Kleiner Markt ganz großtun & lassen

In Ottakring hat die Initiative MILA einen Minimarkt eröffnet. Er ist die erste Station auf dem Weg zum Aufbau eines genossenschaftlich geführten Supermarkts in Wien. Der Augustin war am ersten Betriebswochenende dabei.

TEXT: CHRISTIAN BUNKE
FOTOS: LISBETH KOVAČIČ

Ein Minimarkt, das ist eigentlich ein Supermarkt, aber halt kleiner. Mit Luftballons, Getränken und großem Hallo eröffnete am 13. Mai der Minimarkt der Initiative MILA in der Haberlgasse 58 in Ottakring. Ein historischer Ort. Immerhin existierte in der 45 Quadratmeter großen Fläche seit 1903 ein Greißler.
Das ist sehr schön, fragt sich jetzt vielleicht manche Leserin, mancher Leser, aber warum interessiert sich der Augustin plötzlich für die Nahversorgung um die Ecke? Eben deshalb, weil dieser Minimarkt ein für Wien sehr ungewöhnlicher Laden ist, und vor allem die dahinterstehende Initiative eine wirklich spannende. Denn der Verein MILA hat nichts weniger im Sinn als Wiens ersten genossenschaftlich organisierten «Mitmach Supermarkt» zu gründen. Der Minimarkt ist da nur der erste Schritt, auch, um sich selbst, also den Mitgliedern der Initiative, zu beweisen, dass es funktioniert. «Es ist wichtig für die Leute, ­einen ganz konkreten Ort zu haben», sagt Brigitte Reisenberger, Vorstandsmitglied bei MILA. Für das Gespräch mit dem Augustin hat sie draußen vor dem Minimarkt auf einer Holzbank Platz genommen. Drinnen ist am Eröffnungstag einfach zu viel Trubel. Sie zeigt auf eine Frau, die gerade das Geschäft verlässt. «Das ist unsere Grafikerin. Ich habe sie heute das erste Mal in Wirklichkeit gesehen.» Viele Vorbereitungsarbeiten für die Eröffnung des Minimarktes fanden lockdownbedingt online statt. «Es gibt Arbeitsgruppen, die haben sich noch nie physisch getroffen», so Reisenberger. Dabei ist die Grundidee von MILA eine sehr physische. Als Beispiel mag der genossenschaftlich geführte New Yorker Supermarkt Park Slope Food Coop dienen. Der hat 17.000 Mitglieder, ist einer der erfolgreichsten Supermärkte in den USA und verkauft jährlich Ware im Wert von 47 Millionen US-Dollar. Der Großteil der Produkte stammt aus biologischem Anbau und aus regionaler Produktion.
MILA hat eine ähnliche Vision, backt aber deutlich kleinere, trotzdem jedoch ambitionierte Semmeln. 500 Mitglieder hat der Verein derzeit. «2.000 Mitglieder brauchen wir, damit sich die Gründung eines genossenschaftlichen Supermarktes wirtschaftlich rechnet», sagt Brigitte Reisenberger. «Auch deshalb ist der Minimarkt wichtig. Allein durch die Crowdfunding-Kampagne für dessen Gründung haben wir 150 neue Mitglieder gewonnen. Mit dem Minimarkt wollen wir weitere Leute anlocken.»

Gute Produkte zu günstigen Preisen.

Mitglieder? Für einen Supermarkt? Jetzt denken vielleicht manche, das kommt ihnen bekannt vor. Schließlich verteilen die großen Supermarktketten Mitgliedskarten wie Sand am Meer, um die Kund:innen mit scheinbaren oder tatsächlichen Rabattangeboten an den ­eigenen Konzern zu binden. Entsteht hier am Ende gar einfach ein neues Bobo-Geschäft, welches die Mieten in der Nachbarschaft weiter ansteigen lässt?
Das Gegenteil sei der Fall, erklärt Brigitte Reisenberger energisch. «Unser Ziel ist es, gute Produkte zu möglichst billigen Preisen unseren Mitgliedern anbieten zu können. Dafür bringen sich unsere Mitglieder mit ihrer freiwilligen Arbeitszeit ein. Und sie können mitbestimmen, was für Produkte wir in unserem Minimarkt anbieten.» Alle großen und wirklich wichtigen Entscheidungen würden demokratisch auf Mitgliederversammlungen getroffen. «Wir arbeiten möglichst eng und auf Augenhöhe mit kleinen Produzent:innen und Produktionsgenossenschaften zusammen. Aber wir wollen uns nicht als Biogeschäft bezeichnen, weil dann Menschen mit weniger Einkommen vielleicht denken, dass das nichts für sie und viel zu teuer ist. Das ist nicht unser Ansatz.» Im Zentrum stehen die Bedürfnisse der Mitglieder: «Eines unserer Mitglieder wollte gerne zuckerfreie Cola im Sortiment», sagt Reisenberger. «Also haben wir eine Cola von einem Tiroler Hersteller aufgenommen.»
Auch wenn MILA in erster Linie kein politisches Projekt sei, betont Reisenberger, doch im Inneren findet sich durchaus Politisches. So zum Beispiel das «Pflugfeld Dritte Piste Mehl», hergestellt von einem Biobauern, dessen Acker vom Ausbau des dritten Flughafens bedroht ist, für 2,50 Euro das Stück. «Noch unversiegelt» steht auf der Packung, in Anspielung darauf, dass der fruchtbare Ackerboden noch nicht durch eine neue Start- und Landebahn versiegelt worden ist. Sebastian Nedomlel, der sich gerade diese Packung anschaut, schmunzelt. «Ich kenne viele Menschen aus der Bewegung für Ernährungssouveränität. Darüber ist auch mein Interesse an dieser Initiative entstanden.»

Das Sortiment mitbestimmen.

Daneben hat Nedomlel noch ein ganz persönliches Interesse am Minimarkt. «Ich habe eine Glutenunverträglichkeit. Und ich bin Vegetarier. Deshalb beschäftige ich mich schon seit Langem mit Ernährung.» Mit den herkömmlichen Supermarktketten habe er schlechte Erfahrungen gesammelt. «Sie haben oft nicht die Produkte, die ich brauche. Und wenn sie Produkte guter Qualität haben, dann werden sie manchmal plötzlich aus dem Sortiment genommen. Bei MILA kann ich über das Sortiment mit­entscheiden und sicherstellen, dass es Produkte gibt, die ich auch wirklich will.» Und wie um es zu beweisen, zaubert er eine Bierflasche hervor und gönnt sich einen Schluck glutenfreies Bier einer kleinen Brauerei aus der Nähe von Salzburg.
Eine Mitgliedschaft bei MILA beinhaltet nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Das ist jetzt schon wichtig, denn schließlich organisiert sich auch ein Minimarkt nicht von allein. Doch sobald einmal der Supermarkt etabliert ist, «hoffentlich irgendwo in den Bezirken Fünfhaus, Ottakring oder Hernals», wie Nedomlel und Reisenberger übereinstimmend sagen, wird schlagend, dass nur Mitglieder der Genossenschaft auch einkaufen dürfen. Und wer bei der Genossenschaft dabei sein will, sollte für diese idealerweise vier Stunden ehrenamtliche Arbeitszeit im Monat zur Verfügung stellen. «Es gibt sehr viele Möglichkeiten, sich einzubringen», sagt Brigitte Reisenberger. «Manche schlichten lieber Regale ein, andere stehen gerne hinter der Kasse oder machen Buchhaltung. Es gibt unterschiedlichste Arbeitsgruppen.»
Sebastian Nedomlel ist ein aktives MILA-Mitglied. «Ich bin bei verschiedenen Arbeitsgruppen dabei», erzählt er. «Zum Beispiel bei der Gruppe Infogespräch. Wir machen mit jedem neuen Mitglied ein Infogespräch, damit alle wissen, worum es bei uns geht. Und ich engagiere mich bei der Eventgruppe. Die organisiert unter anderem Infotische, um neue Mitglieder für uns zu werben.»
Für die zukünftigen Genossen­schafter:innen von MILA war die Eröffnung ihres Minimarktes jedenfalls bislang ein großes Erlebnis. Und eine Lernkurve. Zum Beispiel bei der Auswahl der Öffnungszeiten für den neuen Laden. «Ich wollte ja ursprünglich montags, mittwochs und freitags öffnen, damit die Öffnungszeiten sich unter der Woche gut verteilen. Das geht sich aber von den Liefer- und Lagerungszeiten her nicht aus. Jetzt haben wir freitags und samstags geöffnet. Donnerstags wird alles eingelagert und hergerichtet», erklärt Reisenberger.
Auf dass es genossenschaftlich schmecken möge. 

www.mila.wien

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