KaufsuchtDichter Innenteil

Und die Überzeugung, nicht die Einzige zu sein, ist auch kein Trost

Bei meinen Recherchen zu dem Thema Kaufsucht lernte ich Frau Susanne R. kennen. Eine Frau Anfang vierzig, die in gut situierten Verhältnissen aufwuchs, bis vor drei Jahren beruflich äußerst erfolgreich war und ein respektables Gehalt bezog. Heute lebt Frau R. am Existenzminimum. Nach exzessiver Kaufsucht und zwei Selbstmordversuchen lebt Frau R. heute in einer Sozialwohnung am Rande der Gesellschaft mit all den Vorurteilen über Sozialhilfeempfangende.Ich dachte immer, es wäre purer Leichtsinn, so tief in Schulden zu geraten. Spätestens nach dem Gespräch mit Frau R. wurde mir bewusst, dass es jeden von uns treffen könnte. Der Tod eines geliebten Menschen, das Verlassenwerden vom Lebensgefährten und die daraus resultierende Einsamkeit waren die Auslöser dieser Kaufsucht. Frau R. kompensierte ihre Verluste durch das Einkaufen von Waren, die ihr das Alleinsein erleichterten, bis sie den völligen Überblick über ihre Lage verlor.

Die Grenze zwischen einem Frustkauf und der Kaufsucht ist eine fließende. Wenn aus dem Frustkauf der immer wiederkehrende Drang, Dinge zu kaufen, entsteht, spricht man von der klassischen Kaufsucht. Die Kaufsucht verläuft anfangs unauffällig, da Kaufen ein Zeichen von Wohlstand ist und in unserer Gesellschaft als positiv gewertet wird. Je mehr Güter präsentiert werden, desto höher ist das Ansehen. Heute definieren sich hauptsächlich Jugendliche, Frauen und Singles über das Konsumieren. 80 Prozent der Betroffenen sind Frauen. Vor allem Kleidung, Schmuck und Kosmetika werden erworben. Bei Männern sind es vorwiegend Elektronik- sowie Fitness-Geräte, die ihren Minderwertskomplex kaschieren sollen. Bei fortgeschrittener Sucht nimmt allerdings das Interesse für den erworbenen Gegenstand kontinuierlich ab. Bis zu dem Punkt, wo die Ware nur mehr gehortet, versteckt oder gleich wieder weggeworfen wird. Der Kaufsüchtigen ist nicht der Besitz des Erworbenen wichtig, sondern der Kick beim Kauf bringt die Euphorie. Kurz danach geht dieser Reiz verloren, die Betroffene quält sich mit Selbstvorwürfen und fällt nicht selten in eine Depression, die wiederum zum Kauf animiert. Ein Teufelskreis, der nur extrem schwer zu durchbrechen ist, wenn man sich einmal im Strudel der Sucht befindet. Die daraus entstehenden massiven Geldengpässe verleiten zur Kontoüberziehung bis zum Limit und zum Ausborgen von Geldern, die nicht mehr zurückgezahlt werden können gar Rücklagen der Kinder werden aufgekündigt. Der massive finanzielle Engpass endet meist im völligen Ruin. Schwerwiegende psychische und physische Probleme bis hin zum Selbstmord sind die Folge. Die bedrohte Existenz wird totgeschwiegen die heile Welt mit einem Lügengerüst aufrecht erhalten, bis zur völligen Erschöpfung, so wie es bei Frau Susanne R. der Fall war. Hier ihr Bericht:

Anfangs beschränkte ich mich ausschließlich auf die Dinge, die ich wirklich brauchte. Meist waren es Sonderangebote und kleine Dinge, die den Alltag verschönerten. Aus dem Notwendigen wurde bald ein Muss, und die Kleinigkeiten wurden immer teurer und pompöser, die ich mir im Normalfall nur zu besonderen Anlässen gegönnt hätte. Schmuck, Bekleidung, Kosmetika, Haushaltsgeräte und eine Menge an unnötigem Kram sammelten sich an. Was ich nicht übereilig sofort bestellte, ließ ich mir mittels Warteliste zum Sonderangebotspreis sichern. Diesen Service boten diverse Verkaufssender an. Die Strategie ist immer dieselbe. Der Druck, schnell zu kaufen, stand an erster Stelle, sonst sei das begehrte Stück weg.

Immer öfter ließ ich mich auf diese Listen setzen. Anfangs konnte ich die Rechnungen problemlos begleichen, später hob ich immer öfter Geld vom Sparbuch ab und überzog das Konto. Gelegentlich schickte ich auch einzelne Artikel zurück. Spätestens nachdem ich bei der Bestellaufnahme gefragt wurde, warum ich eigentlich die Ware zurückschicken würde, ob ich damit nicht zufrieden sei, war mir diese Art von selbst auferlegter Sparmaßnahme aus Scham nicht mehr anwendbar. Ich habe mich zutiefst geniert und retournierte nichts mehr. Egal ob mir die Ware gefallen, gepasst hat oder zu meiner Zufriedenheit war.

Es gelang mir dann doch ein wenig Abstand zu gewinnen und kaufte wirklich nur mehr gelegentlich. Leider hielt das Ganze nicht lange an. Nach dem plötzlichen Tod meiner geliebten Großmutter und der Trennung von meinem Lebensgefährten, beide Ereignisse brachen innerhalb von zwei Wochen auf mich herein, tröstete ich mich wieder mehr und mehr mit Shoppen. Hauptsächlich hing ich jetzt vorm Fernsehgerät ab und ließ mich berieseln. Aufgrund der höchst anregenden Kaufmanipulation verlor ich komplett den Verstand und damit völlig die Übersicht über meine finanzielle Lage. Ich kam dabei nicht auf die Idee, dass es sich hier um genau kalkulierte Verkaufstaktik handelte, sondern glaubte, bei jedem günstig erworbenen Artikel das Himmelreich gekauft zu haben.

Sehen Sie, wie wunderbar Sie aussehen könnten, wenn Sie sich das gönnen würden!

Es war nicht die Ware allein, die mich so betörte, sondern die Live-Ansprache der Moderatoren und die äußerst höflichen Damen und Herren bei der Bestellaufnahme. Allein in meiner Wohnung, verlassen von all den geliebten Personen, war es ein leichtes Spiel, mich zum Kaufen zu bewegen. Ich war ein Opfer meiner Einsamkeit, das zum Spielball der Verkaufsindustrie geworden war. Die Faszination der knallharten, schmeichelnden Präsentation war für mich wie die Absolution. Das Bewusstsein, dass die Konten wie auch die meisten Kreditkarten bereits ziemlich erschöpft waren, konnte den „Kaufwahn nicht stoppen.

Nach außen hin gab ich mich so, als wäre alles in bester Ordnung. War immer mit den neuesten Klamotten unterwegs. Schmuck und verschiedene Parfüms rundeten mein Auftreten positiv ab. In meiner Wohnung standen mittlerweile zweiunddreißig Tiffany-Lampen herum, Puppen und Teddybären der verschiedensten Künstlerinnen verstaubten dazwischen. Zu den besten Zeiten waren es so an die zweihundert Stück. Eine Vielzahl an Schränken für Schmuck und anderen Krimskrams rundeten meinen Wohnbereich ab. Im Badezimmer türmten sich die Kosmetika, einige gammelten schon vor sich hin. Mein Kleider- sowie mein Schuhschrank waren zum Bersten voll. Dafür bewunderte man mich, was wiederum mein Selbstwertgefühl stärkte. Ich war die Gefangene, inmitten dieses Luxus, den ich mir gar nicht leisten konnte. Und ich drehte mich im Kreis, immer schneller und schneller. Mit jedem Cent, den ich ausgab, näherte ich mich mehr und mehr dem Bankrott. Mir fiel dabei nicht einmal auf, dass mich der Besitz dieser Dinge mit der Zeit gar nicht mehr befriedigte, sondern nur mehr der Moment des Kaufs, der den glückseligen Rausch verursachte. Ein geiler Trip, der nur wenige Momente anhielt, bis zum nächsten

Anfangs machte ich mir darüber noch Sorgen und lag oft die ganze Nacht wach im Bett. In meinen Gedanken ordnete ich die Ausgaben und Einnahmen. Bezog schon Geld mit ein, das ich überhaupt nicht fix hatte. Wollte noch mehr Überstunden machen, aber wie ich es drehte und wendete, es kam immer ein gewaltiges Minus heraus. Mittlerweile sparte ich schon bei den Lebensmitteln, ließ mich von meiner Mutter bekochen und nahm auch noch das meiste an Lebensmittel mit nach Hause. Meine Eltern freuten sich über meinen gesunden Appetit, aber mein Aussehen veränderte sich allmählich, und das verlorene Gewicht war mir bereits deutlich anzusehen. Da blieben Fragen nach meinem Befinden nicht aus. Ich log wie Politiker vor einer Wahl und führte mein mageres Aussehen auf den Stress zurück. Stress hatte ich mit Sicherheit, allerdings aus anderen Gründen, als jene, die ich zum Besten gab.

Zum dramatischen körperlichen Verfall gesellten sich massive psychische Beschwerden. Ich fand kaum noch Schlaf. Es kam nicht selten vor, dass der Fernseher am nächsten Morgen noch an war. Das eindringliche Gefasel der Moderatoren begleitet mich bis auf die Toilette. Des Öfteren gab ich noch eine Bestellung ab, bevor ich zur Arbeit ging. Mittlerweile fehlte mir schon dermaßen der Überblick, dass ich beim Eintreffen der Ware gar nicht mehr wusste, was ich bestellt hatte. Immer mehr ungeöffnete Pakete stapelten sich an den Plätzen, wo vorher Puppen und Bären herumsaßen. Die hatte ich bereits in den Keller verfrachtet. Irgendwann kam ich auf die wahnwitzige Idee, ich könnte doch mal Lotto spielen und fing zu allem Unglück dann auch noch exzessiv zum Spielen an, mit der Hoffnung auf den großen Gewinn. Schließlich verkaufte ich mein Auto. Versicherung und Tankfüllungen konnte ich mir nicht mehr leisten. Ich verscherbelte mein zwei Jahre altes 25.000-Euro-Auto dem Nächstbesten weit unter dem Wert. Mit 5000 Euro gab ich mich zufrieden.

Es erfolgte auch der soziale Absturz. Ich traf mich immer weniger mit Freunden und Kollegen. Ließ mich für Wochen krank schreiben, und wenn ich zur Arbeit ging, war ich bei jeder Gelegenheit im Internet unterwegs, um ja kein Angebot zu verpassen. Ich zog mich immer mehr zurück, blieb zu Hause und starrte stundenlang in den Fernseher. Meine Eltern hielt ich von diesem Moment an konsequent von meiner Wohnung fern. Die hätten das Chaos, das mittlerweile bei mir herrschte, gesehen.

Ich dachte schon in der Nacht darüber nach, was ich mir am nächsten Tag erwerben könnte. Hatte ich nicht mehrmals täglich den Kick des Kaufens, stellten sich Entzugserscheinungen ein. Ich begann zu zittern. Nicht selten glitt mir irgendetwas aus der Hand. Innerliche Unruhe, Herzrhythmus-Störungen und Schweißausbrüche, ohne mich vorher körperlich verausgabt zu haben, traten oftmals zusammen auf. Dass dies Entzugserscheinungen sein könnten, war mir nicht bewusst, besser gesagt, diesen Gedanken ließ ich unter keinem Umstand zu. Allmählich wurde mein Umfeld darauf aufmerksam, trotz vehementer Vermeidung an Konfrontationen. Ich stritt alles ab. Beschimpfte meine Eltern, meine Freunde, die Bekannten, sie würden mir mein Luxusleben nicht gönnen. Ich hasste sie, im Grunde hasste ich mich. Doch ein Eingestehen, dass mir mein Leben schon lange aus den Händen geglitten war weit gefehlt. Dann plötzlich das böse Erwachen. Die seit einem Jahr nicht bezahlte Miete wurde mir zum Verhängnis und setzte dem Treiben ein jähes Ende. Als der Gerichtsvollzieher mit dem Delogierungs-Bescheid vor der Tür stand, half nichts mehr. Unvermittelt, da ich ja keine Post mehr öffnete, die diesen angekündigt hätte, sollte ich meine Wohnung räumen. Tiefes Loch, ich existierte nicht mehr.

Statt dem Himmelreich die Irrenanstalt

Stillstand, Todessehnsucht, an das erinnere ich mich noch, als ich beschloss, aus diesem Leben zu scheiden. Alles andere lag im Nebel, ich kann mich an nichts mehr erinnern. Mein Bewusstsein erlangte ich erst wieder, als ich mit einem gestohlenen Auto im Schlafzimmer eines älteren Ehepaares, nachdem ich die Hauswand durchbrochen hatte, stand. Unverletzt!!! Statt dem Tod als Erlösung, erwartete mich die Irrenanstalt.

Der Kampf, den ich in der Psychiatrie auszufechten hatte, überbot alles, was ich in meinem Leben an Schlechtem schon erlebt hatte. Da es für Kaufsüchtige keine Ersatzmedikamente wie für Drogensüchtige gibt, erlebte ich die ersten Wochen in der Geschlossenen wie einen Albtraum. Die Gesprächstherapie, die man mir verordnete, konnte ich zunächst nicht wahrnehmen im wahrsten Sinne des Wortes. Es dauerte für mich eine Ewigkeit, bis ich allmählich zu Besinnung kam. Als mir bewusst wurde, warum ich hier gelandet war, verübte ich gleich einen zweiten Selbstmordversuch.

Heute, ein Jahr danach, habe ich zwar meine Kaufsucht einigermaßen im Griff, dank intensiver Gesprächstherapie mit meiner Psychologin und einer Selbsthilfegruppe für Kaufsüchtige. Geheilt bin ich noch lange nicht. Noch immer ist der Drang nach der Droge Kaufen sehr hoch. Da ich mit über 50.000 Euro verschuldet war, musste ich Privat-Insolvenz anmelden, und somit wurde mir jeglicher Einkauf unterbunden. Alles, was zu Geld gemacht werden konnte, wurde verkauft, um die Schulden ein wenig zurückzahlen zu können. In meiner Wohnung durfte ich bleiben. Die ausständigen Mieten wurden vom Sozialamt beglichen, wie auch die offenen Strom- und Gas-Rechnungen. Grund für die Begleichung der Kosten waren meine zwei Selbstmordversuche, der sechsmonatige Aufenthalt in der Psychiatrie und das eingeleitete Insolvenz-Verfahren. Man wollte mir dadurch einen neuen Anfang ermöglichen. Ich wurde allerdings für sieben Jahre auf das Lebenseinkommens-Minimum gesetzt. Damit kann ich leben.

Brigitte Hirmann verfasste die Einleitung und hielt den mündlichen Bericht von Frau R. fest.

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