Kaiserliche Arrestantenschließer und Vollzugsstörervorstadt

Knastarbeit und Häfenalltag hinter Gittern

Wien hat vier Justizanstalten für den Strafvollzug. Franz Blaha kennt sie alle und auch den Alltag sowie die Arbeitsmöglichkeiten hinter Gittern. Karl Weidinger (Text & Fotos) hat eine kleine Wiener Häfen-Tour gemacht.

(Die Justizanstalt für «geistig abnorme» Rechtsbrecher am Mittersteig)

Vorab: Der größte Knast in Wien ist die «Wickenburg», gleich hinter dem «Grauen Haus», dem Landesgericht an der Zweierlinie in Wien-Josefstadt. Halb so stark belegt ist das Schloss Kaiserebersdorf in Simmering. Beliebt auch das «Zehnerl» in der Hardtmuthgasse in Wien Favoriten, das eine Sonderanstalt wie der «Mittersteig» ist.

Franz Blaha hat schon etwas Zeit hinter Gittern verbracht – freiwillig. Es begann mit Schreibworkshops für den Augustin. Der erste führte nach Wien-Favoriten, samt dem im Knastjargon üblichen Spitznamen «Zehnerl».

Der Zutritt erfolgt übers Wachzimmer. Vor Betreten müssen Waffen aller Art sowie Mobiltelefone abgegeben werden, sagt die Hausordnung. Zur Verwahrung der Gegenstände stehen Schließfächer zur Verfügung. Die Münze wird bei Räumen des Fachs zurückgegeben.

Das Zehnerl hat einen Behandlungsauftrag für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher. Die zentrale Haftanstalt für Drogenentzug ist begehrt und die 119 Haftplätze sind ausgebucht und vorreserviert. Eine Sonderanstalt wie auch der «Mittersteig» in Wien-Margareten, wo der gefürchtete «Maßnahmenvollzug» (laut § 21) zum Einsatz kommt.

«Dadurch können Rechtsbrecher so lange eingesperrt werden, bis man ihnen Ungefährlichkeit bescheinigt. Mehr als ein Drittel ist ja schon bei der Inhaftierung ungefährlich», meint Blaha. «Ein sehr gefährlicher Rechtssatz, weil das lebenslänglich bedeuten kann, wenn der Häftling nicht kooperiert.» Die «Unterbringung» in der Maßnahme unterscheidet sich im praktischen Vollzug nicht von der Freiheitsstrafe. Ob begutachtet wird oder nicht, hängt vom Polizeiprotokoll ab, das wieder auf Zeug_innenaussagen beruht und deren Verhetztheit oder Wohlwollen. Derzeit steht wieder eine Reform des Paragrafen an, sicher nicht zum Besseren.

Die Justizanstalt Wien-Mittersteig ist für die Unterbringung von männlichen geistig abnormen zurechnungsfähigen Rechtsbrechern zuständig. Die Belagskapazität beläuft sich auf insgesamt 149, davon 93 in der Stammanstalt und 56 in der Außenstelle in Wien-Floridsdorf. Acht Plätze entfallen dort für die BEST, die Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter.

Das Gebäude am Mittersteig wurde 1908 im «historischen Heimatstil» erbaut und fungierte zunächst als Sitz des Bezirksgerichts Margareten sowie als Gefangenenhaus.

Mitten im Achten.

Die größte Anstalt Wiens liegt an der Zweierlinie im Bezirk Josefstadt. Der Weg in den Häfenalltag führt in der «Wickenburg» durch schier endlose Neonröhren-Gänge mit Überwachungskameras und über Kopf angeordneten konvexen Spiegelhalbkugeln ins Innere des Vollzugs. Fotografieren ist ausdrücklich nicht erlaubt. Und persönliche Vorsprachen sind nur nach Vorladung oder telefonischer Anmeldung möglich.

Die optimale Häfen-Auslastung beträgt 85 Prozent. Die Josefstadt ist chronisch überbelegt, mit über 120 Prozent «Gästen» und bis zu zehn Insass_innen pro Haftraum. Haftsache (wie fast immer): Suchtgift, Eigentum und Gewalt. Etwa ein Zehntel sind junge Erwachsene im Alter von 18 bis 21 Jahren, auch Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren sind darunter und heißen «Frischfleisch» (in den jeweils üblichen Sprachen). Aber nicht nur: Acht bis zehn Prozent der Insass_innen sind weiblich, im streng getrennten Vollzug, damit nicht Sodom und Gomorrha ausbrechen.

Eher Babylon . Die Häftlinge gehören 70 verschiedenen Nationen an. Bei jährlich 6.500 Personen ergibt das eine gewisse Fluktuation. Im Vollzug wird auf die «WG-Tauglichkeit» geachtet – und die richtige Bezeichnung: Der Komplex heißt «Jugenddepartement». Bei Haftbelegung sind die Auflagen der fallführenden Behörden einzuhalten und eventuelle Mittäter_innen bei Kompliz_innenschaft geflissentlich zu trennen.

Die mehr als 1200 «Gäste» werden schon bald in Ausweichquartiere verlegt. Nach Simmering und Hirtenberg. Dort versucht man, zusätzliche Kapazitäten zu schaffen. In der Justizanstalt (JA) Josefstadt ist das komplette Stromnetz zu erneuern. Eine Verkleinerung der Hafträume ist geplant, die Krankenanstalt soll modernisiert werden. Baubeginn 2020.

Häfen-Alltag.

Um sechs Uhr geht automatisch das Licht an. Der Nachtdienst geht durch und macht Inspektion. Um sieben kommt der Weckruf über die Sprechanlage. Um viertel acht wird das Frühstück gebracht und die Post eingesammelt: Ansuchen ans Gericht, Schreiben an Anwält_innen oder private Briefe. Körperpflege zwischen acht und halb zehn. Danach werden die Häftlinge für Termine vor Gericht oder fürs Spital abgeholt, in der JA Josefstadt sind das mehr als 500 Vorführungen pro Woche.

Tageshöhepunkt Mittagessen. Ab halb zwölf sind unter lautem Geklapper und reger Anteilnahme etliche Insass_innen zur Essensausgabe auf den Gängen unterwegs. Sie tragen nicht die übliche Privatkleidung, sondern grüne T-Shirts. Dafür gibt es hygienische und sicherheitstechnische Gründe – im grünen Gewand erkennt man die Hausarbeiter_innen gleich.

Schon zwei Stunden später begibt sich der Tross auf Abendrunde mit Ausgabe des kalten Nachtmahls, halal inklusive, Eckerlkäse mit Toastbrot oder Germteigstriezel. Die Nachtruhe beginnt um halb drei am Nachmittag. Für die Insass_innen bedeutet das, wieder in den Hafträumen eingeschlossen zu werden, wo sie sich mit TV, Brett- & Kartenspielen oder Lesen beschäftigen können. Das ist die gefährlichste Zeit für Aggressionen. Für sanfte Gemüter stehen in der Anstaltsbibliothek etwa 14.000 Bücher aller Herren Länder und Mutter Sprachen zur Auswahl, zum Nach- und Zuschlagen . Acht Stunden später, um 22 Uhr – falls nichts Gröberes passiert ist – geht automatisch das Licht aus. Und im Häfenkalender, den jeder irgendwie führt, wird ein weiterer Tag abgehakt.

«Justizwache» ist ein antiquierter Begriff . Aber noch gibt es sie, die KAS, die «Kaiserlichen Arrestantenschließer» und die Vollzugsstörer auf der anderen Seite der Zellentür – zumindest dem Namen nach, wenn auch das Wienerische hier am Verschwinden ist.

Zum reibungslosen Vollzug benötigt es in der Justizanstalt Josefstadt etwa 600 Bedienstete, davon versehen 440 ihren Dienst in Uniform. Davon eine Hundertschaft in einer speziellen Einsatztruppe in voller Montur und in steter Bereitschaft, um notfalls in Fünfer-Teams (wegen der räumlichen Beengtheit) mit Schlagstock, Schild und Capsaicin-Reizgasspray vorzugehen. Schusswaffen sind im Gesperre verboten – auch der Elektroschock-Taser hat aus menschenrechtlichen Gründen in Österreich (noch) Vorbehalt.

In der JA Josefstadt gibt es etwa 350 der Eigenversorgung dienende Arbeitsplätze: etwa als Installateur_in, Elektriker_in oder Tischler_in, bei der Instandhaltung oder der Gebäudereinigung, in der Bibliothek oder bei der Essensausgabe.

Jugendlichen steht zudem noch eine weitere Möglichkeit offen, sich sinnvoll die Zeit zu vertreiben. Sie können die Pflichtschule beenden oder eine Schnupperlehre absolvieren, als Schlosser,_in Buchbinder_in, Friseur_in oder anderes. Die nötigen Prüfungen sind außer Haus. Wer diese schafft, bekommt ein neutrales Zeugnis, aus dem man keine Rückschlüsse auf die Justizanstalt ziehen kann. Besonders gefragt sind Kurse wie Erste Hilfe, der Europäische Computerführerschein (ECDL), bei den Burschen Staplerfahrer und bei den Mädchen Nageldesign.

Arbeit ohne Geld verstößt gegen die Menschenrechte. Resozialisierung steht nicht nur in den Statuten, sondern dient auch der Anerkennung in der reinsten Form – der finanziellen Wertschätzung. Jeder arbeitsfähige Strafgefangene ist verpflichtet, Arbeit zu leisten. Dafür stehen verschiedene Werkstätten in mehreren Sparten zur Verfügung.

Salz- und Gitterstangln.

In acht Lehrberufen wird in der JA Simmering ausgebildet. In der Bäckerei im Hof vor dem gelockerten Vollzug backen bis zu zehn Lehrlinge nicht nur Brot und Semmeln für fünf weitere Gefängnisse und einen Teil des Landesgerichts: bis zu zehn Tonnen Gebäck werden pro Monat hergestellt, dazu Mehlspeisen und Salzteigwerke.

Die Facharbeiter_innenintensivausbildung existiert seit 1978 in der JA Simmering, mit kurzen bis mittellangen Freiheitsstrafen, worunter der Gesetzgeber eine Haftdauer von bis zu fünf Jahren versteht. Etwa 15 Monate dauert die Ausbildung. «Die Lehre ist die gleiche wie draußen. Einen Unterschied gibt es jedoch: Neben der Tür liegen die Messer. Fehlt eines davon, werden die Häftlinge garantiert nicht deswegen entlassen », schrieb die Tageszeitung Der Standard ironisch.

Der laufende Betrieb in den Justizanstalten wird durch zehn Prozent von eigenen Arbeiten und Leistungen der Insassen getragen. Die meisten Häftlinge wollen arbeiten, um den monotonen Häfenalltag auszublenden und den Knastalltag gut zu überstehen. «Bei der Knastarbeit gibt es mehr Freiheit als anderswo hinter Gittern. Wobei der Entzug der Arbeit auch als Strafe zu verstehen ist, weiß Franz Blaha.

Die Verdienstmöglichkeiten sind ein Kapitel für sich. Externe Unternehmen zahlen laut Tarif neun Euro und siebzig Cent für die Arbeitsstunde. Darin sind keine Lohnnebenkosten enthalten, auch keine Pensions- und Sozialversicherung. Den Knasthacklern werden 75 Prozent als Vollzugskostenbeitrag abgezogen. Dem salopp als «Haflinger» bezeichneten Insassen verbleiben also ein Euro und fünfzig Cent pro Stunde. Somit hätte der Vorwurf Knasthotel seine Richtigkeit. – servus Mindestlohn, hallo Ausbeutung. Die Privatisierung winkt von der Ferne, wie in den USA.

Bei einer 30-Stundenwoche im Häfen also etwa 175 Euro im Monat. Die Hälfte davon wandert in die sogenannte Rücklage für die Zeit nach der Entlassung. Somit bleiben 90 Euro zur Verfügung, um etwa bei der Ausspeisung Hygieneartikel und außertourliche Lebensmittel einzukaufen. Franz Blaha: «Wenn der Häftling ausspeisen geht, ist er verpflichtet, in der monopolähnlichen Gefängniskantine zu oft absurd überteuerten Preisen einzukaufen.» Deswegen sind die von Besucher_innen mitgebrachten Verpflegungspackerln immer noch sehr beliebt.

An oberster Stelle stehen legale Stimulanzien wie Koffein und Nikotin, weil Alkohol und andere Berauschungsmittel verboten sind, weiß Franz Blaha. Aber er kennt auch noch eine andere Häfenwährung: «Zigaretten und Löskaffee haben als Häfn-Währung einen hohen Stellenwert. Ein weiteres Zahlungsmittel ist auch der saubere Harn. Besonders viele müssen nachweisen, dass sie clean geblieben sind, beim gelockerten Vollzug und beim Häfenausgang, um ihre Begünstigungen vor Haftende nicht zu gefährden. Und dann kann es schon vorkommen, dass jemand sauberen Harn benötigt», sagt Franz Blaha der Häfen-Insider schmunzelnd. Denn am Ende steht immer der Häfenausgang.

 

www.justiz.gv.at

JA Wien-Favoriten, Dienststelle 053

10., Hardtmuthgasse 42

JA Mittersteig, Dienststelle 055

5., Mittersteig 25

JA Wien-Josefstadt, Dienststelle 047

8., Wickenburggasse 18–20

JA Wien-Simmering, Dienststelle 034

11., Kaiser-Ebersdorfer-Straße 297

Radio-Augustin sendet am 5. Februar um 15 Uhr auf Radio Orange 94,0 das Interview mit Franz Blaha.