Kleinstfamilie im Gemeindebautun & lassen

Alleinerziehende im Gemeindebau? Bisher galt: Wer nicht den gängigen Familienvorstellungen entspricht, stelle sich bitte hinten an. Erstmals macht die Stadt Wien bei den Vergabekriterien jetzt einen Sprung vorwärts.

Text: Sarah Zeller, Illustration: Much

Anfang März ist die Stadt Wien einen Schritt in die richtige Richtung gegangen: Alleinerziehenden ohne eigenes Mietverhältnis wird der Zugang zum Gemeindebau und zu den günstigeren geförderten Wohnungen erleichtert. Dadurch soll der grundsätzlichen Benachteiligung von Ein-Eltern-Familien gegenüber Zwei-Eltern-Familien am Wohnungsmarkt entgegengewirkt werden.
Diese Neuerung ist beschränkt auf Alleinerziehende ohne eigenes Mietverhältnis, also wohnungslose Alleinerziehende. Die versteckte Wohnungslosigkeit bei Alleinerziehenden ist hoch und die Situation überaus belastend, insbesondere für die betroffenen Kinder. Die Familien schlüpfen unter bei Verwandten, Freund_innen, neuen (Zweck-)Partner_innen. Somit zielt diese Maßnahme auf die Verbesserung der Lebenssituation einer der vulnerabelsten Gruppen von Alleinerziehenden ab.

Überbelegt, jung, alleinerziehend.

Der Hintergrund: Um zu Gemeindewohnungen und den günstigeren geförderten Wohnungen Zugang zu haben, ist – zusätzlich zu den Grundvoraussetzungen – ein begründeter Wohnbedarf notwendig. Dieser wird wie folgt definiert: Überbelag (zu viele Personen auf zu wenigen Zimmern), getrennter Haushalt (wenn Partner_innen zusammenziehen wollen und dadurch ein Überbelag entstehen würde), Hausstandsgründung (Wiener_innen unter 30 Jahren, die seit mindestens zehn Jahren bei den Eltern gemeldet sind und in keinem eigenen Mietverhältnis stehen), Personen mit besonderen Bedürfnissen (Alter, Krankheit, Behinderung).
Hier kommt nun als zusätzliche Kategorie «wohnungslose Alleinerziehende» dazu. Das ist eine sinnvolle und notwendige Maßnahme, die gemeinsam mit anderen Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnsituation von Alleinerziehenden beiträgt. Dass Alleinerziehende vor besonderen Herausforderungen stehen, weiß man. Was in den letzten Jahren immer präsenter wird, ist die besondere Brisanz des Themas alleinerziehendes Wohnen. Der Verein JUNO konnte in einer Studie 2019 die Wohnsituation von Alleinerziehenden in Wien herausarbeiten. Hier wurde u. a. sichtbar, dass ein Fünftel der Alleinerziehenden in Wien schon einmal von Wohnungslosigkeit bedroht war.
Die Umsetzung des Wohnbonus für Alleinerziehende stellt sich bisher so dar: Ein_e Alleinerzieher_in ohne eigenes Mietverhältnis kann sich für ein Wohnticket mit begründeten Wohnbedarf anmelden, wenn die Grundvoraussetzungen für den geförderten Wohnbau in Wien erfüllt werden. Einzig beim zweijährigen durchgehenden Hauptwohnsitz wird es wohl eine Ausnahme für wohnunslose Alleinerziehende geben – ansonsten würde die Maßnahme ihren Sinn verfehlen –, weil Wohnungslosigkeit meistens mit häufigerem Aufenthaltswechsel verbunden ist. Mit diesem Wohnticket hat die Ein-Eltern-Familie Zugang zum Gemeindebau sowie zu den günstigeren geförderten Wohnungen und wird bei der Vergabe der Wohnungen vorgereiht, um die Wartezeit zu verkürzen.

Kein eigenes Zimmer.

Diese Neuerung in der Vergabe des günstigeren Segments der Sozialwohnungen wird das Leben von wohnungslosen Alleinerziehenden und ihren Kinder verbessern. Jedoch leuchtet ein, dass das nur der erste Schritt von mehreren sein kann auf dem Weg zur Gleichstellung von Ein-Eltern Familien gegenüber Zwei-Eltern-Familien bei der Vergabe von Sozialwohnungen.
Sehen wir uns die Benachteiligung von Alleinerziehenden, die ihren Ursprung in dem Fokus auf Zwei-Eltern-Familien hat, am Beispiel Überbelag an: Eine Zwei-Eltern-Familie mit einem Kind lebt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Überbelag. Die Familie kann sich hier so aufteilen, dass es ein Kinderzimmer und ein Elternzimmer gibt. Eltern und Kind haben Privatsphäre und eine Tür, die man schließen kann. Die Familie erfüllt den begründeten Wohnbedarf. Eine Ein-Eltern-Familie mit einem Kind lebt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung nicht in Überbelag und kann keinen begründeten Wohnbedarf geltend machen. Das geht nur in einer Ein-Zimmer-Wohnung. Hier gibt es keine Privatsphäre, keine Rückzugsmöglichkeit, keine Tür, die zwischen Kind und Elternteil geschlossen werden kann. In dieser Wohnsituation muss die Kleinstfamilie aber mindestens zwei Jahre bleiben, um Anspruch auf das Wohnticket mit begründetem Wohnbedarf zu haben.
Dieses Problem bleibt für Alleinerziehende, die nicht wohnungslos sind, bestehen. Die strukturelle Benachteiligung von Alleinerziehenden und ihren Kindern geht in einem System, in dem sie nicht mitgedacht werden, weit über die Vergabe von Sozialwohnungen in Wien hinaus. 

Sarah Zeller ist Gründerin und Leiterin von JUNO – Zentrum für Getrennt- und
Alleinerziehende. Sie beschäftigt sich seit
Jahren in Theorie und Praxis mit dem Thema alleinerziehendes Wohnen.