Keine Kunstalmosen, bitteArtistin

Die Wiener Kunst- und Kulturszene legt Entwürfe für eine bessere Kulturpolitik vor

Wiener Kunst- und Kulturschaffende wollen mitreden. Um den Wiener Kulturpolitiker_innen den Beruf zu erleichtern, haben sie ein Strategiepapier entworfen, das «eine andere Kulturpolitik» möglich macht. Lisa Weber hat es sich durchgelesen und würde es unterschreiben.Herbstzeit, Erntezeit. Ob es bei der Wienwahl am 11. Oktober eine gute Ernte einzubringen gibt, ist fraglich. Zahlreiche Kunst- und Kulturschaffende sind mit der aktuellen Politik nicht einverstanden und machen ihren Anspruch auf Teilhabe im Sinne einer kompetenten Mitsprache geltend. Seit dem Frühjahr 2015 wurde an einem gemeinsamen Strategiepapier für die Wiener Kulturpolitiker_innen gearbeitet, das jetzt im Wiener WUK, dem Werkstätten und Kulturhaus, vorgestellt wurde. Konkrete Positionen und Forderungen zur aktuellen Lage von Kunst und Kultur in Wien.

Kunst braucht Absicherung, Ressourcen und Bewegungsfreiheit

Die Punkte kurz abgehandelt: (1) In Dialog treten. Derzeit ereignet sich Kulturpolitik paternalistisch «von oben». Künstler_innen und Kulturschaffende werden marginalisiert und entmündigt. Echte Kommunikation geht nur auf Augenhöhe. (2) Gegen eine Verwertungslogik, die auf Tourismus, Spektakel oder Events schielt. (3) Budgetierung. Der Anteil für die freie Szene liegt bei 2,5 Prozent und ist damit unterdotiert; mindestens auf das Vierfache, auf ein Zehntel insgesamt, sollte aufgestockt werden. (4) Der Zugang zu Ressourcen für künstlerische Arbeit muss unabhängig von sozialer Situation, Herkunft, Klasse, Alter, Gesundheit usw. werden – wen es zuerst trifft bei Kürzungen, lässt sich leicht feststellen. (5) Kontinuität schaffen: Kleinteilige Projektförderung zwingt zum permanenten Einreich-Marathon. (6) Infrastruktur fördern: Der freien und autonomen Szene mangelt es an geeignetem Platz und Raum für künstlerische Produktionen, Labors etc. (7) Prekarisierung entgegentreten: Kunst und Kultur werden in großem Ausmaß in unbezahlter Arbeit geschaffen. Viele aus der freien und autonomen Szene leben unter der Armutsgrenze und erwerben unzureichende Ansprüche. Sie gehören zu den im Krankheitsfall und im Alter am schlechtesten abgesicherten Gruppen. Einmalige Almosen reichen nicht aus. Eine adäquate Absicherung ist auf die Realität des prekären Kunst- und Kulturschaffens abzustimmen. (8) Transkulturelle Öffnung: Knapp die Hälfte der Bevölkerung in Wien hat Migrationsbiographien. Diese reale Vielfalt findet keine Entsprechung im Kulturbetrieb. (9) Auf feministische und queere Identitäten ist passend einzugehen und deren Benachteiligung zu beheben. Feministische Forschung und Genderforschung sind mit ungenügenden Ressourcen ausgestattet. (10) Gleichberechtigung älterer Künstler_innen: Ab einem gewissen Alter ist es für nicht arrivierte Kulturschaffende weitgehend unmöglich, noch Förderungen zu erhalten. Förderaktionen öffentlicher Stellen sind meist an Alterslimits gebunden. Eindeutig Altersdiskriminierung!

(11) Vereinbarkeit von Betreuungspflichten ermöglicht eine bessere soziale Durchlässigkeit, denn Arbeit und Familie sind in Kunst- und Kulturarbeit schwer zu vereinbaren. (12) Mehr konsumfreie öffentliche Räume schaffen und erhalten: Mit der Kommerzialisierung werden Personengruppen zusehends verdrängt. Es gilt auch, bürokratischen Aufwand zu reduzieren, die Plakatierfreiheit wieder einzuführen. Ebenso müssen die Auflagen für Straßenmusik und -theater reduziert werden. (13) Kreativität und Selbstbestimmung in der Bildung: Kreative Fächer werden in der Schulbildung zunehmend reduziert. Mit der Zentralmatura wurde der Spielraum für individuelle Schwerpunkte eingeschränkt. Kreative Fächer und Literatur sind ebenso wichtig wie Naturwissenschaften und Sprachen, und sollten eher ausgebaut als reduziert werden.

Sowie (14) Wien als TTIP-freie Kommune und (15) solidarische und menschliche Flüchtlingspolitik: Freie Kunst- und Kulturarbeit erfordert Bewegungsfreiheit für alle. Eine solidarische und menschliche Flüchtlingspolitik, die Menschen unabhängig von ihrer Herkunft die Chance gibt, in Wien, Österreich und Europa gleichberechtigt zu leben.

Das Problem auf die Straße tragen

Romana Hagyo, Maria Bergstötter, Willi Hejda und Irmgard Almer erläuterten diese fünfzehn Punkte. Dazu gab es kein klassisches Podium «von oben herab». Alle waren eingeladen, im Halbkreis Platz zu nehmen und konnten sich ergänzend zu Wort melden. Im Anschluss gab es ein Vernetzungstreffen. Alles eigentlich eine Selbstverständlichkeit, oder?

Denn eine andere Stadt-, Raum-, Kultur- und Asylpolitik ist mehr als nötig, sogar schon notwendig – um die Not abzuwenden. Eine Woche vor der Wienwahl soll das Problem auf der Straße sichtbar gemacht werden: Am Samstag, dem 3. Oktober, steigt eine gemeinsame Demo, ausgehend um 11 Uhr vom Friedrich-Schmidt-Platz (vor dem Rathaus), die sich anschließend solidarisch an der Demo «Flüchtlinge Willkommen» beteiligt.

INFO:

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