Kein Bettler nimmt uns etwas wegtun & lassen

Editorial

Was ist der Unterschied zwischen einer als seriös geltenden Tageszeitung und eines täglich mit vielfach größerer Auflage erscheinenden Revolverblatts? Die Distanz bzw. Nähe zum Superlativ. Ruf nach Bettelverbot wird laut, titelt das Großformat Die Presse. Ruf nach Bettelverbot wird lauter, informiert das Kleinformat Kronenzeitung. Die vornehme Zurückhaltung der ersteren Version widerspiegelt die Beherrschtheit des Bildungsbürgertums, aber vielleicht täusche ich mich und die Steigerung von laut zu lauter gibt eine reale Eskalaton wieder, liegen doch zwischen dem Presse- (11. Juli 06) und dem Krone-Titel (16. Juli 06) immerhin fünf Tage.

Also noch mal von vorne. Was ist der Unterschied zwischen einer als seriös geltenden Tageszeitung und eines täglich mit vielfach größerer Auflage erscheinenden Revolverblatts? Es gibt keinen. Beide erzeugen die Stimmung, die sie als so genannte Stimmung des Volkes zu reflektieren vorgeben. Beide reden den Menschen ein Bedrohungsszenario ein und entdecken unschuldig, dass unter den Menschen ein Gefühl der Unsicherheit aufgekommen sei.

Augustin-LeserInnen, die mittlerweile zu veritablen Karl Kraus-KennerInnen geworden sind (besten Dank, Herr Schuberth), ahnen, dass Kraus diese verschlagene Umkehrung der Kausalität den Journalisten des Großformats hinter die Ohren gerieben hätte, während er das Kleinformat ignoriert hätte, dessen Schreiberlingen er ohnehin nichts als das Handwerk der Lüge zutraute.

Die RedakteurInnen der Presse vergessen die ihnen eingetrichterte Ächtung jedweden Meinungsdralls in der Nachricht, um dieser den einzig gewünschten Drall zu geben: Jede Formulierung soll mithelfen, die Bettelmafia zu konstruieren, als sei sie ein reales Gebilde, das Österreichs Sicherheit gefährde. Diese Mission verbietet den Presse-MitarbeiterInnen die simple, neutrale Notiz, Gruppen von BettlerInnen, organisiert oder nicht, kämen busweise nach Wien. Nein, ihre Standardformulierung lautet, sie werden mit Bussen nach Wien gekarrt, eine Schreibweise, die das Mafia-Klischee unterstützt, indem sie den Mythos des Menschenhandels und der skrupellosen Hintermänner wach hält.

Wenn eine Romni in der Slowakei keine Chance auf einen Job hat, der ihr 100 Euro im Monat bringt, braucht sie keine Mafia, die sie in den Westen zwingt, sondern sie besucht organisiert oder als Einzelperson jene reiche, nahe gelegene Stadt, in der sie die 100 Euro innerhalb weniger Tage erbetteln kann (ein Einschub zum Schmunzeln: St.Pöltens FPÖ-Stadtparteiobmann Peter Sommerauer hat dieser Tage von Tageseinnahmen um die 1000 Euro gesprochen).Tut sie das organisiert, wird sie einen Teil des Einkommens an den Reiseorganisator abliefern müssen, der entweder halbwegs fair ist oder die Not seiner Passagiere ausnützt. Wenn das österreichische Zentralorgan des Katholizismus & Kapitalismus diese gewiss hierarchische und patriarchalische Arbeitsteilung als mafia-artig darstellt, müsste es uns erklären, wo in der Wirtschaft eine Alternative zur Mafia vorgelebt würde..

Aus Anlass des einzigartigen absoluten Bettelverbots in Fürstenfeld und in Anbetracht des populistischen Echos (Wien … Graz … St.Pölten muss Fürstenfeld werden!) lechzen wir nach Beispielen von Widerspruch in einer klaren, unmissverständlichen Sprache der Humanität, die den so erfolgreichen Feinbildpflegern (Bettler/Mafia/Osten) den Wind aus den Segeln nähme. Ich glaube, ich habe ein Beispiel entdeckt:

Wenn es dazu kommen sollte, dass alle Städte Österreichs dem Beispiel Fürstenfelds folgen würden, dann wäre Österreich das egoistischste Land Europas. Es kann nicht wahr sein, dass wir bei uns nicht Platz haben für einige Menschen, die nichts anderes tun, als uns ihre Armut vor Augen zu führen und um Mitgefühl und Hilfe zu bitten. (…) Wenn wir den Zug der Armen nach Europa und in unser Land nicht mehr als eine Flucht aus äußerster Not erkennen wollen, dann werden wir irgendwann auch für uns die Konsequenzen zu spüren bekommen. Die Grenzen zwischen Arm und Reich rücken immer näher. Irgendwann ist es der Nachbar, dessen Not ich nicht mehr sehen will, weil ich mein schlechtes Gewissen nicht ertragen kann. Kein Bettler nimmt uns etwas weg! Niemand muss ihm etwas geben! Wer ihm aber grundsätzlich die Möglichkeit wegnimmt, uns sichtbar um Hilfe zu bitten, der nimmt ihm die letzte Chance, für sich und seine Familie ein minimales menschenwürdiges Leben zu führen.

Ich zitierte aus der Presseerklärung der Diözese Graz-Seckau vom 7. Juli 2006. Notwendige Worte in einer Zeit, in der in diesem Fall: leider! kaum wer der Kirche zuhört. Doch, ein Internet-User hat zugehört. In einem der Netzforen hat er den Gedanken weiter geführt: Kein Bettler nimmt uns etwas weg! Niemand muss ihm etwas geben! Nur die Politiker nehmen uns etwas weg. Wir müssen geben, was sie fordern. Wenn ich Populist wäre, müsste ich nun von der Politikermafia reden.

Ich träume, dass U-BahnfahrerInnen regelmäßige Durchsagen der Wiener Linien hören, mit denen die Betriebsführung auf Fahrgastbeschwerden gegen die Bettelei in den Waggons reagiert: Kein Bettler nimmt uns etwas weg!. Doch die Stadt ist kalt geworden. Für die realen Durchsagen wurden nicht Diözesan-Sprecher, sondern Werbe-Kreativlinge beauftragt. Die Fahrgäste werden aufgefordert, den Bettlern nichts zu geben. Die Wiener Linien glauben nämlich, eine Art Sachwalterschaft gegenüber ihren Fahrgästen ausüben zu müssen, um diesen die Entscheidung abzunehmen, wie sie sich gegenüber BettlerInnen verhalten.