Karl Kraus und die Frauen IDichter Innenteil

Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus, Teil 8

Und besser noch Ehe brechen als Ehe biegen,

Ehe lügen. So sprach mir ein Weib:        

Wohl brach ich die Ehe, aber zuerst brach die Ehe mich.

Friedrich Nietzsche

Was weiß die Welt, wie Weiber sich erwärmen!

Mit seinem Maß nur mag der Mann sie messen,

was drüber ist, verachten und vergessen,

und was darunter, minniglich umschwärmen.“

Karl Kraus

War Kraus ein Frauenfeind, ein Sexist? Ersteres bestimmt nicht, Letzteres vielleicht ..

Die angebliche Frauenfeindlichkeit ist für seine Feinde die Bresche in die verwinkelte Festung Karl Kraus, dessen geistige Autorität vielen heute noch solch ein Affront ist, dass sie dankbar jede seiner Schwächen auswälzen. Und obwohl die Sekundärliteratur auch in dieser Sache mit Verallgemeinerungen nicht geizt, macht es Karl Kraus einem schwer, ihn darin zu verteidigen. Man kann es drehen und wenden, wie man will kontextualisieren, differenzieren, relativieren unverrückbar bleibt sein Credo, die Natur habe dem Weib die Sinnlichkeit als Urquell verliehen, an dem sich der Geist des Mannes Erneuerung hole.

Daran gibt es nichts zu rütteln: Der Sexus sei die Domäne der Frau, der Geist die des Mannes! Selbst Nietzsche, den Kraus schätzte und verachtete, war eine Generation zuvor emanzipierter, suchte der doch verzweifelt nach der Seelenpartnerin und waren seine abfälligen Aphorismen über Frauen eher vom Wunsch nach mehr Geist beseelt, den er ihnen keinesfalls absprach.

Bei genauerer Sichtung seines Lebenswerkes kommt man zu dem Schluss, dass auch Kraus den Frauen den Intellekt nicht verwehrte, sofern er nicht der Knebelung ihrer Natur diente, einer Natur, die eben in ihrem Eros begründet läge. Seine Abneigung galt der Frauenbewegung nur dann, wenn diese zur Hebung ihrer ethischen Autorität und als Protest gegen sexuelle Verfügbarkeit auf die angeborene Sittlichkeit der Frau pochte. In Kraus System war dies nichts als ein Kniefall vor der patriarchalen Moral, die die weibliche Sexualität versklavte. In den ersten Jahren der Fackel ließ Kraus auch feministische Autorinnen publizieren, bewahrte sich ihnen gegenüber so etwas wie eine unschlüssige skeptische Distanz, die allmählich in Spott überging. Seine Bemerkungen über Blaustrümpfe und Suffragetten unterschieden sich von gängigen Herrenwitzen bloß durch ihr sprachliches Niveau und hier wackelt das Dogma, dass Wahrheit sich erst in geistreicher Form manifestiere.

Eine Zäsur, wenn nicht sogar ein Reifesprung zeichnet sich seit dem Beginn seiner Freundschaft mit Sidonie Nádherný und mit Ausbruch des I. Weltkriegs ab, als die barbarische und zutiefst männliche Kumpanei von Grausamkeit, Expansionismus, nationalem Wahn und gesundem Geschäftsgeist all das, was Kraus liebte, Geist, Kultur, Natur, von der Erde zu tilgen drohte während Frauen gesellschaftlich an Profil gewannen, als Opfer, Witwen, Produzentinnen, Protestiererinnen. Kraus dualistisches Geschlechterbild brach nicht ein, doch begannen die mythischen Gegensätze Geist und Sexus in ihren Übergangszonen einander zu durchschlieren.

In praxi finden intellektuelle Frauen und Künstlerinnen in Kraus immer wieder einen eifrigen Fürsprecher. Lange vor dem Krieg fördert er die Dichterin Else Lasker-Schüler, über Mechthilde Lichnowski meint er, sie hätte mehr Geist als sämtliche deutsche Schriftsteller zusammen. Und in seiner Parteinahme für die Opfer männlicher Sittlichkeitsjustiz lobt er oft den Èsprit und das Selbstbewusstsein der weiblichen Angeklagten, exemplarisch bereits 1902 in Sittlichkeit und Kriminalität beim Prozess Rutthofer, wo er einer Gattenmörderin, welche von der Neuen Freie Presse als intellektuell tief stehend gebrandmarkt wurde, attestiert: Selten noch hat ein Angeklagter schlagfertiger die Zumutungen der Gerechtigkeit abgewehrt, überlegener einen pflichtvergessenen Gerichtshof in seine Schranken gewiesen.

Frauenfeindlichkeit zeigt sich zu Kraus Zeiten in zwei Gestalten: in der Dämonisierung der weiblichen Sexualität oder in der Idealisierung der Frau als sittlich höher stehendes Wesen. Entweder ist sie Miststück oder Ikone, und die Ikone steht unter besonders strenger Beobachtung, um beim kleinsten Riss nachzuweisen, was man doch immer geahnt habe, dass sie ein Miststück sei. Zur Not fügt man der Ikone die Risse auch selbst zu.

Beide Auswüchse einer bürgerlichen Rationalisierung sind Karl Kraus ein Gräuel. Es gibt einen bedeutenden Unterschied zwischen ihm und vielen seiner männlichen Zeitgenossen. Wenn er die Frau auf etwas reduziert, dann nicht auf ein Sexual-Objekt, sondern ein Sexual-Subjekt! Kraft ihrer Lustfähigkeit ist ihm die Frau ein kultivierteres Wesen, eine faszinierende Lehrmeisterin ästhetischer und erotischer Sinnesverfeinerung, während es der Mann bloß zur Sinnlichkeit eines Stiers bringe, an anderer Stelle schreibt Kraus auch von sexuellem Tirolertum. Im Orchideengarten der weiblichen Lust führt sich der männliche Sexus wie ein tollwütiges, grunzendes Wildschwein auf, das nach vollzogener Raserei schnarchend zur Seite fällt oder in Kraus eigenen Worten: Weibeslust liegt neben der männlichen wie ein Epos neben einem Epigramm.

Kraus sucht nach der Femme fatale, aber nicht, um sie wie Otto Weininger zu verteufeln, sondern zur Hohepriesterin seiner Zivilisationskritik zu erheben.

In der Tat sexualisiert er die Frau, aber er verdinglicht sie nie. Unmöglich wäre das, ist der Kampf gegen jegliche Verdinglichung doch die Essenz seines kritischen Programms. Das zeigt sich besonders in den späten Schriften, denen nichts mehr von der Zotenhaftigkeit mancher früherer Aphorismen eignet wie beispielhaft in einer Glosse aus dem Jahr 1932, in der er seinen Abscheu vor dem Slangwort Pupperlhutschen kundtut, mit dem der Beisitz eines Motorrades bezeichnet wird: Eine ordinär humorige Verachtung der Frau als eines Zubehörs liegt in der Wortbildung, in der das gebrauchsfertige Pupperl an und für sich magenumdrehend noch dem Zweck des Hutschens unterworfen wird.

Nicht für die Frauen, sondern gegen die Männer

Nicht etwa seine Frauenverachtung, sondern seine Frauenliebe offenbart das Problematische an Kraus Frauenbild. Doch eine reizvolle Paradoxie liegt darin, dass ihm gerade sein konservatives Rollenbild das Tor zum Feminismus aufstieß, ihn zum aufrichtigsten und radikalsten Verfechter einer weiblichen sexuellen Selbstbestimmung werden ließ.

Kritikerinnen wandten ein, das sei ein dekadentes männliches Spiel, mit dem Ziel, sich die Weiblichkeit als befreiten Naturpark der eigenen Triebgelüste zu erhalten. Doch Kraus unterscheidet sich in einem zentralen Punkt vom schmierigen Gestus des Frauenliebhabers, in seiner Männerverachtung, seinem grenzenlosen Hass auf die patriarchale Moral, manifestiert in der bürgerlichen Ehe und der Justiz Ich bin nicht für die Frauen, sondern gegen die Männer. Zeit seines Lebens würde er einen dermaßen leidenschaftlichen und sprachgewaltigen Einmannkrieg gegen die sexuelle Bevormundung der Frau führen, dass jeglicher Vorwurf des Chauvinismus wie ein Staubkörnchen von seiner Weste fällt. Bereits 1902 schmeißt er in Sittlichkeit und Kriminalität den Fehdehandschuh:

Eine Gesittung, die der zwischen Arbeitstier und Lustobjekt gestellten Frau gleißnerisch den Vorrang des Grußes lässt, die Geldheirat erstrebenswert und die Geldbegattung verächtlich findet, die Frau zur Dirne macht und die Dirne beschimpft, die Geliebte geringer achtet als die Ungeliebte, muss sich wahrlich eines Strafgesetzes nicht schämen, das den Verkehr der Geschlechter ein unerlaubtes Verständnis nennt.

Nie zuvor und nie danach wurde das Verhältnis von Frauenunterdrückung, Biomacht und bürgerlicher Doppelmoral grandioser beschrieben. Beinahe 40 Jahre rezipierte er unermüdlich Gerichtsakte und Geldheiratsannoncen, war mit donnernder Wortgewalt überall zur Stelle, wo sich das Recht ins Privatleben mischte und die Verfügungsgewalt über Frauen (Unterleibeigenschaft) exekutierte, wo Ehebrecherinnen verfolgt und Prostituierte diskriminiert wurden. In der Institution der Ehe sieht er nichts als ein Machtverhältnis, eine Beschneidung vor allem weiblicher Freiheit. Grenzenlos ist seine Verachtung des Eheschachers, bei dem die entmündigte Braut das Paar Schweißfüße, das ihr die Vaterliebe zugeführt hat, als Bestimmung und Gnadengeschenk des Schicksals, als die Erfüllung all ihrer Lebenswünsche und als die unabänderliche Fasson der Männlichkeit betrachten muss.

Prostitution: La condition bourgeoise

Karl Kraus unterstützt das Recht auf Abtreibung und die Organisation der Huren. Er verbindet seine Proklamation des Selbstbestimmungsrechtes der Frau mit einer seismographischen Analyse des Zusammenhangs von Triebunterdrückung und Naturbeherrschung. Und geht dabei tiefer als die übliche Patriarchatskritik. Insbesondere in seinen Reflexionen zur Prostitution.

In der Veräußerung von Körper und Intimität erkennt der Bürger mit Schrecken die unentrinnbare Totalität der Warenform und die Fragilität der Institutionen Familie, Ehe, Gattenliebe, deren eigentlicher Sinn in der Festigung seines Herrschaftsanspruchs über die Frau besteht, und in der häuslichen Regeneration seiner Konkurrenzfähigkeit. Die Hure muss er verachten, aus mehreren Gründen: Sie bietet sich zwar als Objekt an, tut dies prinzipiell aber als Subjekt, als Geschäftspartnerin, verkauft ihre ohnehin bedrohliche Sexualität als Ware, versagt ihm dabei aber Lust und Liebe und bestätigt somit weder ihn selbst noch jene Weiblichkeitsprojektionen, mit denen er für ein und allemal Ordnung im Chaos des Sexus machen wollte die Projektionen vom triebhaften und vom liebenden Weib. Und vielleicht gemahnt sie ihn auch daran, wie sehr das Kosten-Nutzen-Kalkül, dem er die Welt unterworfen hat, schon seine eigene Familienidylle durchdringen mag, vor dem er diese schützen wollte. Der Bürger behandelt die Hure wie Dreck, weil sie ihn gerade dort, wo er am unsichersten ist, in seinem Genitalbereich, spüren lässt, dass es keine Bedingungen außer denen des Geschäfts gibt. All das wusste Kraus. Der Strich war ihm noch die ehrlichste und ehrbarste Form des Geschäftslebens.

Prostitution nenne ich den Zustand, der den Menschen innen und außen als Zubehör des Händlers erscheinen lässt, Kunst als das Mittel seiner Reklame, den Künstler als seinen Sandwichman. Prostitution ist eine Lebensauffassung, nach der zwar nicht mehr den Göttern der Kaufmann gehört, aber diesem die Menschheit, die sich als dienendes Glied seinem Ganzen anzuschließen hat, erschaffen, den Schneider zu kleiden und den Gastwirt zu nähren. () Prostitution ist so ziemlich alles, was die Repräsentanten dieser bürgerlichen Welt unternehmen.

Richard Schuberth

Lesetipp:

Nike Wagner: Geist und Geschlecht. Karl Kraus und die Erotik der Wiener Moderne. Frankfurt am Main 1987

teilen: