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Mit Yael Ronens Stück wechselt die Hakoah Wien vom grünen Rasen auf die Theaterbühne

Regisseurin Yael Ronen hat mit ihrem Theaterstück «Hakoah Wien» einen Steilpass hingelegt. Der Sensationserfolg aus Graz kommt nun nach Wien, rechtzeitig zum 106. Geburtstag des jüdischen Traditionsvereins. Christine Ehardt hat sich zwischen Bühne und Rasen umgesehen.

Bild: Katja Hasenöhrl

Dass Österreich einmal berühmt für sein spritziges Kombinationsspiel war und diese besondere Art, Fußball zu spielen, sogar den Namen «Wiener Schule» bekam, ist kaum zu glauben. Maßgeblich an diesem Fußballwunder beteiligt: die Mannschaft von Hakoah Wien. Genau 90 Jahre ist es her, dass die legendäre Fußballsektion des jüdischen Turnvereins den Meistertitel erlangte.

Schon zu dieser Zeit waren die Sportler_innen des Vereins massiven Anfeindungen ausgesetzt. Zahlreiche Dokumente belegen antisemitische Ausschreitungen bei Spielen und Veranstaltungen. Trotzdem konnte sich hier zumindest für kurze Zeit jüdisches Selbstbewusstsein zeigen. Friedrich Torberg, damals noch begeisterter Wasserballsportler fasste seine Erinnerungen so zusammen: «Warum ich Hakoahner wurde? Warum ich stolz darauf bin, es zu sein? Warum ich glaube, dass es eine Hakoah geben musste? Weil sie den anderen beigebracht hat, ‹Herr Jud› zu sagen.»

Wehrdienstverweigerung, Sexkrisen und Fußballspiel

Auch Wolf Fröhlich war stolz, bei der Hakoah dabei zu sein. 1936 verließ er Wien, um sich an der Gründung Israels zu beteiligen und konnte so dem Nazi-Terror entgehen. Von seiner Hakoah-Mitgliedschaft hat er seitdem nie wieder gesprochen. Der fiktive Wolf Fröhlich ist dem realen Großvater Yael Ronens nachempfunden und ist die zentrale Figur in ihrem aktuellen Stück «Hakoah Wien».

Wolf Fröhlich tritt zwar nur als Geist in Erscheinung, hat mit seiner lieben Verwandtschaft aber keine Freude, schließlich überlegt sein Enkelsohn Michael den Auftrag, eine Imagetour durch Europa für die israelische Armee zu veranstalten, einfach hinzuschmeißen und in Wien zu bleiben. Eine naive und gefährliche Idee für seinen Großvater: «Du kannst dir nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn der Ort, den du Heimat nennst, dich verrät. Je mehr du versuchst, einer von ihnen zu sein, desto mehr lassen sie dich fühlen, dass du ein Fremder bist. Du gehörst nicht hier her. Du bist ein Jude. Auch wenn du vergisst – sie werden dich daran erinnern und es dich spüren lassen.»

Bei der Suche nach der eigenen Identität und einer neuen Heimat werden die beiden von Michaela Aftergut begleitet. Auch sie macht sich auf Spurensuche, ihre Großmutter hatte ihre jüdische Herkunft, um zu überleben, lebenslang verschwiegen, und die Liebesbeziehung zu Wolf Fröhlich wurde je unterbrochen.

Gespielt wird in Trainingsanzügen mitten auf dem Kunstrasen, vorwitzige Kommentatoren beobachten die Schauspieler_innen in ihren wechselnden Rollen. Denn die Haupthandlung wird von zahlreichen Nebenschauplätzen flankiert: dem Beziehungskampf zwischen dem erfolglosen Torwart Oliver und der Psychologin Michaela (gespielt von Birgit Stöger), den Therapiesitzungen mit ihrem Klienten Sascha, dem Fußballpropheten sowie dem liebevollen Schlagabtausch zwischen Michael und dem Hooligan Ulf, der in der ehemaligen Wohnung von Großvater Wolf lebt.

Ronens Bruder verkörpert den gleichnamigen Protagonisten des Stücks, vieles aus der eigenen Familiengeschichte des Geschwisterpaares ist darin verwoben, aber auch wenn sich viele reale Erinnerungsmomente in Versatzstücken durch die Handlung ziehen, ist «Hakoah Wien» kein historisches Stück. Im Gegenteil, es greift aktuelle politische und gesellschaftliche Themen in vielfältiger Weise auf. «Hakoah Wien» ist eine Gesellschaftssatire auf den Holocaust, den Fußball, die Liebe und die aktuelle israelische Politik. Eine provokative Mischung, mit der die junge israelische Regisseurin seit einigen Jahren in der deutschsprachigen Theaterlandschaft erfolgreich ist und eine Theatersensation nach der anderen produziert.

Bereits ihr erstes Gastspiel «Plonter» über einen israelischen Wehrdienstverweigerer aus dem Jahr 2005 wurde international viel beachtet. Mit dem mehrfach ausgezeichneten Stück «Die Dritte Generation», in der sich arabische, deutsche und jüdische Schauspieler_innen ihrer Vergangenheit und den gegenseitigen Vorurteilen stellen, schaffte Ronen den Durchbruch im deutschsprachigen Theater. Derzeit ist sie vor allem am Maxim Gorki Theater in Berlin tätig. Dort sind zuletzt «Common Ground», ein Drama über den Jugoslawienkrieg und seine Folgen, sowie die Satire «Sex Crisis» über das Spannungsfeld Sexualität und Partnerschaft entstanden.

Mit der fiktiven Figur Michael Fröhlich hat Yael Ronen vieles gemeinsam, auch sie war während ihrer zweijährigen Militärzeit in Israel Kulturkorrespondentin. Seit einigen Jahren lebt und arbeitet sie in Deutschland.

Erfolgreiche Gruppentherapie

Neo-Volkstheaterdirektorin Anna Badora holte Ronen 2012 für ihre erste Theaterarbeit in Österreich ans Schauspielhaus Graz. In ihrer ersten Saison am Volkstheater bringt sie Ronens Stück nach Wien, im Dezember folgt dann die erste Volkstheaterproduktion mit «Überzeugungskampf», einem Stück über junge Wiener_innen und ihre Beweggründe, sich dem Jihad anzuschließen.

In ihren aktuellen Stücken arbeitet Ronen nicht mehr mit vorgefertigten Texten, sondern lässt die Dialoge in einem kollektiven Arbeitsprozess gemeinsam mit ihren Schauspieler_innen entstehen. Eine Inszenierungsweise, die im zeitgenössischen Theater vor allem für dokumentarische Stücke genutzt wird. Demgegenüber bleiben Ronens Arbeiten trotz ihrer realen Bezugspunkte aber durchwegs fiktional. Irritationen des Publikums sind erwünscht, auch das Spiel mit Ironie und Provokation soll den Zuschauer_innen helfen, sich der eigenen Geschichte und versteckten Ressentiments zu stellen.

Den Finger auf aktuelle Konflikte und althergebrachte Klischees zu legen, ist eine der besonderen Stärken von Ronens Inszenierungen. Daraus entsteht Gruppentherapietheater für Schauspieler_innen und Publikum mit bisweilen karthatischen Schockmomenten. Denn Yael Ronen schert sich nicht um Political Correctness. «Yael Ronen liebt Völkermorde», meint etwa Ronens Bruder Michael augenzwinkernd über die ambitionierten Projekte seiner großen Schwester. In «Die Dritte Generation» zitiert Ronen israelische Teenager_innen, die bei ihrer Reise durch Europa resümieren: «Ausschwitz was the best.» Prompt landen solche Zitate natürlich als Headline in der Presse und sorgen für teilweise berechtigte Kritik am allzu unbefangenen Umgang mit dem Holocaust.

Auch bei «Hakoah Wien» kommen manche Szenen etwas platt daher. Die Verschränkung von antisemtischen Vorurteilen und der banalen Alltagswelt der Generation Y geht bisweilen daneben. Die meisten Pointen dieser Theatersatire sind aber zu charmant gesetzt, um sie nicht zu mögen. Sie: Ich weiß nicht, ich glaub, ich bin …/ER: Schwanger?/Sie:… Jüdin.

Spieltermine

9., 14-16. September 19.30 Uhr

Volkstheater, Neustiftgasse 1, 1070 Wien

Hakoah Wien

«Hakoah» bedeutet Kraft, und kräftig sind auch die Erfolge, die der jüdische Turnverein seit seiner Gründung am 16. September 1909 feiern konnte. Die Gründe für die Entstehung des Vereins waren vielfältig. Zum einen war es der massive Antisemitismus in Österreich, jüdische Sportler_innen wurden systematisch aus den Sportvereinen ausgeschlossen, zum anderen die generelle Politisierung der Vereinslandschaft sowie der Wunsch, ein selbstbewusstes Zeichen jüdischer Identität zu setzen und Widerstand zu zeigen. 1938 brutal zerschlagen, wurde die Hakoah Wien nach dem Krieg neu gegründet. Erst 2008 restituierte die Stadt Wien das Gründungsareal des Vereins im Prater, der heute in die Sektionen Schwimmen, Karate, Basketball, Skiklub, Tennis, Tischtennis und Wandern unterteilt ist.