Katharina gehört allentun & lassen

In Zagreb versammelt: Modelle angewandter Bürgermitbestimmung

OperacijaGrad.jpgIm Rahmen des Projekts Operation Stadt fand zwischen 4. und 7. Dezember in Zagreb eine internationale Konferenz mit dem Titel The Neoliberal Frontline: Urban Struggles in Post-Socialist Societies statt. Eingeladen waren StadtforscherInnen, ArchitektInnen und AktivistInnen aus Europa und den USA.

Die Konferenz sollte die Veränderungen von Städten in den postsozialistischen Gesellschaften Osteuropas reflektieren, die aufgrund der neoliberalen Politik unter dem Druck der größtmöglichen kommerziellen Ausbeutung des Raums stehen.

Stadtplanung, die die Interessen der Öffentlichkeit zugunsten von Profit missachtet, die Privatisierung öffentlichen Raums, der Abbau von Bürgermitbestimmung und schließlich Praktiken, wie gegen diese Entwicklungen anzukämpfen sei, wurden in den Podiumsdiskussionen und Vorträgen diskutiert. Viele der sich in Osteuropa abzeichnenden Entwicklungen ähneln denen im Westen in den 80er und 90er Jahren, wirken sich aber nach Meinung der VeranstalterInnen aufgrund von demokratischen Defiziten, Korruption und dem starken wirtschaftlichen Druck in Osteuropa besonders massiv aus.

In der Podiumsdiskussion mit dem Titel Dissenting Architectural Practices trafen sich AktivistInnen aus Kroatien, Bosnien, Serbien, Montenegro und dem Kosovo, die entweder als informelle Gruppen, EinzelkämpferInnen oder gut organisierte NGOs den Entwicklungen in ihren Regionen den Kampf angesagt haben. Einige dieser Beiträge seien nun näher beschrieben:

Pula/Kroatien

Für die ca. 60.000 EinwohnerInnen zählende Stadt Pula an der Südspitze Istriens wurde erst vor drei Monaten ein Masterplan entwickelt. Von 1991 bis heute fanden bauliche Neuerungen ohne Masterplan, ohne fachliche Expertise, sondern lediglich auf der Basis von Willkür und Korruption statt. Es wurde zwar viel gebaut, Investitionen in öffentliche Infrastruktur blieben aber völlig aus. Aufgrund der fehlenden Bauordnung kam es zur Errichtung von informellen Bauten im öffentlichen Raum, was zwangsläufig zu Konflikten und Problemen führte. Die Pulska Grupa, auf der Konferenz durch Architekt und Aktivist Emil Jurcan vertreten, erstellte eine red map of Pula, wo alle nicht genehmigten Bauwerke eingetragen wurden. Die Hauptaktivität der Pulska Grupa konzentriert sich aber auf Katharina, eine von insgesamt 6 ehemaligen Militärzonen, die sich im Stadtgebiet, direkt am Meer, befindet. Da die meisten Freiflächen rund um Pula bereits für touristische Zwecke verbaut sind, wurde Katharina in den letzten Jahren von den BewohnerInnen der Stadt intensiv genutzt: zum Baden, Fischen, Festefeiern, für Landwirtschaft, ja sogar geheiratet wurde hier. Die mittlerweile sechs Musikfestivals mit bis zu je 5.000 BesucherInnen sind international bekannt.

Die Pulska Grupa rief dieses Gebiet als Common Space aus, organisierte Proteste und entwickelte Equipment für die mannigfaltige Nutzung. Katharina wurde schließlich zu einem Laboratorium, wo in Workshops mit internationalen ArchitektInnengruppen und interessierten BürgerInnen architektonische Konzepte entworfen werden, die die vielfältige Nutzung auch in Zukunft gewährleisten sollten jenseits von Profitinteressen, versteht sich. Hier sollte auch ein Zentrum der postkapitalistischen Kulturen entstehen.

Die Halbinsel Muzil, die ein Viertel der Stadtfläche Pulas ausmacht und ursprünglich laut Masterplan der Bevölkerung als Erholungsgebiet versprochen wurde, soll nun auch wie Katharina und alle anderen ehemaligen Militärgebiete der touristischen Entwicklung preisgegeben werden. Golfplätze, Swimmingpools, Villen und Apartmentanlagen würden den freien Zugang zum Meer verhindern.

Auf Initiative der Pulska Grupa versammelten sich letztes Jahr 500 Leute, öffneten die Tore der bislang abgeriegelten Halbinsel und besichtigten das Gelände. Ein historischer Moment, denn niemand, abgesehen von SoldatInnen, hatte in den letzten Jahrzehnten dieses Gebiet betreten. Für die DemonstrantInnen stand sogleich fest: Die Halbinsel Muzil darf weder für das Militär noch für Tourismuszwecke jemals wieder der Öffentlichkeit entzogen werden.

Kotor/Montenegro

Aufgrund seiner landschaftlichen Schönheit, seiner Strände und seiner mittelalterlichen Städte steht auch Montenegro unter starkem Druck der touristischen Überausnützung.

Vor 11 Jahren gründeten hier sechs Architekturstudentinnen der Uni Belgrad die Gruppe expeditio. Wir waren uns im Klaren, so Tanja Rajic, die expeditio in Zagreb vertrat, dass wir professionelle Architektur nur dann machen können, wenn wir gesellschaftliche Zusammenhänge verstehen und aktiv an Veränderungsprozessen teilnehmen. Deshalb begannen wir, unsere Umgebungen visuell zu prüfen, und sahen die Notwendigkeit, Aktivistinnen zu werden.

Ihre Ziele: nachhaltiges Bauen, Erhaltung von kulturellem Erbe und die Entwicklung von Raumordnungsplänen, die die Lebensqualität aller BürgerInnen erhöhen sollen.

Erreicht hat die Gruppe bislang schon einiges. Beispielsweise wurde ein großes Bauvorhaben von InvestorInnen in unmittelbarer Nähe des UNESCO-geschützten Stadtzentrums von Kotor verhindert. Das Projekt wurde in lokalen Zeitungen als besonders erfolgversprechend beworben. Inwieweit gewachsene Strukturen aber dadurch zerstört würden, war wenigen bewusst. Expeditio schaffte es schließlich mittels Informations- und Aufklärungsarbeit, Diskussionen etc., dieses Bauvorhaben zu verhindern. Mittlerweile zählt die Gruppe ca. 400 Mitglieder. Die Gründerinnen haben eine feste Anstellung und werden bei ihrer Arbeit von freiwilligen MitarbeiterInnen unterstützt. Eine Repräsentantin der Gruppe arbeitet im nationalen Rat für nachhaltige Entwicklung mit. Ein wichtiger Teil der Arbeit ist die Sensibilisierung von BürgerInnen für Belange der Architektur und Raumplanung. So lud expeditio die MontenegrinerInnen ein, Fotos von je einem guten und einem schlechten Architekturbeispiel an sie zu schicken, diese zu begründen und damit den Autoritäten ihre Meinung kundzutun. In einer Ausstellung in Podgorica wurden diese Fotos schließlich präsentiert. Besonders ermutigend, so Tanja Rajic, war für uns und die vielen anderen NGOs in Montenegro der Erfolg der NGO Most (Brücke), die den Bau eines Staudammes im Tara-Canyon (dem zweitgrößte Canyon nach Colorado) verhindern konnte.

Split/Kroatien

Mirko Petric, Lektor an der Uni Split, berichtete von der geplanten Absiedelung des Hafens der Stadt Split. Die unmittelbare Nähe von Hafen, Bahnhof und Busstation gewährleistet bis dato eine perfekte Verkehrsanbindung, sowohl regional als auch national und international. Der Hafen von Split ist der drittgrößte mediterrane Passagierhafen. Da im Sommer die Preise auf den vielen Inseln in der Umgebung exorbitant hoch sind, kommen die BewohnerInnen häufig nach Split, um auf dem Markt einzukaufen, Amtswege zur erledigen oder Spitäler und Schulen aufzusuchen, was heute in einem Tagesausflug bewerkstelligt werden kann, da der Hafen sich gleich neben dem Stadtzentrum befindet.

Nach Beratung durch die Horvath Consulting Group will die Stadtverwaltung den Hafen nun einige Kilometer nördlich des Stadtzentrums verlegen, denn der jetzige Hafen soll nur noch Jachten und Kreuzschiffen also den TouristInnen zur Verfügung stehen. Die Verlegung des Fähr- und Frachthafens würde für alle anderen Reisenden eine massive Verlängerung und unnötige Verkomplizierung der Wege bedeuten. Mirko Petric sieht das Grundübel für Fehlentwicklungen auch in der ArchitektInnenausbildung, denn Belange der Stadtplanung würden hier viel zu wenig behandelt, und auf seine Frage, wie viele ArchitekturstudentInnen sich auf dem Kongress befänden, hoben nur vier Leute die Hand.

Belgrad/Serbien

Aufgrund der Isolierung Serbiens im Zusammenhang mit dem Krieg in den 90ern gab es in Belgrad eine sehr eingeschränkte Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur seitens der Stadtregierung. Die Menschen mussten sich selbst organisieren, um das Leben in der Stadt aufrechtzuerhalten. So gelang es beispielsweise, den öffentlichen Verkehr mit Privatautos zu bewältigen, es gab sogar Fahrpläne und ein Ticketsystem. Die Normalisierung hat diese Initiativen aber wieder beseitigt. Die serbisch-niederländische Gruppe stealth.unlimited, hier vertreten durch Ana Dzokic, untersuchte diese Formen der Selbstorganisation, betrachtet sie als Demokratisierung des öffentlichen Raums und versucht, dieses Potenzial für Bürgerbeteiligungsprozesse im Stadtplanungsbereich zu nutzen. Unter dem Titel Archi-Phoenix nahm die Gruppe an der letzten Architekturbiennale in Venedig teil. Statt Ausstellungsfläche war der Pavillon Plattform für Diskussionen, Workshops und Vorträge. Der Titel Archi-Phoenix spielt auf den Brand an, der die Architekturuniversität in Delft letztes Jahr zerstört hat. An dieser Uni wurden viele StararchitektInnen ausgebildet, die an internationalen Fehlentwicklungen maßgeblich beteiligt waren. Der Feuervogel steht für den Beginn einer neuen Ära, die ArchitektInnen eine Chance gibt, sich im gesellschaftlichen Kontext neu zu positionieren und über das bloße Planen von Gebäuden hinauszudenken.

In den spannenden und teilweise sehr kontrovers geführten Diskussionen war aber dann vor allem von der Wichtigkeit der internationalen Vernetzung der Gruppen und dem permanenten Erfahrungsaustausch die Rede. Für Interessierte seien die Mitschnitte der Konferenz und die englische Konferenzzeitung mit Beiträgen der teilnehmenden WissenschaftlerInnen (als PDF) sehr empfohlen (alles unter www.operacijagrad.org/en/).

 

Infos:

pulska.grupa.googlepages.com

www.archis.org

www.stealth.ultd.net

www.expeditio.org

www.platforma981.hr