Kleiner Kärntner AlkoholführerDichter Innenteil

Herr Groll auf Reisen 298. Folge

Der Dozent traf seinen Freund Groll im Theatercafé in Klagenfurt. Dort liegen ausländische Zeitungen auf, die Atmosphäre entspricht der eines Wiener Kaffeehauses, und das Publikum ist nicht so blasiert wie im Hotelcafé Sandwirth.

Foto: Mario Lang

Letzteres verfügt allerdings über eine von zwei Behindertentoiletten der Kärntner Landeshauptstadt (die zweite befindet sich in einem von der Caritas geführten Café am Domplatz). Für eine Landeshauptstadt mit nahezu hunderttausend Einwohnern ist das eine Menge, sagte sich Herr Groll. Man musste sich also zwischen einer Wohltat fürs Gemüt oder einer Wohltat fürs Gesäß entscheiden.

Dass Adolf Hitler bei seinen drei Klagenfurt-Besuchen immer im Hotel Sandwirth abstieg, solle man den heutigen Betreibern nicht vorwerfen, dachte Herr Groll, wiewohl ihm bewusst war, dass in Klagenfurt und den Touristenorten Krumpendorf, Pörtschach und Velden am nahen Wörthersee noch so manche Familienhotels und Nobelresorts geführt werden, deren Betreiber in direkter Linie von Kärntner SS-Kriegsverbrechern abstammten und nicht nur den arisierten Besitz der Väter und Großväter, sondern auch deren Weltanschauung übernahmen und Kritiker dieses Umstands ohne zu zögern mit Prozessen überziehen – vertreten von alteingesessenen Klagenfurter Rechtsanwaltskanzleien, deren Ursprünge ebenfalls im Dritten Reich liegen.

«Freund Groll», sagte der Dozent. «Wie Sie wissen, nehme ich an einem Seminar über abweichendes Sozialverhalten im Fünf-Sterne-Plus-Schloßhotel Seefels teil, das im Übrigen mit dem Rollstuhl nicht befahren werden kann. Das Seminar ist skurril, so ist aber auch das Haus.» Mit diesen Worten setzte der Dozent sich zu seinem Freund an den Tisch. Der schob Zeitungen zur Seite und bestellte ein Glas Rotwein. Die Wirtin brachte das Verlangte. Woher der Wein stamme, erkundigte sich Groll. Aus dem Burgenland, antwortete die Frau. Ob er das Etikett sehen könne, fragte Groll weiter. Gern, sagte die Wirtin und reichte die Flasche. Der Wein stammte aus Jois am Neusiedler See, Groll nahm einen Schluck und war zufrieden. «Neuerdings wird man in Kärntner Lokalen mit Kärntner Weinen traktiert», erklärte Groll, zum Dozenten gewandt. «Man muss da sehr aufpassen, denn bis jetzt haben die Kärntner Weine, auch wenn sie mit Pomp und Trara beworben und nicht eben preiswert dargereicht werden, mit jenen Rebengewächsen, die wir schätzen, nur sehr wenig zu tun. Meist handelt es sich um kurzatmige, saure Tropfen.»

«Und in den anderen Fällen?»

«Sie kennen den Begriff ‹Chateau Migraine›?», fragte Groll.

Der Dozent lächelte. «Aus leidvoller Erfahrung.»

«Nun, damit ist das Notwendige zum Kärntner Weinbau gesagt.»

«Seltsam», sagte der Dozent. «Es ist doch bekannt, dass zumindest die Römer, wenn nicht schon die Etrusker und Kelten, in Kärnten Wein gefechst haben.»

«Das mag sein», erwiderte Groll. «Aber wir wissen nicht, wie der Wein geschmeckt hat.»

«Da mögen Sie recht haben», gab der Dozent zu.

«Allerdings gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen Etruskern, Kelten und Römern.»

«Ich höre», der Dozent beugte sich nach vor.

«Ihre Reiche sind untergegangen, die Völker sind ausgestorben», sagte Groll.

«Und Sie meinen … dass der Kärntner Wein daran schuld ist?»

«Es ist zumindest nicht auszuschließen. Neueren önologisch-archäologischen Forschungen zufolge …»

«Hören Sie auf!», sagte der Dozent mit lauter Stimme.» Geben Sie doch zu, dass Sie ein Vorurteil, eine Voreingenommenheit, ja eine ausgewachsene Idioynkrasie gegen den Kärntner Weinbau hegen!»

«Sie machen mich stolz», sagte Groll. «Was heißt Idio …?»

«Eine Idiosynkrasie ist eine sehr starke Abneigung, der Begriff ist zwischen dem schwächeren Ennui und dem stärkeren Hautgout angesiedelt.»

«Großartig», sagte Groll. «Wenn Sie mich bitte für alle drei vormerken möchten!»

«Gern», sagte der Dozent und bestellte ein Bier, erkundigte sich aber nach der Marke und gab sich mit Murauer Bier zufrieden.» Auch beim Bier muss man in Kärnten aufpassen», meinte er im Verschwörerton. Es gebe da ein «Schleppe Kreativbier», ein «Wimitzer Lemisch Bräu» …

Um Gotteswillen!, rief Groll. «Ein faulendes Bier aus Lehm?»

«Arthur Lemisch war der Kärntner Landverweser Anfang der zwanziger Jahre, ein rabiater Deutschnationaler, in jeder Kärntner Stadt finden Sie nach ihm benannte Straßen und Schulen.»

«Sagte ich doch: Landverweser. Ein faulendes, braunstichiges Bier.»

«Nicht zu vergessen, das ‹Hirter Privat Pils›», fuhr der Dozent fort. «Für einen sensiblen Soziologen wie mich ist diese Namensgebung fatal, erinnert sie doch an die unsägliche Philosophie des ‹Mehr privat – weniger Staat›, wie die österreichische Variante des Neoliberalismus heißt, eine Philosophie, die zweistellige Arbeitslosenraten, industriellen Niedergang und eine sagenhafte Vermögenskonzentration in den diversen Privatstiftungen der Flick, Horten, Glock, Piech und anderen befeuerte. Der vielfach verurteilte Herr Kulterer von der Hypo Alpe Adria war Vorstand der Flick-Stiftung, und auch sein Nachfolger kommt aus dem Umkreis der Kärntner Skandalbank.»

«Ich sehe, in Kärnten ist sowohl das Bier- als auch das Weintrinken eine heikle Sache. Da bedarf es historischer Expertise.»

«Sie sagen es», erwiderte der Dozent. Herr Groll bestellte ein weiteres Glas vom Joiser Zweigelt.

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