Maria Seisenbacher befasst sich mit Lyrik und Leichter Sprache. Jenny Legenstein traf die in Wien
lebende Autorin zum Gespräch über ihren neuen Gedichtband kalben und übers Schreiben, Lesen, Förderungen und die Intention ihrer Arbeiten. Carolina Frank hat sie fotografiert.
Hullenbaum, Wald, Eis, Stein, Berge, Jauchzer – Natur(erleben), Mythologie, Almwirtschaft bilden den Hintergrund von Maria Seisenbachers Gedichtband kalben. Und dabei geht es gar nicht um zu Tode strapazierte Gebirgsklischees und verkitschte Postkartenidyllen. Auf der beigelegten CD sind einige der Gedichte in Vertonungen des Trios drei knaben schwarz zu hören. kalben wird auf Lesungen mit den «knaben» vorgestellt, doch wer zu den Veranstaltungen kommt, bekommt nicht das zu hören, was auf der CD gespeichert ist. Es wird musikalisch improvisiert, und auch die Autorin mixt und verändert ihre Gedichte. «Das ist auch für mich spannend, weil sich neue Bedeutungen, Sichtweisen und Zusammenhänge ergeben», verrät Maria Seisenbacher.
kalben entstand über einen langen Zeitraum, in dem Maria Seisenbacher sehr viel über alpine und auch japanische Traditionen, den Umgang mit Tod, der Geisterwelt und Zen-Buddhismus las. «Das ist meine Arbeitsweise, dass ich viel lese, viel recherchiere, aber nicht versuche, das intellektuell zu verarbeiten, sondern – eine neue Sprache gibt es ja nicht –, aber dem einen neuen Ausdruck zu geben.»
gehen Augen
gehen fremd ist
jeder Schritt im
Nebel unter Grund
Sprachleere Räume.
Die Intention ihrer Arbeit als Lyrikerin beschreibt sie so: «Ich würde gern sprachleere Räume versprachlichen. Das ist natürlich paradox, aber ich finde, die interessantesten Sachen sind paradox.» Es geht ihr um Wahrnehmungsebenen, die sich aus dem Alltag herausheben und über die wir oft gar nicht reden könnten, weil sie uns fremd seien, weil uns oft die Sprache fehle. «Angefangen hat es mit dem Raum der Geburt, wo ich einfach gemerkt habe, das ist ein ganz spezieller Parallelraum, der da aufgeht und eine andere Dimension aufmacht und der auch ein zeitloser Raum ist», erzählt die Autorin zur Entstehung des Bandes bher[∂]. Als ihre Mutter an Alzheimer erkrankt, bemerkt sie eine Verschiebung der Wahrnehmungen, sie spürt, «wie dicht Atmosphären werden können, wenn man eigentlich keine Sprache mehr miteinander hat». Diese Erfahrung fließt in Ruhig sitzen mit festen Schuhen ein. Fast eine Art Abschluss findet die Thematik nach Geburt und Krankheit mit dem Tod und Zwei verschraubte Plastikstühle. Ein Buch, das in Besprechungen meist mit Kindheit assoziiert wurde, «obwohl es für mich vor allem ums Sterben gegangen ist. Weil die Kindheit, wenn die Eltern sterben, noch einmal sehr nahe kommt und auch ein Teil davon verlorengeht».
Sachen anders ausdrücken.
Aufgewachsen ist Maria Seisenbacher im Waldviertel in Gmünd als Tochter eines gebürtigen Steirers, von dem die Leidenschaft fürs Lesen kommt – «er hat irrsinnig viel gelesen, auch Gedichte» – und einer japanischstämmigen Mutter. Auf den ersten Blick sei sie gar nicht von japanischer Kultur beeinflusst worden, meint Maria Seisenbacher. «Meine Mutter hat nicht Japanisch mit uns geredet, und sie hat uns auch nicht nach Japan mitgenommen, das waren für sie zwei getrennte Welten, die sie auseinanderhalten wollte.» Geprägt sei sie sehr stark von Österreich, auch sprachlich, obwohl das fehlerhafte Deutsch ihrer Mutter ihr Schreiben erheblich beeinflusst – «nämlich Sachen anders auszudrücken und nicht präzise». Erst im Studium der Literaturwissenschaft setzte sie sich mit der Kultur ihrer Mutter auseinander, in einem Raum, der nicht von ihr besetzt war. Die Diplomarbeit schrieb sie über Ingeborg Bachmann und Yoko Tawada, eine Autorin, die auf Deutsch und Japanisch schreibt.
Einen Fuß in die Tür kriegen.
Auf dem Buchmarkt sind Lyrikbände so gut wie nie Bestseller, umso wichtiger sind in diesem Genre Förderungen. «Ich habe in den letzten drei, vier Jahren ‹geerntet›, was ich mir sehr lange erarbeitet habe», sagt Maria Seisenbacher. «Einen Fuß in die Tür kriegen, lästig sein, weiterarbeiten», beschreibt sie die Voraussetzungen, um im Bereich Literaturförderungen Erfolg zu haben. «Das ist wahrscheinlich schwierig für die, die nicht so mit der Szene in Kontakt kommen, weil es schon auch ein Sich-Kennen ist, damit man Förderungen bekommt.»
Intermediale Literaturprojekte.
Als Literatin arbeitet man allein, umso mehr schätzt Maria Seisenbacher die Zusammenarbeit mit anderen Künstler_innen. Im Verein Wortwerft organisiert sie mit ihrem Lebenspartner, dem Schriftsteller und politischen Bildner Hermann Niklas, intermediale Literaturprojekte. «Wir machen zurzeit ein Projekt im Jahr, das kriegen wir hin», denn mit mittlerweile drei Kindern bleibt weniger Zeit, und außerdem hat sich Maria Seisenbacher neben der Literatur im Bereich Leichte Sprache ein weiteres Standbein geschaffen. Leichte Sprache ist ein vereinfachtes Deutsch, das in erster Linie Personen mit geringen Deutschkenntnissen und Menschen mit Lernschwierigkeiten zugutekommt. Sie und Elisabeth Laister bieten Übersetzungen und Workshops an. Im von ihnen gegründeten Verein Leicht Lesen sind Broschüren in Leichter Sprache zu den Themen sexuelle Orientierungen und Wechseljahre der Frau erhältlich. Förderungen gibt es dafür in Österreich so gut wie keine, weil das Bewusstsein dafür fehlt. Es werde «irgendwie intern» gelöst und übersetzt, und das sei schade, weil dadurch Gruppen ausgeschlossen werden, dabei könne man «sehr vielen Menschen damit ein gutes Handwerk geben, um Informationen zu verstehen und Entscheidungen zu treffen und selbstbestimmt zu leben».
Leichte Sprache und Lyrik haben vielleicht gemeinsam, dass es darum geht (in wenigen Worten) den richtigen Ausdruck zu finden, wobei es einmal darum geht, möglichst offen zu bleiben (Lyrik), und im anderen Fall, möglichst eine Aussage zu treffen, um den Interpretationsspielraum klein zu lassen (Leichte Sprache). «Bei Leichter Sprache geht es wirklich um Informationsweitergabe. Beim Gedichteschreiben geht es mir um ein ästhetisches Ganzes, ein Erlebnis, das ich hervorrufen will.»
Maria Seisenbacher erhält den Anerkennungspreis des Landes Niederösterreich für Literatur
am 8. November im Festspielhaus St. Pölten
Buchvorstellung kalben
gemeinsam mit 3 knaben schwarz
13. November, 19 Uhr
Volkskundemuseum, Großer Saal
8., Laudongasse 15-19
kalben. Gedichte mit Vertonungen von
3 knaben schwarz
Literaturedition Niederösterreich
104 Seiten, mit CD, 20 Euro