Knäuel und Mauerntun & lassen

NS-Erinnerungen in Triest

Von der Betonmauer um eine Reisfabrik bis zum Stacheldraht-Knäuel, so sehen Mahnmale zur Erinnerung an die Opfer der NS-Zeit aus. Kerstin Kellermann (Text) und Heidi Sequenz (Fotos) haben sich auf die Spuren ermordeter Widerstandskämpfer_innen in Triest begeben.

Eine sehr schwierige Aufgabe hat der Architekt Romano Boico 1975 gut gelöst: Aus einer alten Reisfabrik, der Risiera di San Sabba in Triest, die in der Nazi-Zeit als Konzentrationslager verwendet wurde, ein Mahnmal zu machen. «Mein Plan war es, wegzunehmen und abzugrenzen, nicht, etwas hinzuzufügen», beschrieb Boico seine Methode und wirklich, durch die hohen Betonwände, die Außenwelt und Alltag draußen halten, gelingt das Einlassen auf die Trauer viel besser. Gleichzeitig wird es für die Besucher_innen aushaltbarer, das ehemalige sogenannte ­«Polizeianhaltelager» zu besuchen, in dem so viele Menschen den Tod fanden. Es war das einzige in Italien mit Krematorium.

Die schrecklich engen Zellen, in denen auf etwas mehr als zwei Quadratmetern jeweils sechs Menschen eingesperrt waren, ließ Boico stehen. Allein durch ein rundes Loch in der Türe drangen Licht und Luft herein. Andere Trauer-Anklänge sind etwas zu christlich veranlagt: So wollte Boico durch die hohe Umzäunung eine «Open-Air-Kathedrale» erzeugen, und der «Raum der Kreuze» zeigt wirklich übereinandergetürmte Holzbalken, die wie Grabeskreuze aussehen. Dabei sind hier viele Partisan_innen und Kommunist_innenen ermordet worden. Jüd_innen wurden in der Risiera di San Sabba ebenfalls eingesperrt – die alte Reisfabrik diente als Durchgangsstation in die Konzentrationslager des Deutschen Reichs.

Knäuel und Mosaike.

Wie komplex die Aufgabe ist, die passenden Mahnmale zu ersinnen, zeigt auch der kleine rostige Knäuel, der im Lager Gonars an die dort Verstorbenen erinnert. Gonars, in einer sehr heißen Ebene gelegen, war ein Lager der italienischen Faschisten. Da es aus Baracken und Zelten bestand und die Einwohner_innen von Gonars sich das Holz später für ihre Häuser holten, stehen nur noch Fundamente. Im Faschismus trat hier vor allem der alte Antislawismus, der Hass auf alles Slawische zutage. Gonars wurde im Frühjahr 1942 für slowenische und kroatische Widerstandskämpfer_innen errichtet, nach einem Monat befanden sich bereits 4000 Menschen darin. Vom faschistischen Häftlingslager auf der Insel Rab wurden nach Überschwemmungen 5000 Gefangene hergebracht. Das Lager Gonars bestand nur für ein Jahr, denn 1943, nach dem Ende des Faschismus, kam es zu einem Waffenstillstand mit den Alliierten und für sehr kurze Zeit zu einem Machtvakuum, bevor die deutschen Nazi-Truppen die Gegend besetzten.

Nun stehen seit kurzem vier Mosaikbilder im Kreis um das rostige Denkmal, die nach Zeichnungen von Überlebenden angefertigt wurden. Die Glassteine leuchten in der Sonne, und durch ihr Hervorstehen ändern sich die Zeichnungen in wanderndem Licht und Schatten. Etwas «Leben» für diesen Platz des Todes. Der Bürgermeister von Gonars konnte keine Mittel für einen Gedenkweg vom Lager bis zum nahegelegenen Friedhof auftreiben. Auf dem Friedhof steht ein rundes, blumenähnliches Denkmal, in dem sich seitlich 300 Urnen von Ermordeten befinden. «Es gibt keinen einzigen Hinweis darauf, dass die Täter italienische Faschisten waren», kritisiert die Reiseleiterin. 1973 wurde diese Grabstätte errichtet. «Also gleich nach dem Krieg!», meint einer aus der Reisegruppe.

Mythologisierung.

Eine schwere Metallplatte auf dem Erdboden soll sozusagen die Toten unten halten. Darüber schwarze Metallstangen mit schwarzem Kreuz. Davor schwere Fackelständer. Das Areal in den Hügeln oberhalb von Triest, die Foiba von Basovizza, die 2007 zum Nationaldenkmal erklärt wurde und wo die Faschisten ihrer Toten gedenken, wirkt gruselig. Auf einem Grabstein ist sogar die Rede von «ihrem eigenen Holocaust», neben der Abbildung eines Soldaten in Wehrmachtsuniform. Im dazugehörigen Museum wird der Brand des Triestiner «Israelischen Tempels» gleichgesetzt mit der Verfolgung von Faschisten durch die Partisan_innen. Verschiedene Schichten von Toten sind hier oben begraben, dazwischen liegen Munition und Waffen, so dass man wegen Explosionsgefahr keine Exhumierungen machen kann. Unklar ist, wie viele Tote in diesem ehemaligen Bergwerk liegen und wer sie sind. Doch die Faschisten benutzen diesen Ort ungeniert für ihre Mythologisierungen. «Die Partisanen waren nun einmal kein Spaßverein», sagt die Kärntner Reiseleiterin. Denn es wurden nationalsozialistische Kollaborateure ermordet und ihre Leichen in die Foiba geschmissen, wie die Höhlen im Karst heißen.

In der Risiera di San Sabba sieht die Bodenplatte, unter der sich das Krematorium befand, ganz anders aus als diese schwere Foiba-Metallplatte. Durchscheinend, widerspiegelnd, durchlässig. Grünlich oder rötlich – je nach Licht. Das geschmolzene Metall sieht aus wie geschmolzenes Licht, durch das die Seelen der Toten sozusagen wegfliegen können. Nicht festgehalten und versteinert werden – wie im immerwährenden «Heldengrab» der Faschisten. Ein kleiner roter Partisan_innenstern in der Risiera, der bei der Restaurierung gefunden wurde, eine rote Rose, die in einem glitzernden Kranz blüht – die Mahnmale für die NS-Ermordeten erinnern viel stärker an das Leben als die Denkmäler der Todesanbeter und Täter.

 

Die Studienfahrt nach Triest, an der die Autorin und ­die ­Fotografin teilnahmen, wurde von der Grünen Bildungs-Werkstatt durchgeführt. Mit Dank an Janine Wulz und Matthias Vigl.

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