Kimchi, Kreisky, KrankenhausArtistin

Zwei Comics erzählen von der südkoreanischen Arbeitsmigration nach Wien

Von Seoul nach Wien. In den 70er-Jahren wurden Frauen aus Südkorea nach Österreich angeworben, um in der Krankenpflege zu arbeiten. Vina Yun macht sich daran, ihre Geschichte zu schreiben – und zwar in Comic­form.

Der AUGUSTIN verlost Homestories Teil 1 & 2!

E-Mail bis zum 30. August an verein@augustin.or.at oder Postkarte an Redaktion Augustin, Reinprechtsdorfer Str. 31, 1050 Wien, Kennwort: Homestories 

Den «Rennbahn-Express» gibt es heute nicht mehr. 1968 von Fellners & Friends als Schüler_innenzeitung gegründet, galt er als spießiges Lokalpendant zum «Bravo». Man erfuhr darin, wenn Jon Bon Jovi solo war, aber auch Geschichten über Diskriminierungserfahrungen junger Schwuler («So fühlen die Schwulen») hatten Platz und ebenso Inserate, wie FM4-Moderator Clemens Haipl einst eines aus dem Archiv gezaubert hat: «Ich bin 17, meine Hobbys sind Wandern, Lesen und Weggehen. Pro: SJ, Anti: Papst. … Kuschelbriefe an: Werner Faymann …» 2013 wurde die Zeitschrift eingestellt. Zeit war’s.

Love Kimchi, hate Racism!

Der Anblick eines Rennbahn-Express-Covers vermittelt ganz gut das Gefühl einer Generation, die in den nicht so vielversprechenden 80er-Jahren in Österreich durch die Pubertät musste. Eine davon ist die Protagonistin von Vina Yuns Comic «Homestories. Zweite Generation in Wien»: eine Teenagerin, die nebst der Lektüre des Musikmagazins Arabella Kiesbauers X-Large-Empfehlungen lauscht, Micky-Maus-Pullover trägt und ein bisschen auf ihre Englischlehrerin steht. Sie liebt Kimchi, geht auf ein Wiener Gymnasium und lernt am Afroasiatischen Institut Koreanisch. Ihre Eltern sind als Arbeitsmigrant_innen aus Südkorea nach Österreich gekommen und «hatten ein klares Bild davon, was es bedeutete, ‹koreanisch› zu sein: Nur Einser in der Schule! Ja, keine unehelichen Kinder! Jus studieren! Keine Tattoos! Und du machst auf jeden Fall einen Sprachkurs in Korea!» (Was die Protagonistin in dem Sommer, in dem Kreisky stirbt, auch tatsächlich tut.)

Mit «Homestories» schreibt Vina Yun, Journalistin und Redakteurin bei «Missy Magazine», in zwei Comics eine Geschichte, die so gut wie unerzählt ist. In den frühen 70er-Jahren wurden Frauen aus Südkorea angeworben, um in österreichischen Spitälern in der Krankenpflege zu arbeiten. Österreich hatte einen eklatanten Mangel an pflegendem Krankenhauspersonal, ein Beruf, den, so Yun, «vorher viele Nonnen ausgeübt haben, deshalb auch das Wort ‹Schwester›». Südkorea hingegen, das damals noch zu den ärmsten Ländern gehörte, hatte ein großes Interesse am Export von Arbeitskräften, die Devisen ins Land bringen würden. «Auch aus Indien und den Philippinen kamen sehr viele Frauen als Krankenschwestern nach Österreich. Aber ihre Migrationsgeschichte kommt in der öffentlichen Debatte nicht vor.» Genauso unsichtbar bleiben demnach die Fragen, die sich ihre Wiener Kinder stellen: Was habe ich für eine Familiengeschichte? Was haben die Entscheidungen meiner Eltern mit mir zu tun? Und wie gehe ich jetzt mit dem ganzen Rassismus um? «Ich bin eines der ältesten Kinder dieser zweiten Generation», sagt Vina Yun, «und ich habe schon lange den Wunsch, diese Erfahrungen zu formulieren und mit anderen teilen zu können.»

Keine glitzernde Metropole.

Die zwei Teile von «Homestories» stehen für zwei Diaspora-Generationen. Teil 1 («Seoul – Wien») erzählt die Geschichte junger Frauen, die sich von ihrem südkoreanischen Zuhause verabschieden, um in Wien zu arbeiten. Zwölf Interviews hat Vina Yun dafür mit ehemaligen Krankenschwestern geführt. «Natürlich war da das ökonomische Motiv, aus Südkorea wegzugehen und Geld zu verdienen. Aber auch die Abenteuerlust hat eine Rolle gespielt, die Möglichkeit zu reisen.» Wie in den meisten Ländern hielt auch in Südkorea die Gesellschaft in den 70er-Jahren an konservativen Frauenbildern fest. «Da war das Weggehen eine Möglichkeit, sich selbst neu zu erfinden», meint Yun: «Teilweise hat sich das erfüllt und teilweise auch nicht.»

«Österreich? Wo is’n das?», fragt im Comic die junge Soo-Hyun, als sie im Vorbereitungskurs davon erfährt, wo sie arbeiten soll; die Warteliste für Deutschland sei zu lang. «Über das Land wusste ich so gut wie nichts. Nur dass Franziska Donner, die ehemalige ‹First Lady› Koreas, von dort herkam. Und der Wiener Walzer.»

Mehrere hundert Frauen zogen im Zuge der Anwerbung nach Österreich, um im Krankenhaus zu arbeiten – in Deutschland, zum Vergleich, waren es um die 12.000; mit ein Grund, warum die südkoreanische Community dort auch bis heute weit größer ist und ihre Geschichte zumindest ein Stück weit dokumentiert. Viele der Frauen kamen aus ruralen Gebieten im Süden des Landes. Wien wurde als Weltstadt imaginiert, als «glitzernde Metropole», die Ankunft in der grauen, langweiligen, konservativen Stadt musste sie geradezu enttäuschen. «Das Bild von einem progressiven Europa ist schnell der sehr verstaubten Nachkriegsgesellschaft gewichen.» Und auch die Arbeit im Krankenhaus war nicht immer das, was die Frauen erwartet hatten: In Südkorea, erzählen sie Yun in den Interviews, sei dem Beruf der Krankenschwester ein Hochschulstudium vorausgegangen, man habe medizinische Aufgaben übernommen, den Beruf der «Schwesternhelferin» gab es nicht – in Wien aber wartete klassische Pflegearbeit: «Waschen, Betten machen, für die Ärzte alles herrichten. Das war schon eine Dequalifizierung.»

Im Wiener Spital erleben Yuns Comic-Krankenschwestern sowohl Diskriminierung als auch Unterstützung. Die Pflegearbeit ist körperliche Schwerarbeit; bei den Patient_innen sind die Neuen beliebt, «auch deswegen, weil wir die Patienten nicht so anbrüllten wie die anderen Schwestern.» Das viele Lächeln aber, so sagen Yuns Interviewpartnerinnen, sei vor allem eine Konsequenz der Sprachbarriere gewesen: «Sie konnten halt nicht viel zurücksagen, also haben sie gelächelt. Und das hat man ihnen als besondere Freundlichkeit ausgelegt.»

Pflegedebatte in Comicform.

Teil 2 ist offensichtlich mit Details aus dem Leben der Autorin gespickt – die Tochter südkoreanischer Eltern in der Großstadt, die sich langsam doch ein bisschen zur «glitzernden Metropole» mausert, heißt wie ihre Urheberin Vina: «Mein Name steht für den Ort, an dem ich geboren wurde», heißt es da. Ja, da gibt es autobiografische Elemente, bestätigt Vina Yun, «aber nicht alles entspricht eins zu eins meinem Leben». Vor allem ist sie in Wirklichkeit nicht Kind einer Krankenpflegerin. «Deswegen war mir diese Geschichte auch nicht so nah, ich musste die Recherchen von Grund auf machen.» In die aktuellen Debatten über Pflegearbeit passen die «Homestories» wie die sprichwörtliche Faust aufs Aug. «Es ist ja kein Zufall, dass ausländische Frauen für diese Berufe angeworben wurden», sagt Yun, «und das ist bis heute so, auch wenn sich die Herkunftsländer ändern. Es würde sich lohnen, da genauer hinzuschauen.»

Sowohl Inhalt als auch Format standen für Vina Yun schon lange fest. Obwohl sie selber keine Zeichnerin ist – die Bilder der «Homestories» kommen von Moshtari Hilal, Tine Fetz und Patu –, erschien ihr der Comic als geeignetste Form, um diese Lücke in der österreichischen Geschichtsschreibung zu schließen: niedrigschwellig, weit weg von akademischen Texten und dabei trotzdem ernsthaft. Auch ihre Eltern, erzählt sie, haben Comics gelesen, die seien für sie nicht mit «kindisch» oder gar «moralisch bedenklich» konnotiert wie vielleicht in autochthon-österreichischen Donald-Duck-Haushalten. Ein Stipendium von «Kültüř gemma», einer städtischen Förderschiene für migrantische Kunst- und Kulturarbeit, hat es ihr schließlich möglich gemacht, ihre Ideen umzusetzen.

Fragen, die das Alter stellt.

Aber alles ist noch lange nicht gesagt. Allein aus dem Stoff der Interviews könne man «zig Comics machen», sagt Vina Yun, und «ich möchte gern an dem Thema weiterarbeiten». Die Frauen, die mit ihr gesprochen haben, sind in Wien geblieben; andere sind nach Korea gezogen, als ihre Kinder erwachsen waren. Manche sind als Krankenschwestern in Pension gegangen, andere haben umgesattelt, «Souvenirshops aufgemacht, als der koreanische Tourismus eingesetzt hat», oder sich einen anderen Beruf gesucht. Jedenfalls würde Yun gerne erfahren, was für neue Fragen das Alter mit sich bringt: «Will ich hier in Wien sterben und begraben werden? Überleg ich, nach Korea zurückzugehen? Was gebe ich meinen Kindern von meiner eigenen Geschichte mit?» Alter und Migration – schon wieder so ein Thema, das völlig unterbeleuchtet ist. Wir warten gespannt auf «Homestories, Teil 3»!

 

Der AUGUSTIN verlost Homestories Teil 1 und 2!

So gehts:

E-Mail bis zum 30. August an verein@augustin.or.at oder

Postkarte an Redaktion Augustin, Reinprechtsdorfer Str. 31, 1050 Wien

Kennwort: Homestories


 

Vina Yun/Patu/Moshtari Hilal/Tine Fetz: Homestories. Koreanische Diaspora in Wien. Comic in 2 Teilen

Bestellen:

homestoriesvienna@gmail.com

fb.com/homestoriesvienna