Kein Kinderspieltun & lassen

Damit Kindergärten ihrer Aufgabe als erste Bildungs­institution nachkommen können, müssen die Bedingungen stimmen. Die sind aber verbesserungswürdig, sagen Pädagog:innen seit Langem.

TEXT & FOTO: RUTH WEISMANN

«Kindergärten – weniger lange Öffnungszeiten» titelte orf.at am 15. September. Klingt so ziemlich nach dem Gegenteil von dem, was Bund und Länder in der 15a-Vereinbarung zur Elementarpädagogik eigentlich ausgemacht haben: Das Betreuungsangebot soll flächendeckend zur Verfügung stehen und ausgebaut werden. Die Betreuungsquoten in Österreich sind in den letzten Jahren zwar gestiegen. Es gibt aber auch noch den Vereinbarkeitsindikator für Familie und Beruf (VIF), der ein Betreuungsangebot von 47 Wochen pro Jahr montags bis freitags, mindestens 45 Wochenstunden und an vier Tagen mindestens neuneinhalb Stunden vorsieht.
Laut Statistik Austria sind 93,8 Prozent der Drei- bis Fünfjährigen betreut, der Anteil der Betreuungen in Einrichtungen nach VIF-Standard sank aber zuletzt von 51,8 auf 49,3 Prozent. Bei den Unter-Zweijährigen liegt die Betreuungsquote generell nur bei 29,1 Prozent.

Gute Begleitung.

N., die nicht mit ­vollem Namen genannt werden ­möchte, arbeitet seit April als Pädagogin in ­einem Kindergarten eines privaten Trägers im 15. Wiener Gemeindebezirk. Die letzten zwei Jahre war sie als Assistentin in anderen Kindergärten beschäftigt, während sie ihre berufsbegleitende Ausbildung zur Elementarpädagogin absolvierte. Zuvor hat sie ein Sprach-Studium sowie die Ausbildung als Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache abgeschlossen und in einer Volksschule unterrichtet. «Ich habe mich für Elementarpädagogik entschieden, weil ich in meiner Zeit in der Volksschule gesehen habe, dass Kinder von Anfang an eine gute Begleitung und Unterstützung brauchen, vor allem was das Soziale und das Emotionale anbelangt. Ich möchte ganz von Anfang an dazu beitragen, dass Kinder gute Erfahrungen machen.»
N. liebt ihren Beruf. Aber die Bedingungen, sagt sie, seien hart. Die Gruppen waren an ihren bisherigen Arbeitsplätzen meist zu groß, das Personal meist zu wenig. «Gerade in der Kleinkindgruppe ist das schwierig. Wenn 15 Kinder da sind, aber nur eine Päda­gogin und eine Assistentin, kann man den Bedürfnissen der jungen Kinder nicht gerecht werden. Wenn dann die Assistentin noch in die Küche gehen muss, ist es unmöglich, sehr gute Arbeit zu leisten, die man aber eigentlich erbringen will.»
15 Kinder dürfen laut Wiener Kindergartenverordnung (WKGVO) in ­einer Kleinkindgruppe, also der ­Krippe, von einem:r Kindergartenpädagog:in und einem:r Assistent:in ­betreut werden. Bei Kindern ab drei ­Jahren dürfen bis zu 25 in der ­Gruppe sein, mit ebenfalls jeweils einem:r Kindergartenpädagog:in und einem:r Assistent:in.

Mehr Personal, mehr Geld.

Laut dem Österreichischen Berufsverband der Kindergarten- und HortpädagogInnen wäre für die Krippe ein maximales Verhältnis von Kind zu Pädagog:in von 1:4 und im Kindergarten (Drei- bis Sechsjährige) höchstens 1:7 am besten. Die optimale Gruppengröße liege bei höchstens 12 (Krippe) und höchstens 20 Kindern (Kindergarten).
Die Realität sieht in vielen Einrichtungen anders aus, sagt Monika Ude, Stellvertretende Vorsitzende des Netzwerks Elementare Bildung Österreich (NeBÖ). Auf eine Gruppe mit 25 Kindern von drei bis sechs Jahren in Wien komme derzeit eine Pädagogin, sagt Ude, die seit über zehn Jahren als Elementarpädagogin tätig ist. «Es sind auch immer ein paar Kinder dabei, die einen erhöhten Förderbedarf haben.» Das bestätigt N.: «Wenn ein Kind eine Sprachverzögerung hat, das ­kenne ich aus meiner Praxis, dann sehe ich zwar, was das Kind benötigt und ­müsste eins zu eins mit dem Kind arbeiten. Wenn ich als Pädagogin aber alleine in der Gruppe mit einer Assistentin und 24 anderen Kindern bin, ist das unmöglich. Das Kind bräuchte kontinuierliche Unterstützung.» Für die Pädagog:innen selbst ist die Arbeit oft sehr anstrengend. «Ich beginne um 7 Uhr, arbeite bis 15.30 Uhr, bin immer bei den Kindern, und manchmal komme ich am Nachmittag drauf, dass ich noch nicht auf der Toilette war und zu wenig getrunken habe», erzählt N.
Die Betreuungsverhältnisse in einzelnen Einrichtungen hängen u. a. davon ab, was Assistent:innen alles zu tun haben. Sie sind dafür zuständig, die Pädagog:innen in der Gruppe zu unterstützen. Eigentlich. Denn oft verbringen sie viel Zeit mit anderen Tätigkeiten. «Die großen Häuser haben zum Beispiel Reinigungskräfte. Aber in kleineren Häusern ist eine Assistentin teilweise zuständig für Essensbestellung, Einkauf, tägliche Reinigung, Essenszubereitung, Geschirr und so weiter», zählt Ude auf und fragt: «Wann soll sie die Pädagogin unterstützen? Wenn sie ein Drittel ihrer Arbeitszeit in der ­Gruppe ist, dann ist das schon viel.»
Die WKGVO schrieb bislang ein:e Kindergartenpädagog:in im Ausmaß ­einer Vollzeitstelle und eine Assistenzkraft mit mindestens 20 Wochenstunden pro Gruppe vor. Die Stundenanzahl für die Assistenzkraft wurde ab diesem September auf 40 Stunden erhöht. 13 Millionen Euro gibt es dafür von der Stadt. Ein Schritt in die richtige Richtung, meint Monika Ude, aber: «Die ­Assistenzkräfte fallen nicht vom Himmel. Und wenn es sie gibt, dann müssen sie erst eingeschult werden. Durch Corona kommt es aber immer noch zu vielen Krankenständen beim Personal. Eine einzige ­40-Stunden-Kraft kann sich nicht zweiteilen, sie ist ja trotzdem physisch nur in einer Gruppe.»

Drop-out-Rate.

Ein Grund für den Mangel an Personal liegt auch in Pensionierungswellen. Eine der größten Ursachen, so Ude, liege jedoch darin, dass viele ausgebildete Pädagog:innen nach ein paar Jahren wieder aus dem ­Beruf ausscheiden oder erst gar nicht zu ­arbeiten anfangen. Vor allem die sehr jungen Absolvent:innen der Bildungsanstalten für Elementarpädagogik (BAFEP) mit fünfjähriger Ausbildung entscheiden sich oft für einen anderen Beruf oder ein Studium. Und bei einigen, die viele Jahre im Kinderdienst tätig waren, macht sich irgendwann Erschöpfung breit, die bis hin zum Burnout führen kann. Mit besseren Bedingungen ließe sich das abfangen und mehr Personal gewinnen, ist Ude sicher. «Wenn ich weiß, ich habe ein Team von drei Leuten und 15 Kinder, dann ist das etwas anderes, als wenn ich ein Team von einer und einer halben Person und 25 Kinder habe.»
Ressourcen könnte man auch freimachen, indem Verwaltungspersonal eingestellt würde. «Die Leiterin eines Kindergartens, die ja Pädagogin ist, ist meistens freigestellt vom Kinderdienst und macht Kanzleiarbeit. Die meiste Arbeit davon ist aber nicht die pädagogische Begleitung von Personal, die Begleitung von Eltern, Familie und Co oder Konzeptionsarbeit, sondern Dienstpläne schreiben, Putzmittel bestellen und so weiter. Dafür gäbe es aber Fachpersonal.»
Mehr Stellen braucht es also, bei Pädagog:innen, Assistent:innen und beim Verwaltungspersonal. Aber nicht nur das. «Die Stellen müssen besser bezahlt werden», ist Ude überzeugt. Wie viel Elementarpädagog:innen verdienen, ist von Bundesland zu Bundesland und auch von Träger zu Träger unterschiedlich. 1.795 Euro brutto im Monat für eine Vollzeitstelle sind es durchschnittlich in Wien, 1.959 Euro in Vorarlberg, das Bundesland, das damit an der Spitze steht.

Zeit für Reflexion.

Die Arbeit einer Pädagogin beinhaltet auch die Vorbereitungszeit, die aus Dokumentation von Beobachtungen, Sprachstands­erhebung, Vorbereitung der Aktivitäten und anderem besteht. Vier Stunden ihrer Wochenarbeitszeit stehen N. dafür zur Verfügung. «Viel zu wenig», sagt sie. «Wenn man seine Arbeit wirklich professionell erledigen möchte, auch Zeit für Reflexion haben möchte, ist das absolut nicht ausreichend. Es gibt auch zu wenig Zeit für Elterngespräche. Wie soll da gute Entwicklungsbegleitung stattfinden?»
Schon mehrmals haben die Elemen­tarpädagog:innen demonstriert, zuletzt im Frühjahr: für mehr Personal, mehr Geld, mehr (bezahlte) Vorbereitungszeit und kleinere Gruppen. Die sogenannte Kindergartenmilliarde, die im Juli im Nationalrat beschlossen wurde, ist für viele im Feld aber de facto nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn die Milliarde erstreckt sich über fünf ­Jahre, pro Jahr also 200 Millionen Euro für Elementarbildung. Da es zuletzt 142,5 Millionen waren, sind es nur 57,5 Millionen Euro mehr. Und die würde die Inflation fressen, sagen Kritiker:innen.
«Nicht zuletzt zeigen die empirische Bildungsforschung und -ökonomie klar auf, dass die ersten Bildungsjahre ­eines Kindes entscheidend für den weiteren Bildungsverlauf sind und erfolgreiche Modelle in der Elementarstufe auch volkswirtschaftlich die größten Effekte bewirken», stellt immerhin das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung fest. Um so verwunderlicher, meint N., dass von der Politik so wenig getan werde, um die Situation zu verbessern.

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