Übers Meer wird unsere nächste Platte heißen.» Riki: «Manchmal war es nervend, aber dann auch wieder schön: Wenn wir unterwegs auf Tour waren, kurz nach dem Knoten Steinhäusel hat er das erste Mal die Maria angerufen, und wahrscheinlich war er der Einzige von uns, der jeden Tag mit seiner Frau telefoniert hat, und ein Ich hab dich lieb kam in jedem Gespräch vor. Und dass nach 37 Jahren Ehe …»
Und nochmals Mario: «Einmal hat die Maria den Hans während eines Auftritts (an der Linzer Uni) angerufen, der Hans hat ganz selbstverständlich abgehoben und gesagt: Wir singen grade im selben Moment löste sich unser Stimmgewitter-Transparent von der Wand und setzte dem Auftritt einen skurrilen Schlusspunkt. Seine Lieblingsstation auf diversen Touren war immer Linz, weniger wegen der Stadt, mehr wegen dem Leberkäs-Pepi, einer Linzer Institution.» Riki: «Ebenfalls in Linz: Wir haben wieder einmal in der Kapu geschlafen, und der Hömal war frische Semmeln holen. Das dauerte etwas länger als erwartet. Als Hömal endlich mit den Frühstückssemmerln kam, lautete der legendär gewordene Hansi-Sager: Wenn i eich uman tod schick, daun leb i ewich!»