kolokation – gemeinsam urban wohnenDichter Innenteil

See mit Stadt (Illustration: Jella Jost)

Wohnen im Alter, Teil 2 (cherchez la Femme, Juli 2022)

Wohnst du schon oder «haust» du noch? Das Hausen auf engem Raum wird zunehmen, die Quadratmeter werden weniger, die Zimmer kleiner und die Vorstellung von Wohnen wird runtergeschraubt. Alles für die Leute ab Mittelschicht abwärts. Die anderen sind fein raus. Ich «hause» mittlerweile wieder, im Superädifikat mit Familie auf 50 Quadratmetern Grundfläche. Oben zwei winzige Zimmerchen. Es wächst mir alles mehr und mehr über den Kopf; Gartenarbeit, die Einkäufe zu Fuß den Berg hinunter und wieder hinauf, die Unsicherheit eines Zehnjahresvertrags, die permanenten Reparaturen, die zwangsläufig bei einem Haus anfallen. Wenn wir alt werden, werden wir fragiler – manche haben das unverschämte Glück, sich mit einem (geerbten) Vermögen schützen und von der Arbeit freikaufen zu können, indem Menschen wie du und ich für jene schuften. Versklavung in neuem Immo-Gewand. Die Besitzenden sprich Vermieter:innen sitzen immer am längeren Ast. Aber Wohnen ist Grundrecht und Grundbedürfnis. Es sollte niemand daran verdienen. Dieses Recht schützt uns im besten Fall – oder katapultiert uns bis in die Obdachlosigkeit hinein, wenn Vermieter:innen ihre Macht raushängen lassen, Mieter:innen schikanieren oder Teilhaber:innen der Immobilien-Fonds an den so unverschämt hohen Mietzahlungen Mega-Gewinne schreiben. Wie weit geht das? Mein Interesse wandert mehr zu gemeinschaftlichem Wohnen. In Wien gibt es da einige ganz hervorragende Projekte. kolokation wurde im Oktober 2013 gegründet, kommt aus dem Französischen: colocation, die Wohngemeinschaft (Abk.: WG). Das erklärte Vereinsziel ist es, gemeinschaftliche Wohnprojekte in bestehenden Altbauhäusern zu planen und umzusetzen, lese ich auf der Website des Stammvereins, dessen Initiator:innen die Architekt:innen Freya Brandl und Peter Bleier sind. Da Freya mich zweimal hat abblitzen lassen zu ­einem Interviewtermin, wende ich mich an Ruth Bartussek, die ich vor einer gefühlten Ewigkeit kennenlernte, so gänzlich andere Zeiten ­waren das damals Anfang der 90er-Jahre. Sie agierte als Kulturmanagerin ihres damaligen Partners, dem Pantomimen Walter Bartussek, mit dem ich an einer Uraufführung von Zemlinskys Ein Lichtstrahl arbeitete. Seither hatte ich Ruth nie wieder gesehen. Nun ging ich aber zu einem Kennenlern-Workshop des Stammvereins mit Freya Brandl und vielen anderen schon älteren Menschen ab 60 Jahren. Und da saß ich bei einer Übung zu zweit plötzlich Ruth gegenüber und sagte zu ihr: «Ich kenne dich doch!» Und so trafen wir uns im Sonnwendviertel, wo das erste kolokation-Projekt verwirklicht wurde, tauschten uns aus über das gemeinsame Wohnen, über die Lücke, die klafft zwischen Idealismus, Erwartung und Fall auf den Boden. Ruth wohnt im zweiten kolokation-Projekt in der Seestadt in Aspern, dem von der Stadt Wien groß angekündigten und international beachteten Stadterneuerungsviertel über der Donau. Jedes Projekt von kolokation hat einen eigenen Verein, und von dem Verein in der Seestadt ist Ruth Bartussek die Obfrau, aber das hat nur zu bedeuten, dass sie in der Vorbereitung viel von der anstehenden Arbeit machte, sagt sie, «aber wir agieren soziokratisch und die Tatsache, dass ich mich als Obfrau zur Verfügung stelle, heißt ja nicht, dass ich das Mädchen für alles bin», erzählt mir Ruth energisch. «Freya Brandl und Peter hatten damals die Initiative für die Baugruppen ergriffen und um sie umzusetzen, musste ein Verein – wie es in Österreich so Sitte ist – gegründet und Leute gesucht werden, die sich für gemeinschaftliches Wohnen begeistern. Die Gruppenbildung wurde natürlich professionell begleitet.» Damit generationenübergreifendes gemeinsames Wohnen gelingen kann, bedarf es vieler gut organisierter Schritte und großer Kompetenz.

Geburt in der Seestadt

«Mit dem Einzug hier war das quasi unsere Geburt als eigenständige Wohn- bzw. Baugruppe. Um hier in der Seestadt zur Vergabe am Wettbewerb teilnehmen zu können, war das der Stadt Wien und Entwicklungsgesellschaft Seestadt zu wenig und es musste eine ARGE gegründet werden.
Wer hier gewinnt, der gehört auch zur IBA (die internationale Bauausstellung mit dem zentralen Thema Neues Soziales Wohnen) und wird dort auch präsentiert. Unser Architekt war Christian Kronaus. Erich Kolenaty war dabei als Projektentwickler.» «Wie hat alles für dich begonnen?», frage ich Ruth. «Ja das hat schon viel früher begonnen, schon von Graz aus wollte ich nach Wien, weil es Baugruppen gab, die auch bauten. In Graz ist da damals nichts weiter gegangen. Ich wollte immer schon in die Seestadt und bin auf Freya Brandl gestoßen. Der Wechsel von einem großen Elternhaus zu ­einem Wohnprojekt war für mich seelisch schwierig und organisatorisch ein Riesending, das zu verkaufen». Beim Thema Fehler beim Hauskauf oder Hausverkauf – insofern man das Glück hat eines zu be-sitz-en – werde ich hellhörig, um etwaigen eigenen Fehlern im Vorhinein ausweichen zu können, obwohl ich weiß, das wird mir nicht gelingen, aber ich bohre weiter: «Aus welchen Fehlern hast du gelernt, Ruth?» «Fehler, die ich auf das Wohnprojekt bezogen nicht mehr machen würde, sind zum Beispiel: Am Anfang habe ich mich zu sehr engagiert und zu viel erwartet, aber es war notwendig, dass jemand das tut, sonst wäre es nicht realisiert worden. Ich bin glücklich hier. Mir gefällt meine Wohnung sehr gut und es entwickelt sich erst jetzt eine Art Vereinsleben. Ich habe fast gar keine Probleme hier, weil ich ja in der Sozialszene gearbeitet, sechs Jahre freies Radio gemacht habe und viel mit eigenwilligen Leuten zu tun hatte, auch im Grazer Frauenhaus, ich war in der Szene nicht unbekannt. Anfangs habe ich Kulturmanagement gemacht, dann als Erwachsenenbildnerin gearbeitet und zum 50er habe ich mir selbst eine Ausbildung zur systemischen Organisationsentwicklung geschenkt. Das hat sich ausgezahlt.»

Hinschauen muss man!

«Hinschauen muss man genau,­ und zwar: Woher kommt das Geld und wohin geht es? Der Geldfluss folgt dem Energiefluss. Grundsätzlich wichtige Fragen zu einem Wohnprojekt sind auch, wenn zum Beispiel ein Vakuum ausgefüllt wird, sprich eine Position von jemandem, der oder die eigentlich nicht kompetent ist, besetzt wird, dann funktioniert vieles nicht.» «Das klingt alles sehr komplex und zeitaufwändig», werfe ich ein, «es geht also wie überall nicht immer alles glatt.» «Bei uns im Nachbarhaus hat die Caritas eine Cluster-Wohnung gemietet, macht daraus eine WG-Melange für Menschen ab 55+. Doch viele haben die Panik vor zu großer Nähe und billig ist sie auch nicht. Mir ist durchaus klar geworden, dass wir Bewohner:innen dieses Wohnprojekt von der ARGE auf dem Silbertablett bekommen haben. Der Hauptfehler war, dass der Mietvertrag nicht an die Vereinsarbeit gebunden ist, da mangelt es an Verbindlichkeiten. Das Haus ist recht heterogen. Jetzt erst fragen wir uns, wofür gibt es unseren Verein? Wie unterscheidet er sich von den anderen Mieter:innen? Was tun wir außer streiten und diskutieren und was macht uns Spaß? Denn es gibt ja Gemeinschaftsräume, die für alle zugänglich sind. Die Auseinandersetzung bildet Gemeinsamkeit, man merkt den Willen beieinander zu bleiben. Insgesamt haben wir 41 Wohnungen im Haus, davon sind 18 von kolokation, von den 18 sind vier von Juno (Anm.: Alleinerziehende), der Rest ist Wohnservice Wien und es gibt eine Studenten-WG, die aufgrund von Corona leer steht, aber von der Schwarzatal als WG vermietet wird.» «Habt ihr auch schon über Pflegekonzepte nachgedacht?», frage ich Ruth, «so wie das zum Beispiel die Initiator:innen von WOAL erarbeitet haben.» (Siehe Artikel in der vorletzten Augustin-Ausgabe.) «Nein, über Care-Arbeit noch nicht, aber das ist das, was bei uns am besten funktioniert: echte Unterstützung, Katzen füttern, einkaufen gehen, mit dem Hund spazieren gehen, Autofahrten organisieren, das sind Dinge, die gehen gut. Echte medizinische Pflege ist die große Frage, ja, die Gäste-Wohnung, die kann dafür verwendet werden, und es wohnt eine Altenpflegerin bei uns.» Ich plaudere ein wenig von meiner Zeit in linken Projekten, engagiert, ausgebeutet, als Ruth genau weiß, wovon ich spreche und kraftvoll einwirft: «Du wirst ja wohl wissen, wie man Haare wäscht, wenn dir jemand auf den Kopf scheißt!» Ich lache. Freue mich auf einen Ausflug in die Seestadt. Und auf Ruth.

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