Kino am Parkplatzvorstadt

Seit vergangener Woche werden im Autokino Center Wien am Stadtrand wieder Filme gezeigt. Das «Erlebnis Autokino» soll gerade während des Stillstands der Stadtkinos eine Alternative sein.

Text & Fotos: Chris Haderer

Was zeichnet ein Autokino aus? In erster Linie die Lage am Stadtrand. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind Autokinos in der Regel nur schwer zu erreichen, weil ein Teil der Kino-Infrastruktur auf den eigenen vier Rädern mitgebracht werden muss. Der Kinobetreiber ist nur für das Licht auf der Leinwand, das Buffet und die Toiletten zuständig, der gute Ton kommt aus dem Autoradio, und ob man auf Leder sitzt oder auf Plastik, ist nur der eigenen Geldbörse geschuldet. Am Nachmittag erinnert ein Autokino daher mehr an den bis vor vier Wochen noch leeren SCS-Parkplatz in Vösendorf als an ein Ausflugsziel, das auf der anderen Seite der Erde, wo es auch erfunden wurde, immer noch Kultcharakter hat. In den USA, dem Land mit der ausgeprägtesten Drive-in-Mentalität der Welt, waren Prüderie und der Ford Modell T die treibenden Kräfte für den Erfolg der Autokinos: kultische Liebe zum Kraftfahrzeug und ein ungestörter Platz zum Fummeln – gepaart mit ansprechenden Filmen aus dem Horror- und Splattermilieu. Ingmar Bergmans Das Schweigen hätte hier eher verstört.

Zuversicht nach dem Lockdown.

Für Markus Cepuder, der mit Hannes Schwarzecker seit einigen Wochen das Autokino Center Wien betreibt, handelt es sich weniger um Kult als vielmehr um ein kleines Stück Tradition: «Das Autokino hat immer zu Groß-Enzersdorf gehört», sagt er. «Als es 2015 zugesperrt hat, war das für mich ein bisschen eine Herzensangelegenheit, das Autokino nicht sterben zu lassen.» Die in den 1960er-Jahren eröffnete Anlage war über Jahrzehnte hinweg das einzige Autokino in Österreich. Nach einem Boom in den 70er- und 80er-Jahren stand 2015 der Konkursrichter vor der Tür, und das Parkplatzkino wurde bis 2018 stillgelegt. Ein weiterer Wiederbelebungsversuch kam über die Nulllinie nicht hinaus, und seit «ein paar Wochen sind wir am Zug», sagt Markus Cepuder. Mit gebundenen Händen allerdings, denn kurz vor der Eröffnung verdunkelte der Covid-19-Lockdown die drei Leinwände – obwohl die Sperre der Stadtkinos mit ein Grund für einen möglichst raschen Start war. Nach der Lockerung der Ausgangsbeschränkungen hofften Cepuder und Schwarzecker zunächst auf eine Öffnung am 1. Mai, die allerdings genauso wenig stattfand wie der Aufmarsch am Ring. Dass die Autokinos in Österreich als Unterhaltungsbetriebe ursprünglich bis zum 1. Juli geschlossen bleiben sollten, während sie im benachbarten Deutschland als Antwort auf Corona blühten wie im Prater die Bäume, versteht Cepuder nicht wirklich. Zumindest stimmt es die beiden Jungunternehmer zuversichtlich, dass sie seit 15. Mai wieder Filme zeigen dürfen: Ihr Grinsen kann man durch die Schutzmasken fast schon spüren. Bei unserer Begrüßung vor der Kinoschaltzentrale im Mittelpunkt der Anlage tragen sie den blauweißen Gesichtsschutz, wie man ihn in einem Supermarkt gratis bekommt. Was ein bisschen übervorsichtig wirkt, soll Signalwirkung haben: «Wir haben es mit vielen Menschen zu tun, dabei geht uns Vorsicht über alles. Das soll man auch spüren.»

Flohmarkt inklusive.

Auch wenn der Name anderes suggeriert, befindet sich das Autokino Center Wien etwa 800 Meter nach der Stadtgrenze in Groß-Enzersdorf, zwischen Feldern, Bäumen, ein paar Häusern und den Sportfahrzeugen der lokalen Edelprolet_innen. Am Sonntag findet am Gelände seit über 20 Jahren der größte Flohmarkt der Alpenrepublik statt. Angeblich sollen dort an coronafreien Sommertagen bis zu 10.000 Besucher_innen herumflanieren. Viele kommen mit dem 26A aus Wien, den sie an der Stadtgrenze verlassen, und schlendern dann die Bundesstraße entlang. Beim Kreisverkehr geht es nach rechts zu Hundeschule und Autokino, und wenn der Gehsteig plötzlich aufhört, stimmt die Richtung. Wenn dann die ersten Siedlungshäuser am Horizont auftauchen, haben «Sie Ihr Ziel erreicht», wie das Navi sagt, egal womit Sie kommen. Man befindet sich in einer zwar von Hochspannungsleitungen gut durchsetzten, aber dennoch recht ländlichen Umgebung, bei der man mehr an Wr. Neustadt oder Mattersburg denkt als an den Großraum Wien.

Kein Körperkontakt.

Die Tickets werden online gekauft und die QR-Codes durch die Autoscheibe gescannt. Gebucht werden Autos, nicht Passagiere. «In jedem Wagen können so viele Leute sitzen, wie eben hineinpassen», sagt Cepuder. «Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass sie im gleichen Haushalt leben müssen.» Kontrolliert wird dieses Detail aber nicht, weder von den Kinobetreibern noch von der Polizei. An Kulinarik wird vorerst nur Popcorn geboten, bei dem Cepuder großen Wert darauf legt, dass «es wirklich frisch ist». Getränke und selbstgemachtes Popcorn werden ebenfalls per App bestellt und dann direkt an den Wagen geliefert. Wer allerdings kein Smartphone hat oder das Internet nur zu Hause oder an öffentlichen Hotspots nutzt, ist im Nachteil.

Reduziertes Programm.

Wir steigen aufs Dach des kleinen Gebäudes, in dem sich die Projektoren, das Büro und das Buffet befinden, und verschaffen uns einen Überblick. Drei riesige Leinwände, auf zweieinhalb Himmelsrichtungen verteilt, die mit 525 Quadratmetern Projektionsfläche größte Richtung Süden. Sie wird vorerst als Einzige zum Einsatz kommen: «Wir könnten drei verschiedene Filme gleichzeitig zeigen», sagt Cepuder und nimmt nun doch die Maske ab. «Das ganze Kino ist auf diese Leinwand ausgerichtet. Sie kann von jedem Parkplatz aus gut gesehen werden.» Allerdings ist das Filmprogramm derzeit ohnehin eingeschränkt, da «es wegen Corona keine neuen Filme gibt». Von Regisseur Christopher Nolans Spionagethriller Tenet abgesehen, den Warner Bros. auf Gedeih und Verderb im Juli in die Kinos bringen will, haben sich kaum Premieren angekündigt. «Wir werden daher beispielsweise auf Klassiker zurückgreifen.» Auch Onlineabstimmungen über das Filmprogramm hält er für eine gute Idee.

Kein Kult.

Die Leinwände stechen wie große, weiße Zähne in den Himmel, darunter ist tatsächlich nichts anderes als Parkplatz, so weit das Auge reicht und die Bäume beginnen. «Wir haben neulich nachgezählt und waren selbst überrascht», sagt Cepuder: «Wir haben Platz für knapp 1000 Autos, allerdings starten wir mit einer reduzierten Kapazität. Einerseits aus Sicherheitsgründen, andererseits weil es auch für uns eine Testphase ist, um den Betrieb kennenzulernen.» Von einer Digital-3D-Projektion und Dolby-Atmos braucht man im Autokino allerdings gar nicht erst zu träumen, dafür ist die Intimsphäre in der Autokinostraße in Groß-Enzersdorf größer, als sie es in der Riemergasse 11 im ersten Bezirk, dem ehemaligen Rondell-Kino, jemals war. Und es ist eine Attraktion, eine Art motorisiertes Zeltkino aus dem anderen Jahrhundert – auch wenn das Autokino in Österreich/Europa trotz erbitterter Anhänger_innenschaft nie ein Kult war; vielleicht mangels übertriebener Prüderie und Autoverherrlichung. Aber: «Es geht um das Erlebnis Autokino», teilen sich Markus Cepuder und Hannes Schwarzecker eine Meinung: «Darum, dass man ein bisschen in der Vergangenheit ist und nicht im 21. Jahrhundert.» Das stimmt auch für die Ökobilanz, solange man im Viertakter ins Kino fährt und nicht wie Fred Feuerstein mit zwei Füßen.

www.autokino.at
Öffentlich erreichbar mit dem 26A/Stadtgrenze – aber wozu?