Dort, wo der Verkehrsstau zu Hause ist und die Öffis fehlen.
Eine sonst durchaus vernünftige Freundin von mir bringt ihre Kinder mit dem Auto in Kindergarten und Schule. Geht nicht anders, sagt sie, in Kalksburg gibt’s so gut wie keine Öffis. Wer in Kalksburg wohnt, darf sich als Wiener_in bezeichnen, kann aber vom Klofenster aus schon nach Niederösterreich spucken. Der westlichste Teil des 23. Bezirks liegt verträumt zwischen dem Rand des Wienerwalds und dem Lainzer Tiergarten. Warum sich die öffentlichen Verkehrswege eher weniger verträumt präsentieren und wie das mit dem LKW- und Pendlerverkehr ist, erfahren Sie im aktuellen AUGUSTIN.
Foto: Herbert Modritzky
Wer in Kalksburg wohnt, darf sich als Wiener_in bezeichnen, kann aber vom Klofenster aus schon nach Niederösterreich spucken. Der westlichste Teil des 23. Bezirks liegt verträumt zwischen dem Rand des Wienerwalds und dem Lainzer Tiergarten. Weniger verträumt präsentieren sich die öffentlichen Verkehrswege.
Weil die benachbarten niederösterreichischen Kaltenleutgebner klüger waren, haben sie ihre Durchzugsstraße, mit landesfürstlicher Rückendeckung, für den Schwerverkehr dichtgemacht. Als Konsequenz brausen die LKW, aber auch der Pendlerverkehr, durch Breitenfurt und Kalksburg Richtung Wien. Das betrifft die öffentlichen Verkehrsmittel deshalb, weil die Postbusse, die theoretisch das Gebiet erschließen, sich den größten Teil des Tages im Stau bewegen.
Darunter leiden jedoch nur wenige Busfahrer_innen, denn so viele Busse sind es nicht, die in Kalksburg vorbeikommen. Jede halbe Stunde gibt es die Chance einzusteigen, in der Hauptverkehrszeit öfter, was allerdings durch den erwähnten Stau wieder wettgemacht wird. Menschen mit Kinderwagen und Rollstuhlfahrer_innen spielen sowieso Roulette, weil einige Kurse mit Reisebussen bedient werden, die nicht für den Transport von Kinderwägen oder Rollstühlen geeignet sind. Also unter Umständen eine weitere halbe Stunde warten, und wenn es schüttet, stürmt und schneit, sich in eines der drei ortsansässigen Lokale begeben und dort konsumieren.
Dass die neuen Fahrpläne, gültig seit Mitte Dezember des Vorjahres, als «im Großen und Ganzen eine Verbesserung» angekündigt wurden, zeugt von der Chuzpe der Verantwortlichen.
Bisher kamen die Kalksburger_innen zumindest halbwegs koordiniert vom Wohnort in die Stadt, wenn sie denn ihren persönlichen Rhythmus an den Busfahrplan anpassten und gut zu Fuß waren. Dann erreichten sie, mit dem Postbus in Liesing angekommen, gerade noch die S-Bahn oder den Regionalzug. Jetzt kommt der Bus um zwei Minuten später, und die Betroffenen haben auch in Liesing wieder die Möglichkeit, sich die Wartezeit von zwanzig Minuten durch Konsum zu vertreiben.
Derlei interessante Gestaltungsmerkmale gibt es mehrere. So zum Beispiel gibt es des Morgens von Kalksburg weg einen Intervall von wenigen Minuten. Allerdings endet dieser um 7.14 Uhr. Der folgende Bus kommt theoretisch um 7.23 Uhr, praktisch nicht vor halb acht, und der nächste ist überhaupt erst für 7.49 Uhr vorgesehen. Weil es in Kalksburg selbst nur eine kostenpflichtige und pädagogisch konservative Privatschule gibt, weichen die allermeisten Kinder nach Rodaun oder Mauer aus. Dort gibt es mehrere sehr gute Schulen mit alternativen Konzepten. Wenn man erst mal dort ist. Eltern von Kalksburger Volksschulkindern können sich aussuchen, ob die Kurzen morgens um sieben bereits das Haus verlassen und um halb acht vor der noch geschlossenen Schule stehen. Oder ob sie sich auf den nächsten Bus verlassen und so gut wie jeden Tag zu spät in die Schule kommen.
Zu wenige Passagier_innen?
Die Situation ist nicht nur für Kinder untragbar, sondern auch für Berufstätige, die der Pünktlichkeit unterliegen. Werden dann entsprechende Anliegen der Anrainer_innen von den Verantwortlichen mit dem Argument abgeschmettert, es gebe zu wenige Passagier_innen für eine Intervallverdichtung, hat sich die Katze erfolgreich in den Schwanz gebissen.
Dabei kann man nicht sagen, dass Kalksburg ein verlassener Ortsteil ist. Neben den privaten Bewohner_innen sind auch das Personal und die Gäste einer Pflegeeinrichtung, einer Suchtklinik und der erwähnten Privatschule regelmäßig unterwegs. In anderen Bezirken werden Verbesserungen für eine weit geringere Zahl an Betroffenen umgesetzt. Dass persönliche Interessen, welcher Art auch immer, eine Rolle spielen, behaupte ich an dieser Stelle selbstverständlich nicht.
Seit Jahren kämpft auch eine Bürger_inneninitiative erfolglos gegen die administrativen Windmühlen im Verkehrsressort. Denn nicht nur der öffentliche, auch der Individualverkehr könnte verbessert werden. Zum Beispiel könnten die vielen hundert Eltern der Schüler_innen des Kollegium Kalksburg daran gehindert werden, ihre hoffnungsvollen Sprösslinge täglich mit ihren Riesenschlitten bis vor die Schultüre zu bringen und nachmittags von ebendort wieder abzuholen – oder abholen zu lassen, schließlich hat man Personal. Dass solche Familien übrigens großteils aus dem niederösterreichischen Speckgürtel anreisen, braucht nicht eigens erwähnt zu werden.
Natürlich gäbe es Verbesserungsmaßnahmen, relativ einfach durchzuführen und wirksam: Die Autobuslinie 60A könnte mit einer Schleife bis Kalksburg verlängert werden. Mit einem durchdachten Einbahnsystem und einem Angebot für Kollegiums-Schüler_innen könnte eine dauerhafte Verkehrsberuhigung erfolgen. Die Intervalle der Postbusse könnten, in Absprache mit den Betroffenen, punktuell verdichtet werden. Aber was will man in einer Stadt erwarten, in der es fünfzehn Monate dauern kann, bis ein unbrauchbarer Radständer vor einem städtischen Kindergarten instandgesetzt wird.
Den einzigen Vorteil, den die Situation bringt, möchte ich an dieser Stelle nicht verschweigen: Die meisten Kalksburger_innen, große wie kleine, sind überdurchschnittlich sportlich. Sie verwenden jeden Tag ihre Fahrräder, Roller, Boards oder ihre Beine, wenn sie raus aus Kalksburg wollen.