Kein Kunststoff im Haus der Geistervorstadt

Im Prater findet man, was anderswo längst ausrangiert wäre

Von Friedrich Achleitner stammt der Flanier-Tipp, auch im richtigen Prater die Unorte, das Unmodernste, das anderswo längst Ausrangierte, das «Gfäude» zu entdecken. Mario Lang, der den Prater seit Kindheitstagen bestens kennt, fotografierte sein persönliches «Best-of-Gfäudes», und Barbara Huemer (Text) sprach mit der Kuratorin der Prater-Ausstellung.In der Epoche der Pokémon-Go-Sucht ist die Ansammlung von aus der Vordigitalzeit herübergeretteten Unterhaltungs-Etablissements im Prater geradezu sensationell. Ich zitiere meinen Kollegen Uwe Mauch, der im «Kurier» schrieb: «Der Wiener Prater ist einer der letzten Schauplätze, die der Neoliberalismus noch nicht ganz ausgehöhlt hat. Deshalb darf es hier noch vier Geisterbahnen geben, die mit ihrer Unschuld dem Mega-Grusel des Internets und des realen Lebens irgendwie trotzen.»

Ursula Storch, Kuratorin der aktuellen Ausstellung im Wien Museum und Autorin des im Metroverlag erschienenen Buches «Im Reich der Illusionen. Der Wiener Prater, wie er war», ist mit diesem Thema seit 25 Jahren verbunden, war sie noch dazu beauftragt, das damals im Argen liegende Pratermuseum neu aufzustellen und zu gestalten. Der zur Ausstellung erschienene Katalog – wissenschaftlich akribisch recherchiert – spannt einen großen Bogen über die 250-jährige Wiener Pratergeschichte, von der Gründung 1766 bis heute. Zu welcher Zeit hätte sie gerne das Leben im Prater erlebt? Welche Epoche war ihrer Meinung die attraktivste, phantastischste? «Da gäbe es mehrere Antworten und eine würde die andere wohl ausstechen.» Grandios waren z. B. die barocken Feuerwerke des 18. und 19. Jahrhunderts, wo berühmte «Kunstfeuerwerker» auf einem 50 Meter hohen und 125 Meter breiten Gerüst mythologische oder historische Szenen in den Nachthimmel zauberten. Oder der sich auf einer Fläche von 50.000 Quadratkilometern erstreckende Vergnügungspark «Venedig in Wien» im Jahr 1895, wo 40 venezianische Gondolieri in Originalkostümen 25 Gondeln, die in Venedig angefertigt wurden, durch das über ein Kilometer lange künstliche Kanalsystem steuerten.

Dabei gewesen wäre sie auch gerne bei einem der legendären dreitägigen Frühlingsfeste der Fürstin Pauline Metternich, deren Reinerlös humanitären Zwecken zugutekam. Da gab es 1901 ein «Japanisches Kirschblütenfest» oder einen «Weißen Blumencorso», zu dem an die 70.000 Menschen herbeiströmten. Auch die Schützen- und Sängerbundfeste im Prater waren zweifellos spektakuläre Großveranstaltungen, wenn man bedenkt, dass in einem eigens errichteten gigantischen Holzbau beim 10. Deutschen Sängerbundfest im Jahre 1928 über 10.000 Sänger_innen Schuberts Lied «Der Lindenbaum» vortrugen. Da hätte sie schon eher das berühmte Zweite Kaffeehaus an der Praterhauptallee vorgezogen, wo Josef und Eduard Strauß dirigierten. Oder vielleicht wäre sie auch tanzen gegangen ins Restaurant Swoboda, wo man gänzlich ohne Konsumationszwang oder Eintrittsgebühr sich passiv dem Tanzvergnügen hingeben konnte und, wenn man wirklich tanzen wollte, fünf Kreuzer pro Tanz zahlen musste.

Info:

Von der Autorin empfohlene Literatur:

Felix Salten: «Wurstelprater», Promedia Verlag, Wien 2004 (kommentierte Ausgabe)

Marcello La Speranza: «Den Wurschtl kann keiner derschlagen!», Edition Mokka, Wien 2016

Ursula Storch: «Im Reich der Illusionen», Metroverlag, Wien 2016

Die Ausstellung «In den Prater! Wiener Vergnügungen seit 1766» ist noch bis zum 21. August 2016 im Wien Museum zu sehen.

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