Kleben und kleben lassentun & lassen

Von der Magistratsabteilung zum kapitalistischen Global Player

Es geht wieder los. Ganz Wien wurde in den letzten Tagen überzogen von zig-tausenden Wahlplakaten. Gemessen am Selbstanspruch einer demokratischen Gesellschaft ist es völlig unverständlich, was diese mit politischer Willensbildung überhaupt zu tun haben. Aber dahinter steckt ein millionenschweres Business-Netzwerk von Werbeindustrie, Druckereien und Parteien. Leidtragende dieser Verschmutzung des öffentlichen Raumes ist die Bevölkerung. Aber nicht nur zu Wahlkampfzeiten ist die Stadt übersät von «Kauf mich»-Botschaften. Wie es zu dieser Reizüberflutung gekommen ist und warum die Gemeinde Wien nicht nur nichts dagegen unternommen, sondern diese sogar selbst hervorgerufen hat, darüber hat Martin Birkner mit dem freien Plakatierer und Stadterforscher Gerhard Rauscher gesprochen.

Illu: Much

2008 erhielt die SPÖ-nahe Firma «Kulturplakat» von der Stadt ein Quasi-Monopol in Sachen Ankündigungen von Kulturveranstaltungen geschenkt. Was hat dies für die subkulturellen Zusammenhänge – und für die Sichtbarkeit ihrer Veranstaltungen – bedeutet?

Das «freie Plakatieren» war und ist ja vor allem von politischen Zusammenhängen erkämpft, das wird oft vergessen. Es waren und sind linke Polit-Gruppen, die sich nichts um irgendwelche Plakatverordnungen scher(t)en und so politische Inhalte in die Öffentlichkeit zu bringen. So habe auch ich mit dieser Art der Lohnarbeit begonnen – Demoplakte möglichst schnell, an möglichst sichtbaren Plätzen und möglichst ohne von der Polizei erwischt zu werden in der Stadt zu verteilen. Bis ich dann die ersten Aufträge für Geld bekommen hab. Das war lange Zeit ziemlich unreguliert, dann haben ehemalige «Wildplakatierer» vom damaligen Planet Music (jetzt Szene Wien und Gasometer) um Muff Sopper das große Geschäft gewittert und sich mit der Gewista zur Firma «Kulturplakat» (alle drei zumindest SPÖ-nahe!) zusammengeschlossen – und versucht, alle «freien Plakatierer_innen» von der Straße zu vertreiben. Das ist ihnen nicht gelungen.

Wie haben sich die Arbeitsbedingungen für freie Plakatierer_innen seither verändert? Hat die Repression zugenommen?

Die letzte Repressionswelle gab’s im Jahre 2008, vor der Fußball-EM. Damals sollte Wien «sauber» gemacht werden – die bereits genannte Firma «Kulturplakat» ist damals entstanden als Akt der Wiener Freunderlwirtschaft –, und seither wurden viele davor «freie» Flächen stärker kommerzialisiert. Es gab damals sogar Überlegungen, eine «Plakatierergewerkschaft» zu gründen, nachdem es viele Anzeigen gab. Natürlich werden auch heute immer wieder Leute angezeigt, aber von einer Repressionswelle kann man zurzeit nicht sprechen.

Mir scheint, dass Repressionsversuche oder Diskussionen in der Öffentlichkeit, dass das Wildplaktieren wiedermal eingeschränkt gehört, alle 7 bis 10 Jahre auftauchen. Die Arbeitsbedingungen sind davon gekennzeichnet, dass man einerseits immer aufpassen muss, ob nicht staatliche Organe oder selbsternannte Sauberkeitssheriffs Stress machen. Ich betrachte den Job auch als Akkordarbeit – je schneller, desto mehr Verdienst. Aber der Job bietet auch viele Freiheiten: Mir sagt niemand, wann und wo ich was tun soll. Ich schätze diese Arbeit, die aber natürlich nur wenig soziales Prestige bringt.

Welche Rolle spielen kommerzielle Werbeflächen bei der Privatisierung öffentlichen Raums?

Mensch braucht sich ja nur in Wien umschauen: Alles ist voll mit großflächiger Werbung. Ich nehm mich da auch nicht aus, natürlich trage ich mit meinen Plakaten auch dazu bei. Aber ich denke, linke Polit-Plakate und die Werbung von kleineren Veranstalter_innen tragen eher zur «Kulturalisierung» als zur «Kommerzialisierung» bei.

Warum hört mensch von den Grünen, die vor einigen Jahren noch massiv gegen die «Freunderlwirtschaft» mit Plakatfirmen (so z. B. «Die Presse» im Juli 2006) in Wien protestiert haben, so wenig zum Thema?

Na ja, die Grünen sind halt Teil der Stadtregierung …

Wie könnte eine fortschrittliche «Plakatierpolitik» aussehen, die einerseits das hart erkämpfte Recht auf freie Information im öffentlichen Raum verteidigt und es andererseits vor der brutalen kapitalistischen Durchkommerzialisierung schützt?

Ich geh da vom Chaos-Prinzip aus. Die Stadt ist ein Körper mit vielen Flächen im öffentlichen Raum, die sich hervorragend zur Übermittlung von Botschaften eignen – man könnte sie auch als öffentliche Diskussionsflächen sehen, die von den Bewohner_innen genutzt werden könnten. Es ist oft komisch, wie unpolitisch viele Plakatierer_innen sind, denen wurscht ist, was sie raushauen oder was sie überkleben – etwas mehr Bewusstsein wäre hier angesagt ;).

Info:

Die GEWISTA (kurz für: Gemeinde Wien – Städtische Ankündigungsunternehmung) war einst Teil des Magistrats der Gemeinde Wien und ist heute eine der mächtigsten Werbefirmen Österreichs mit einer massiven Präsenz in Osteuropa. Hinweise auf die komplexe Verflechtung mit der SPÖ Wien finden sich im Wikipedia-Eintrag https://de.wikipedia.org/wiki/Gewista.

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