Fotoausstellung mit Audiospuren: «Millionaires of time …»
Reise in die Roma-Viertel von Košice in der Ostslowakei. Dort machten Anja Schäfer und
Elisabeth Putz Bild- und Tonaufnahmen, die sie nun in einer Ausstellung des Volkskundemuseums Wien präsentieren. Wenzel Müller hat diese Ausstellung besucht und mit den beiden Kuratorinnen gesprochen.
Foto: Anja Schäfer (Wohnhaus im Viertel Luník IX im slowakischen Košice)
Der Bau hat weder eingebaute Türen noch Fenster, und eine Heizung schon gar nicht. Trotzdem leben hier Menschen. Draußen, vor dem Haus, machen sie ein offenes Feuer, um sich zu wärmen. Dunkler Rauch steigt auf. Auf dem aus der Ferne gemachten Foto ist nicht genau zu erkennen, was verbrannt wird. Es dürfte Müll sein, außerdem Holz, darauf weist der stark dezimierte Wald im Hintergrund hin.
Ein wunderbares, ein düsteres Bild der Berliner Fotografin Anja Schäfer. Die Momentaufnahme aus einem der Elendsviertel in Südamerika? Nein, aus der Mitte Europas. Aus Košice, europäische Kulturhauptstadt 2013. Um genau zu sein: aus einem der «Zigeunerviertel» von Košice.
Zigeuner? So sagt man doch heute nicht mehr! Das Wort ist längst auf den Index gesetzt. Wir sprechen heute von «Roma». Ja, sagt Elisabeth Putz, das sei unsere Wortwahl, die des Westens. Die Betroffenen selbst würden sich gern als «Zigeuner» bezeichnen. Mit Stolz, manche auch mit Lust an der Provokation.
Elisabeth Putz ist Autorin, Regisseurin und Journalistin in Wien und reiste zuletzt mit Anja Schäfer immer wieder nach Košice, in die Ostslowakei, um das Leben der Roma zu studieren. Das Ergebnis ihrer Recherchen wird nun im Volkskundemuseum Wien präsentiert. Eine Fotoausstellung mit Audiospuren, so könnte man die Schau bezeichnen. Großzügig an die Wände gehängte Fotos, mit viel Leerraum dazwischen. Bildunterschriften, also Erklärungen, wurden nicht etwa vergessen, sondern bewusst weggelassen.
Zu dieser bildlichen Ebene kommt eine akustische: Die Besucher_innen können sich über Kopfhörer eine Art Collage aus Tönen und Wortbeiträgen anhören, die Putz aus ihren Aufnahmen in den beiden Problemvierteln von Košice, Luník IX und Šaca, montiert hat. Diese beiden Ebenen sind nicht miteinander verbunden. So erfährt man nicht, wer von den an den Wänden porträtierten Menschen was in das Mikrofon von Putz gesprochen hat – und ob diese Person überhaupt mit einem Wortbeitrag vertreten ist.
Der Ansatz ist – sagen wir: mutig. Und passt gut in das Volkskundemuseum, in das, seit Matthias Beitl die Direktion übernommen hat, viel frischer Wind und große Experimentierfreude eingezogen ist. Klar, der pädagogische Fingerzeig ist von gestern. Das andere Extrem ist unverbindliche Beliebigkeit. Das eine wie das andere ist zu vermeiden. Bleibt die Frage, ob hier das angestrebte Ziel – eine Art Floaten durch die Ausstellung – tatsächlich erreicht wird. Sind gewöhnliche Besucher_innen nicht mit zwei Stunden Tonmaterial überfordert, ging es nicht auch kürzer? Hätte man zwischen beiden Ebenen nicht doch die eine oder andere Brücke bauen können, die es zu entdecken gilt?
Ausgewogenheit auf allen Ebenen.
Roma stehlen und sind arbeitsscheu, behaupten die einen. Sie machen gute Musik und wurden jahrhundertelang verfolgt, erwidern die anderen. Was trifft nun zu? Was haben ihre Recherchen ergeben? Es gibt solche und solche, sagt Elisabeth Putz. Solche, die arbeiten wollen und nicht können, und solche, die nicht arbeiten wollen. Das ist das Sympathische an ihrer Antwort: Die Kuratorinnen glorifizieren die Roma nicht, sie denunzieren sie auch nicht. Es seien auch keine anderen Menschen wie du und ich.
Schäfer und Putz machten sich in fremdes Gebiet auf, wo Tausende Menschen auf einem Fleck wohnen, wie hinter einer imaginären Mauer. Der Taxifahrer, erzählen sie, weigerte sich, sie in diese «Zigeunerbezirke» zu bringen und ließ sie an einer Bushaltestelle vorher aussteigen.
War ihnen mitunter selbst etwas mulmig zumute? Ja, sagt Putz, einmal war das der Fall, als sie nämlich in einem Plattenbau ganz nach oben gestiegen war. Wie kann man bloß in solch einem wackligen Bau ruhig schlafen?, fragte sie sich da. Auf der Straße habe es keine Probleme gegeben. Dazu muss man sagen, dass die beiden Frauen stets mit einem Dolmetscher unterwegs waren. Ihre Recherchen wurden durch einige Kulturinstitutionen wie etwa das Goetheinstitut in Bratislava unterstützt.
Dass Schäfer und Putz tatsächlich engen Kontakt zu der Bevölkerung gefunden haben, ist gerade an den Porträtaufnahmen zu sehen: Oft schauen die Abgelichteten direkt in die Kamera. Solche Aufnahmen sind nur möglich, wenn vorher ein großes Vertrauensverhältnis aufgebaut wurde.
Die Ausstellung macht das möglich, was im Alltag oft noch Zukunftsmusik ist: Hier kann man einer anderen Bevölkerungsgruppe ganz nahe kommen.
Bis 24. September