Die «Sozialhilfe neu» wurde Ende April im Nationalrat beschlossen. Einiges davon wird juristisch nicht halten, kaum etwas wird zur Linderung der Armut beitragen. Um den Durchblick in einer hitzigen Debatte zu wahren, hat Lisa Bolyos sich angesehen, was in dem «Hilfspaket» drinsteckt.
Alleinerziehen
Ein Bonus von maximal 12 % für Alleinerziehende wird als Kann-Bestimmung eingeführt, die Länder können demnach selbst wählen, ob und unter welchen Umständen sie ihn auszahlen. Kürzungen ab drei Kindern und die Neuregelung bei den Wohnkosten wird diesen Bonus aber in den meisten Fällen «auffressen».
Arbeit
Der sogenannte «Arbeitsqualifikationsbonus» ist tatsächlich ein Malus. Deutsch- (B1) oder Englischkenntnisse (C1) werden hier als Voraussetzungen für die Integration im Arbeitsmarkt behauptet und damit zur Bedingung für den Bezug in voller Höhe. Andernfalls wird die Sozialhilfe um 35 %, also rund 300 Euro, gekürzt. Ob das EU-rechtskonform ist, bleibt juristisch zu prüfen.
Ausgleichszulagenrichtsatz
Gilt als Berechnungsgrundlage der Sozialhilfe und wird jährlich vom Sozialministerium angepasst. Für 2019 liegt er bei 885,47 Euro netto für eine Einzelperson (Paare: 1.239,66 Euro) und darf als Sozialhilfe nur zwölfmal im Jahr (nicht vierzehnmal wie als Pension) ausgezahlt werden. Er ist im Gesetz als Höchstgrenze definiert und kann von den Ländern unterschritten werden. Durch die Deckelung des Wohnzuschusses werden die meisten Bezieher_innen als realen Lebensunterhalt über weit weniger (531 Euro) verfügen, der Rest muss als «Sachleistung» zur Anwendung kommen.
Ausschluss
Subsidiär Schutzberechtigte werden vom Leistungsbezug ausgeschlossen und sollen finanzielle Unterstützung nur noch in Höhe der Grundversorgung von rund 365 Euro bekommen. Das könnte im Widerspruch zur EU-Qualifikationsrichtlinie stehen, die unter anderem den Zugang von Schutzberechtigten zu Sozialhilfeleistungen regelt. Ausgeschlossen sind auch strafrechtlich zu Haftstrafen ab 6 Monaten Verurteilte während ihrer Haftzeit.
Behinderung Personen mit Behinderung steht ein Bonus von 18 % zu, den die Länder auszahlen müssen. Eltern und Angehörige von erwachsenen Kindern mit Behinderung werden allerdings massive Kürzungen erleiden. Therapeutische Wohngemeinschaften wurden nach viel Protest in letzter Sekunde von der Deckelung erwachsener Bedarfsgemeinschaften ausgenommen.
Grundsatzgesetz
Weil das «Armenwesen» Ländersache ist, konnte die Bundesregierung nur ein Grundsatzgesetz erlassen. Die Länder sind für Ausführungsgesetze (bis Ende 2019 auszuformulieren) und die Vollziehung verantwortlich. Sieht ein Bundesland die Verfassung aber durch das Grundsatzgesetz verletzt, kann es von der Vollziehung absehen. Prüfen muss dann der Verfassungsgerichtshof.
Kinder
Der zusätzliche Bezug für Kinder wird für Mehrkindfamilien stark vermindert. Die Schere zwischen jenen Familien, die vom Familienbonus profitieren, und jenen, die Sozialhilfe beziehen müssen, wird so noch weiter aufgehen. Die Sicherheit von Kindern, in ihren Familien verbleiben zu können, ist bei Verarmung bis zur Wohnungslosigkeit stark gefährdet. Es ist zu befürchten, dass die Zahl der behördlichen Kindesabnahmen ansteigt.
Krankenversicherung
Bisher ist die Krankenversicherung der Leistungsbezieher_innen klar geregelt. Im neuen Sozialhilfe-Grundsatzgesetz bleibt sie unerwähnt.
Maximalsätze
Statt eines Minimalbetrags, der von den Ländern ausgezahlt werden muss, gilt jetzt ein Maximalbetrag, der nicht überschritten werden darf. Nach unten sind keine Grenzen gesetzt.
Mindestsicherung
Anders als in der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ist in der «Sozialhilfe neu» die Armutsbekämpfung kein ausgewiesenes Ziel mehr. Die Sozialhilfe soll laut Gesetzestext als Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts gelten und fremdenpolizeilichen Zielen sowie der «optimalen Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes» dienen.
Niedriglohnsektor
Der oft getroffene Vergleich mit Hartz IV legt nahe, dass es auch in Österreich um die Ausweitung eines Niedriglohnsektors geht. Zwar bieten die Branchenkollektivverträge einen gewissen Schutz, dennoch wird die Verarmung durch die «Sozialhilfe neu» eine Vielzahl an «armen Arbeitenden» hervorbringen, die dem Arbeitsmarkt rechtlich stark geschwächt zur Verfügung stehen.
Notstandshilfe
Ist anders als die Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe keine Fürsorgeleistung, sondern von erworbenen Versicherungszeiten abhängig. Die Höhe der Notstandshilfe hängt nicht von Einkommen und Bezügen anderer Personen im Haushalt ab. Ihre Abschaffung steht im Raum. Mehr dazu berichtet der AUGUSTIN Anfang Juni.
Statistik
Das Sozialhilfe-Statistikgesetz verpflichtet die Statistik Austria dazu, Daten über Sozialhilfebezieher_innen in die sogenannte «Transparenzdatenbank» einzuspeisen.
Vermögenszugriff
Ein Schonvermögen bleibt bis rund 5.200 Euro unangetastet. Die Frist für den Zugriff auf ein Eigenheim wird auf drei Jahre erweitert.
Wohnen
Die Länder können einen Wohnzuschuss von maximal 30 % gewähren. Wohnbeihilfe darf nicht beantragt werden. Aus der Möglichkeit, in Wohngemeinschaften zu wohnen, um Wohnkosten zu sparen, wird den Betroffenen ein Strick gedreht: Der Sozialhilfebezug für Bedarfsgemeinschaften von Erwachsenen wird bei rund 1.550 Euro gedeckelt. Das kann sich massiv negativ auch auf Wohnungsloseneinrichtungen auswirken.
Illu: Much