Boulevard-Blog vom 25.01.2023
Weil Petitionen und Demonstrationen von den Entscheidungsträger:innen ignoriert werden, setzen Klimaaktivist:innen nun vermehrt auf zivilen Ungehorsam. Die Besetzungen und Blockaden werden meist von der Polizei aufgelöst. Wir haben zwei österreichische Klima-Aktivist:innen nach ihren Erfahrungen mit (Polizei-)gewalt gefragt – und wie Eskalationen verhindert werden könnten.
«Es fühlt sich richtig an, sich da hinzusetzen und sich anzukleben. Es fühlt sich richtig an, die Landtagssitzung zu stören», sagt Marina Hagen-Canaval. Seit etwas mehr als zwei Jahren ist sie Klimaaktivistin und Mitglied bei Extinction Rebellion Österreich. Neben Blockaden, Stör- und Klebeaktionen sowie Backoffice- und Pressearbeit hat sie in dieser Zeit auch Erfahrung mit Polizeigewalt gemacht. Als sie bei einer Störaktion im Vorarlberger Landtag am 14. Dezember 2022 eine Rede hielt, wurde sie von einem Beamten des Verfassungsschutzes am Arm gepackt und anschließend so fest an den Haaren gerissen, dass sie zu Boden stürzte. «Als junge Frau von einem älteren Mann so behandelt zu werden, ist schlicht unverhältnismäßig und übergriffig. Er hätte mich ja auch verbal auffordern können, die Bühne zu verlassen. Ich reiche hier eine Maßnahmenbeschwerde ein, denn immerhin ist es sein Job, solche Situationen deeskalierend zu beenden.» Fälle wie diese, bekomme die Öffentlichkeit zu wenig mit, meint Marina Hagen-Canaval.
Viel mediale Aufmerksamkeit hingegen erlangte vergangene Woche jener Fall von Polizeigewalt, der dem Wiener Josef Etzelsdorfer widerfahren war. Der Gründer von Robin Foods, einem Verein, der sich gegen Lebensmittelverschwendung einsetzt, unterstützt verschiedene Klimaschutzproteste, indem er vor Ort gerettetes Essen an die Teilnehmenden verteilt. Im Zuge der «Lobau bleibt»-Bewegung im Sommer 2022 besetzte er kurz nach der Räumung des Protestcamps in der Hausfeldgasse einen Baum. Durch eine höher gelegene Plattform und Betonblöcke mit Lock-Ons wollte er gemeinsam mit drei weiteren Aktivist:innen den Baum vor seiner Fällung bewahren. «Es dauerte einige Stunden, bis uns die WEGA von unseren Plätzen entfernen konnte», erzählt er. «Und ich muss sagen, das haben die auch ziemlich professionell und gut gemacht.»
Verletzt in Polizeigewahrsam
In der Folge wurden die Aktivist:innen zum Polizeianhaltezentrum an der Rossauer Lände gebracht. Die Beamt:innen wollten ihre Identität feststellen, um Verwaltungsstrafen erteilen zu können. Josef Etzelsdorfer wusste, dass Fotos oder Fingerabdrücke zur Identitätsfeststellung nicht zulässig seien. «Und bei uns Aktivisti war es damals Usus, dies zu verweigern. Deshalb rollte ich mich einfach zusammen, als die zuständigen Beamt:innen die Zelle betreten haben.» Im Nachhinein sagt er: «Ich dachte, es sei ein Katz-und-Maus-Spiel, denn bitte, wie lange sollte es dauern, bis vier Beamte einen Polizeigriff anwenden, mit dem sie mich unter Kontrolle haben?»
Doch es kam anders: Einer der Beamten verlor die Geduld und sprang dem Aktivisten mit voller Wucht ins Kreuz, um ihn zu überwältigen. «Ich habe gleich bemerkt, dass meine Rippe gebrochen ist», erinnert sich Josef Etzelsdorfer an die Schmerzen. Nach mehrmaligem Nachfragen wurde durch einen Beamten mit medizinischer Ausbildung eine «Muskelverletzung» diagnostiziert, der inhaftierte Aktivist erhielt eine Schmerztablette und wurde über Nacht in der Zelle angehalten. Als er am nächsten Morgen freikam, stellte die zuständige Amtsärztin tatsächlich einen Rippenbruch fest. Josef Etzelsdorfer wurde im Krankenhaus behandelt – die zuständigen Beamten wurden wegen Körperverletzung angezeigt.
Im Jänner 2023 nun das Urteil: Da nicht festgestellt werden kann, welcher der drei (oder vier*) Beamten für die Verletzung von Josef Etzelsdorfer verantwortlich ist, kann aufgrund der Unschuldsvermutung auch niemand für schuldig befunden werden. Der zuständige Verwaltungsrichter Wolfgang Helm stellt fest, dass die Gewaltanwendung unverhältnismäßig war und nicht dokumentiert wurde. Außerdem wurde der Verletzte zu lange ohne ausreichende ärztliche bzw. medizinische Behandlung festgehalten – es handelte sich also dezidiert um einen Fall von Polizeigewalt. «Bisher gibt es aber nur eine Aufwandsentschädigung für die Schriftstücke meines Anwalts. Das Schmerzensgeld für mich wird noch verhandelt. Derzeit sitze ich noch auf den juristischen Kosten von rund 900 €.» Seine Verletzung sei mittlerweile gut verheilt, aber der Fall an sich sei ein Paradebeispiel für die unverhältnismäßige Machtausübung mancher Polizist:innen, so Josef Etzelsdorfer.
Ausnahmesituationen vermeiden und handeln können
Sowohl Josef Etzelsdorfer als auch Marina Hagen-Canaval fordern deshalb dringend eine unabhängige Beschwerdestelle für Polizeigewalt. «Das würde auch jenen enorm helfen, die sich selbst nicht so leicht verteidigen können. Ich spreche von Obdachlosen, Flüchtlingen, Menschen, die kein Deutsch sprechen», so Etzelsdorfer.
Beide sind sich aber auch einig, dass es sich bei ihren Fällen um Ausnahmesituationen handelte. «Das entschuldigt nicht das Fehlverhalten mancher Beamt:innen, aber man muss schon sagen: So krass die Polizei manchmal versagt, so professionell sind sie im Großteil der restlichen Zeit», stellt die XR-Aktivistin klar. Auch Josef Etzelsdorfer sagt: «Im Grunde gehe ich auf die Beamt:innen immer offen zu. Oft kommen gute Gespräche zustande, denn ich erkläre ja auch, warum ich das tue. Bei der Baumbesetzung hat die WEGA wirklich professionell gearbeitet, dafür habe ich mich dann auch bedankt. Klimaschutz heißt nicht ‹Wir gegen die Polizei›, sondern es geht um die Sache – in meinem Fall ‹Lobau bleibt ›.»
Damit Polizeigewalt in Zukunft verhindert werden kann, fordern die Aktivist:innen eine bessere Planung der Polizeieinsätze, Bewusstseinsbildung und gezieltes Training für die Beamt:innen. «Um das zu gewährleisten, müsste der Polizei auch mehr Geld zu Verfügung stehen», sagt Etzelsdorfer. «Es kann ja nicht sein, dass ein junger Streifenpolizist, ohne Erfahrung in diesem Bereich, jemanden von einem Bagger herunterholen muss, so wie es bei der Räumung des Lobau-Camps der Fall war. Der hat dann einfach die Geduld und die Nerven verloren, den Aktivisten vom Bagger getreten und ihn so einer enormen Gefahr ausgesetzt; anstatt dass er auf die richtigen Einsatzgeräte oder Unterstützung von Spezialkräften gewartet hätte.»
Aktiver Aufruf zur Gewalt?
«Die größte Gefahr für Aktivist:innen geht aber tatsächlich von Passant:innen und bei Straßenblockaden auch von den Autofahrer:innen aus, die unseren Protest nicht gut finden», fährt Marina Hagel-Canaval fort. «Am vergangenen Mittwoch wurde am Wiener Westbahnhof ein Aktivisten-Kollege von fremden Leuten geschlagen und getreten – das war echt brenzlig. Die Polizei ist bei ihrer Ankunft aber sofort eingeschritten.»
Für die Gewalt von Passant:innen gegenüber Klimaaktivist:innen seien auch gewisse Politiker:innen verantwortlich. Erst vor kurzen kursierte ein von Dominik Nepp (Wiener FPÖ) gefordertes «Straßenschild» in den Sozialen Netzwerken. Darauf war ein Passant zu sehen, der auf eine:n angeklebte:n Klimaaktivist:in uriniert. «Das ist ein aktiver Aufruf zur Gewalt an Klimaktivisti seitens der FPÖ. Die jungen Grünen werden dies jetzt auch einklagen», so Marina Hagen-Canaval, die selbst grünes Parteimitglied ist.
Der Blick nach Deutschland zeigt: Die Klimakrise entfacht ein enormes Gewaltpotential. Die Gesellschaft ist gespalten, die Polizei überfordert. Situationen wie in Lützerath sollen künftig verhindert werden, da ist man sich auch in Deutschland einig. Josef Etzelsdorfer meint aber, die Debatte gehe nicht weit genug: «Wir kommen jetzt schon an den Punkt, wo wir angesichts der Tatsachen auch über Befehlsverweigerung innerhalb der Polizei sprechen müssen. Das in Lützerath, das waren keine Auszucker mehr. Die Gewalt wurde von oben verlangt. Und wenn das, was von oben verlangt wird, falsch ist, nämlich friedliche Demonstrant:innen gewaltsam niederzuschlagen, dann muss man diese Befehle hinterfragen.»
Mehr Aufklärung über Klimakrise notwendig
Und wie geht man damit um, sich potenzieller Gewalt aktiv auszusetzen? – so die Frage an Aktivistin Marina Hagen-Canaval. «Also wir rechnen ja mit der Auflösung unserer Blockaden und Störaktionen. Das ist ja ein Teil des Protests. Aber ich bin mir sicher, dass, wenn es mehr Aufklärung über die Klimakrise gäbe, dann gäbe es auch mehr Verständnis seitens der Polizist:innen für unsere Anliegen. Und dann würden sie uns nicht so herablassend behandeln.» Das sei es auch, was ihr die Kraft und Motivation gebe, auch nach negativen Erfahrungen weiterzumachen: «Ich habe diesen unumstößlichen Glauben, dass uns die Geschichte freisprechen wird. Ich kann nicht abschätzen, wie lange es dauern wird, aber irgendwann wird es heißen: Diese Leute wie ich, die hatten Recht.»
*Dieser Umstand konnte in den Ermittlungen nicht abschließend geklärt werden.
Links:
Extinction Rebellion Österreich: xrebellion.at
Robin Foods: robin-foods.org
Lobau bleibt: lobaubleibt.at
Lützi bleibt: luetzerathlebt.info
Bild 1: Anfang Oktober 2022 nahm Marina Hagen-Canaval gemeinsam mit anderen Aktivist:innen die Monfortbrücke in Feldkirch ein. Eine Blockade als Zeichen gegen das geplante Stadttunnelprojekt. Einer der Polizisten zeigt sich interessiert. (© Dietmar Stipovsek für Extinction Rebellion Österreich)
Bild 2: Nach einer Protestaktion wie dieser wurde der Aktivist Josef Etzelsdorfer in Polizeigewahrsam verletzt. (© Extinction Rebellion Österreich)
Bild 3: Marina Hagen-Canaval hat sich Anfang Jänner in Wien auf die Straße geklebt. Die größte Gefahr geht dabei von aggressiven Passant:innen aus, sagt sie. (© Extinction Rebellion Österreich)
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