Keine Farmvorstadt

Die «Salat Piraten»: «Freiflächen plündern und Schätze säen»

Eine Kunstform im öffentlichen Raum hat es geschafft, sich zu etablieren: das Guerilla bzw. Urban Gardening. In der ganzen Stadt sprießt es, weil Bewohner_innen nicht länger ihre grünen Daumen still halten woll(t)en.

Foto: Salatpiraten

Die Salat Piraten stachen vor zwei Jahren in See. Mit Rückendeckung durch das Stadtgartenamt kaperten sie eine innerstädtische Brachfläche in der Kirchengasse 46, unweit des Augustinplatzes, wo – das nur nebenbei – die Original-Pestgrube des Lieben Augustins stand und wo er anno 1679 sein prägendes Erlebnis hatte. Die Freibeuter_innen des urbanen Gärtnerns wollten Anwohnende und Interessierte, Gartenkundige und Neulinge zusammenbringen, als sie die bereitgestellten Hochbeete enterten. Ihre Aktivität sollte den gesellschaftlichen Humus für ein gedeihliches Miteinander aufbereiten. «Ein Saatkorn der Eigeninitiative, das seither auf fruchtbaren Boden fällt. Ein Konzept, das aufgeht», so sieht es Georg Demmer, Betreiber eines Co-Space-Mietbüroraums in unmittelbarer Nähe als einer der ersten Mitbegrüner und Mitbegründer des Gartenkollektivs.

Dass das ausgerechnet in der Kirchengasse 46 in Wien-Neubau passierte, ist kein Zufall. Denn der drittkleinste Wiener Gemeindebezirk nimmt nur 0,39 Prozent der Fläche Wiens ein. Der Bezirk gehört zu den am dichtest verbauten Bezirken. Weniger als drei Prozent der Bezirksfläche entfallen auf Grün – vielleicht wurde er auch deswegen der erste grünregierte Bezirk?

Jedenfalls: Not macht erfinderisch, nicht nur Pirat_innen. Das Gärtnern und das Anpflanzen von Brachflächen, das sogenannte Urban Gardening, ist durchaus als neues «Stadtverschönern», als das neue «Graffito» anzusehen. Auf jeder freien und unfreien Fläche sprießen Sonnenblumen, Brunnenkresse und sogenanntes «Bienenfutter, das wir dazu brauchen, um die Nützlinge zur Bestäubung unserer Kürbisblüten anzulocken», bringt es der oberste Salatpirat auf den Punkt. «Aber in erster Linie ist es ein Demonstrationsgarten, um einen Ort der kommunikativen Tätigkeit zu schaffen.»

Wöchentlicher Gießplan


Das Motto der Salat Piraten lautete lange Zeit: «Freiflächen plündern und Schätze säen». Heute erscheint einigen das Motto zu radikal – im Wortsinn: an die Wurzeln gehend (radix, lateinisch für die Wurzel). Die Salatpiraten hatten ein konkretes Ziel vor Augen, als sie vor zwei Jahren aufbrachen: eine blühende Insel, ein grünes Eiland, als eine «frei»-beuterische Form der Landwirtschaft in der Stadt zu erreichen. Seit Oktober 2012 läuft das Experiment und geht demnächst ins dritte Jahr. Seit der Anpflanzperiode Frühjahr 2013 sprießt und gedeiht und vegetiert es inmitten des umtosten Straßenverkehrs. «Es geht ums Gärtnern an sich, aber auch um individuelle Stadtgestaltung. Und darum, die Leute zusammenzubringen», sagt Georg Demmer, einer der Kapitäne der Salat Piraten, der auch gemeinschaftlich den wöchentlichen Gießplan erstellt. Und bisher fand noch keine Meuterei dagegen statt.

Zur selben Zeit in London. Aus Natur wird Kultur. Der Landschaftskünstler Tim Richardson startet mit der «Chelsea Fringe» eine Veranstaltungsreihe, die vor allem von Freiwilligen getragen wird. Auch private Initiativen beteiligen sich mit kollektiven Stadtverschönerungs-Aktivitäten in Form von Guerilla Gardening, aber auch mit Urban Gardening. Der Unterschied: Das eine ist geduldet, das andere gefördert – als illegal und legal könnte man es auch differenzieren. Der Zweck ist jeweils der gleiche. Am Ende steht immer die Begrünung – auch nachhaltig, wenn der Stadt eine öde Fläche abgetrotzt worden ist.

Seit 2014 gibt es einen Ableger davon auch in Wien. Die beiden Landschaftskünstlerinnen Hannah Stippel und Anita Duller verpflanzten die «Chelsea Fringe» mit Installationen und Interventionen nach Vienna. Zuerst wurde mit 20 bis 30 Projekten gerechnet, im Endeffekt waren es fast 70; über die ganze Stadt verteilt; wie auch im Gemeinschaftsgarten der Salatpiraten, in der Kirchengasse 46.

Im Rahmen dieses alternativen Festivals stieg heuer Anfang Juni ein Marktfest an der Ecke Zeismannsbrunngasse und St.-Ulrichs-Platz. Das bunte Remmidemmi sollte aufmerksam machen und wie das rustikale Gärtnern im urbanen Garten identitätsstiftend wirken. Neben einigen Ständen von Flohmärkten bis zu Alternativläden quer durch den sprichwörtlichen Gemüsegarten, gab es eine Performance der Fuchsens von ihrem «pink zebra theatre». Und natürlich allerlei Ess- und Trinkbares, das direkt dem Garten entwachsen war: Limonaden, Kräutertees, Brotaufstriche und – natürlich – Salatvariationen der unterschiedlichsten Blättervielfalt.

«Kresse, Blüten, Kräuter, alles zum Verzehr. Aber wir sind keine Farm, wo das Augenmerk auf der Ernteeinbringung und dem Fruchterlös liegt. Bei uns steht das Gemeinsame, das Nachbarschaftliche im Vordergrund.» Eh klar, sonst wären sie auch keine Salat Piraten, sondern Salat Farmer. Und das wollen sie definitiv nicht sein.


Info:

www.salatpiraten.org

www.chelseafringe.com

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