Die Scheinehe als Fluchtmöglichkeit im Museum Judenplatz
In der Nazizeit war die Scheinehe ein Frauenthema. Die Wissenschaftlerin Irene Messinger recherchierte 120 Frauen, die durch einen ausländischen Ehemann erfolgreich vor den Nazis fliehen konnten.
Foto: Stella und Bobby Kadmon auf Hochzeitsreise © Österreichische Exilbibliothek
«Jetzt wäre der letztmögliche Zeitpunkt», sagt Irene Messinger. «Die Politik könnte sich bemühen. Genau jetzt werfen die Enkel, die von ihren Vorfahren nicht so viel wissen, die Nachlässe weg. Das Mindeste wäre ein Forschungsprojekt, um letztlich ein Excel-Sheet erstellen zu können: Der Nachlass von dieser Frau ist auf die folgenden Archive verstreut …» In Österreich gibt es kein Exil-Archiv, keine Sammlung der Schicksale von vor den Nazis geflüchteten Menschen. Manche konnten durch eine Scheinehe entkommen. Messinger fand über 120 Fälle, von denen zwölf mit Wiener Hintergrund in der Ausstellung Verfolgt. Verlobt. Verheiratet. Scheinehen ins Exil nachzuverfolgen sind. «Ich begann mit Erika Mann und ihrem Umfeld. Dann fand ich schnell ein paar Prominente. Von jeder Konferenz bin ich mit zwei, drei neuen Frauenschicksalen heimgefahren», berichtet die Wissenschaftlerin im «kleinen» Jüdischen Museum am Wiener Judenplatz. «Ein Problem bei der Suche ist, dass die Scheinehe bei den Interviews mit Zeitzeuginnen aus den 1980er- und 1990er-Jahren kein Schlagwort war, daher findet man sie schwer. Die ‹Marriage of Convenience› war als Strategie, erfolgreich vor den Nazis zu flüchten, nicht so bekannt.» Kurzer Moment des Nachdenkens: «Vielleicht wollte man in dieser Zeit, weil die Scheinehe ein aktuelles Thema war, auch nicht anstreifen.»
Ein klassisches Frauenthema
2006 wurde die Scheinehe in Österreich strafrechtlich relevant und ein beinahe unerreichbares Mindesteinkommen für Ehepartner_innen eingeführt, das viele Frauen ausschloss, einen Mann aus einem anderen Land zu heiraten. In den letzten Jahren verschwand das «Scheinehe»-Thema aber – mit einem kurzen Aufflackern, als viele Frauen 2015 Flüchtlinge unterstützten. «Werden die Unterstützerinnen jetzt Flüchtlinge heiraten? – Die Frage tauchte medial auf», erinnert sich Messinger.
In der Nazi-Zeit war die Scheinehe aber eher ein Frauenthema. Sie bekamen die Staatsbürgerschaft automatisch über ihren Ehemann. Klassisch altmodisches Ehe-Denken eben. «1938, 1939 waren die Nazis noch froh, dass die Jüdinnen Österreich verließen. Da herrschte noch die Vertreibungspolitik vor, nicht die Vernichtungspolitik», erklärt Messinger. Die Schauspielerin Stella Kadmon gründete 1938 im Café Prückl den «Lieben Augustin» und «etablierte das politische Kabarett in Wien», wie neben den ausgestellten Gästebuchseiten behauptet wird. Stella Kadmon heiratete ihren Cousin und schleppte ihr Kabarett-Gästebuch bis nach Palästina mit und wieder zurück nach Wien. Kadmon reiste von Jugoslawien aus nach Palästina, denn von dort waren die Visa gratis. Ihr Cousin war nicht begeistert von der vom Familienrat beschlossenen Ehe. «Ich bin so gut wie verlobt», protestierte er. Die Behörden durchschauten diese Scheinehe. Aber die Jugoslawen zeigten die beiden nicht an, sondern verlangten Gebühren, die Verwandte aus Tel Aviv in letzter Sekunde bezahlen konnten.
Wendungen des Lebens
1947 erkämpfte sich Stella Kadmon mühsam den arisierten «Lieben Augustin» zurück, doch das politische Kabaret lief nicht mehr so gut wie vor dem Krieg und der Shoah. «Das Publikum des Kabaretts war ermordet oder vertrieben worden», steht als Erklärung in der Ausstellung. Kadmon gründete daher das «Theater der Courage» am Franz-Josefs-Kai.
In der Ausstellung werden die seltsamen und zum Teil sogar lustigen Wendungen des Lebens gut beleuchtet. Man man etwa, dass Gartenbau-Architektin für Jüdinnen ein angesehener Beruf war, kann sich einen «Reichsfluchtsteuerbescheid» anschauen oder nachfühlen, dass nicht jede Tänzerin begabt für ein Leben als Hausangestellte war. Von Hilde Zaloscer ist die Ehe mit einem Ägypter überliefert, der in ihren Erzählungen einmal ein Kapitän, dann wieder ein Fabriksarbeiter war. Ihre interreligiöse Scheinehe war auf finanziellen Vorteilen erbaut. «Die Bezahlung war häufig ein Tabuthema, doch Hilde Zaloscer erzählte gerne über ihre bezahlte Scheinehe. ‹Ich habe mir einen Ehemann gekauft›, tönte sie immer wieder», lacht Messinger, die gemeinsam mit Sabine Bergler die Ausstellung kuratierte. Die ehemalige Hausangestellte Zaloscer wurde in Ägypten Kunsthistorikerin und 1947 an die Universität von Alexandria berufen. Als Expertin für koptische Kunst. Ihr strenger, ägyptischer Ehevertrag ist ausgestellt.
Info:
Verfolgt. Verlobt. Verheiratet. Scheinehen ins Exil
Bis 7. Oktober im Museum Judenplatz
1., Judenplatz 8