Kann weniger mehr sein?tun & lassen

Illustration: (c) Thomas Kriebaum

Klimazone (Dezember 2023)

Seit ein paar Jahren ist die Vorweihnachtszeit in meiner Familie eine sehr entspannte Zeit. Der Grund: Wir wichteln. War ich früher in der Woche vor Weihnachten damit beschäftigt, nach der Arbeit noch von Geschäft zu Geschäft zu eilen, um für jede und jeden ein Geschenk zu besorgen, kaufe ich nun nur mehr ein einziges Geschenk. Wir haben beschlossen, uns nur noch eine Kleinigkeit zu schenken und dieser Beschluss war unglaublich befreiend.
Weniger zu besitzen, kann Ressourcen schonen und zufriedener machen – unter Umständen. Man spricht dann gerne vom «guten Leben». Ein Konzept, über das wir unbedingt gesellschaftlich diskutieren müssen. Wo liegt die Untergrenze? Was braucht es unbedingt für ein «gutes Leben» und wie kann der Sozialstaat diese Untergrenze für alle sicherstellen? Aber auch: Wo liegt die Obergrenze? Wann ist der Ressourcenverbrauch zu hoch und muss politisch eingehegt werden?
Laut Weltklimarat verursachen die reichsten zehn Prozent der Privathaushalte bis zu 45 Prozent der Treibhausgasemissionen. Hier anzusetzen, wäre ein großer Hebel. Ihn bedienen könnte man beispielsweise über differenzierte CO2-Steuern, die zwischen Luxuskonsum und dem Konsum von Notwendigkeit unterscheiden, oder indem die Produktion von energieintensiven Produkten nicht mehr subventioniert wird. Für die Klimaneutralität braucht es ­da­rüber hinaus aber auch einen neuen Lebensstil für uns alle.
Dieses «gute Leben» zu finden ist keine individuelle Aufgabe, sondern eine politische. Es braucht Rahmenbedingungen, damit wir von «schneller» und «mehr» zu «langsamer» und «weniger» kommen; eine Politik, die einen ressourcenarmen und beziehungsreichen Lebensstil einfacher macht. Das Prinzip Nutzen statt Besitzen muss gestärkt werden, indem dafür Flächen und auch Plattformen zur Verfügung gestellt werden. Gemeinschaftsgärten könnten angelegt, Repair-Cafés subventioniert werden. Statt den Individual- und den Flugverkehr zu subventionieren, müsste der öffentliche Verkehr ausgebaut und der aktive Verkehr, also das Zufußgehen und Fahrradfahren, gefördert werden. Es braucht Stadtviertel mit kurzen Wegen und Wohnungen, die sich den Bedürfnissen der verschiedenen Lebenssituationen anpassen. Warum nicht Wohneinheiten, die nach dem Auszug der Kinder zu groß geworden sind, gegen kleinere tauschen?
Im Rahmen von Bürger:innenräten wurden bereits in vielen Ländern und Städten Bürgerinnen und Bürger nach wirksamen Klimaschutzmaßnahmen befragt. Meist empfehlen sie ebensolche suffizienzpolitischen Maßnahmen: ein Werbeverbot für klimaschädliche Produkte, Tempolimits oder das Verbot von Inlandsflügen. Wollen wir die Bedürfnisse der heutigen Generation befriedigen, ohne zukünftigen Generationen die Möglichkeit zur Bedürfnisbefriedigung zu nehmen, so ist die Frage nach den Bedürfnissen eine, die politisch verhandelt werden muss.
Es geht nicht darum eine Verzichtsdebatte zu führen, sondern einfach ehrlich darüber zu sprechen, wo derzeit Grundbedürfnisse nicht befriedigt werden und wo Überfluss das Klima und den sozialen Zusammenhalt gefährdet.

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