Kein Platz für Harry PotterArtistin

20 Jahre Augustin: Jahrgang 2003 – Was hat der Augustin gegen eine Gratis-Burenwurst?

Im Jahr 2003, dem achten seit der Gründung des Augustin, trafen die Straßenzeitungs-Macher_innen eine Entscheidung, die im gesamten deutschen Sprachraum auf mediale Aufmerksamkeit stieß. Entschieden wurde, auf ein Vorab-Veröffentlichungsrecht zu verzichten. Joanne K. Rowling hatte dem Augustin und allen anderen deutschsprachigen Straßenzeitungen angeboten, das erste Kapitel des neuen Harry-Potter-Romans vor Erscheinen des Buches gratis abzudrucken. Der Augustin könne so eine Explosion seiner Auflagenzahl erreichen und seine Verkäufer_innen reich wie noch nie in diesen ersten acht Jahren machen. Robert Sommer erinnert sich an eine Chuzpe der Redaktion.Karl Berger, Augustin-Layouter und -Cartoonist, verfasste die Begründung des Verzichts an die Adresse des Carlsen-Verlags, der die deutsche Übersetzung der Potter-Erzählung vertreibt. Möglich, dass der Augustin kurzfristig neue Leser_innen gewinnen hätte können, hieß es in dem Ablehnungs-Mail. Aber für diese Leser_innen gäbe es kein weiter gehendes Angebot im Stile der Trivialserie Rowlings. Ein Vorabdruck entspräche deshalb einer «einmaligen Gratis-Burenwurstaktion in einem vegetarischen Restaurant». Bergers genialer Burenwurstvergleich machte die Runde und wurde zwischen Graz und Flensburg mehr zitiert als all die beflissenen Positiv-Reaktionen auf die vermeintliche Benefizaktion.

Der Beschluss, den Literaturteil des Augustin potterfrei zu lassen, polarisierte. Er spaltete einerseits die Gemeinde der Leserbrief-Schreiber_innen, andrerseits die Journalist_innen, deren unkritische Hälfte die «Hybris» der Augustin-Redaktion beklagte und die Verkäufer_innen aufhetzte: Diese wären durch das abgehobene, weltfremde Njet der Redaktion um die garantierten Zusatzeinnahmen bestohlen worden. Die Redaktion fand es rührend, wie sich Kolleg_innen anderer Medien Sorgen machten um die Einnahmen der Kolporteur_innen, musste ihnen aber doch berichten, dass diesbezügliche Erwartungen nicht erfüllt worden seien.

21 deutschsprachige Straßenzeitungen hatten das Angebot Joanne K. Rowlings angenommen. Die versprochene oder erwünschte Auflagenexplosion fand nirgends statt. Relativ gut ging es dem Grazer «Megaphon». Statt 10.000 wurden von der November-Ausgabe 17.000 Hefte gedruckt – und sie waren am Ende des Monats ausverkauft. Der Erfolge erwies sich freilich nicht als nachhaltig. In Salzburg und in Innsbruck, wo die jeweiligen Straßenblätter ebenfalls mitpotterten, war vom Potter-Hype wenig zu spüren. Viele Zeitungen, darunter der «Standard» und die «OÖN», und auch Nachrichtenagenturen vermuteten einen PR-Coup der Augustin-Macher_innen, hatte sich doch herausgestellt, dass die Potter-Verweigerung weit mehr Artikel generierte als der Abdruck.

Die Hypothese des raffinierten PR-Coups nahm der Augustin als Kompliment, konnte sie aber nicht bestätigen. Vielmehr nutzte er die Gelegenheit, via Potter-Verweigerung ein geld-, profit- und kapitalismuskritisches Statement zu lancieren. Joanne K. Rowling gilt als die reichste Frau Großbritanniens und fiel vor kurzem durch eine märchenhafte 1-Million-Pfund-Spende auf. Nein, diese Million war nicht für die Londoner Straßenzeitung «The Big Issue» gedacht. Es handelt sich um eine Spende für die politische Kampagne gegen die Unabhängigkeit Schottlands …

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