Kommt jetzt die Bodenrevolution?tun & lassen

Die neue Bauordnung ist ein Schritt in die richtige Richtung

Nicht der kleinste Wurf. Die rot-grüne Stadtregierung hat Ende November eine neue Bauordnung beschlossen.Aber reicht eine zusätzliche Widmungskategorie aus, um Wohnen in Wien langfristig leistbar zu machen? Von Samuel Stuhlpfarrer

Die Resonanz auf die neue Wiener Bauordnung konnte sich sehen lassen. «Fünf Euro pro Quadratmeter – so geht’s», jubelte etwa Spiegel Online am 22. November, dem Tag ihres Beschlusses. Zwei Wochen davor schon titelte die Berliner Zeitung: «Von Wien lernen. Wie sich preiswertes Wohnen in Zukunft organisieren lässt». Der grüne Planungssprecher im Wiener Gemeinderat Christoph Chorherr sprach im Standard gar von einer «Grund-und-Boden-Revolution». Seine Ursache hat der Reigen an Superlativen vor allem in der neuen Widmungskategorie «Gebiete für geförderten Wohnbau». Ihre Einführung hat zur Folge, dass zwei Drittel des künftig zu Bauland aufgewidmeten Bodens in Wien für den geförderten Wohnbau zu reservieren sind. Der dafür vorgesehene Bruttoquadratmeterpreis ist mit 188 Euro gesetzlich festgeschrieben. Das ist in der Tat ein erheblicher Eingriff in die Marktmechanismen am Wiener Immobiliensektor. Immerhin sind zuletzt für frei finanzierte Wohnungen in Vorstadtlagen schon Preise bis zu 2000 Euro pro Quadratmeter Bauland bezahlt worden. Ohne dass darauf auch nur ein Ziegel gestanden hätte. Bodenpreise in dieser Höhe waren es auch, die in den letzten Jahren merklich dazu geführt haben, dass in Wien vor allem frei finanzierte hochpreisige Eigentums­projekte entwickelt worden sind.

Im Hintertreffen.

Um mittelfristig leistbaren Wohnraum zu schaffen, ist dieser Eingriff daher nicht das schlechteste Instrument. 4,87 Euro darf die Miete pro Quadratmeter im geförderten Wohnbau ausmachen. Das ist nochmal um mehr als einen Euro günstiger als der aktuelle Nettomietzins in vor 1945 errichteten Altbauten, der bei 5,59 Euro liegt.

Entscheidender ist allerdings der langfristige Effekt, den die Bauordnungsnovelle auf den Wiener Immobilienmarkt hat.

Spätestens mit Beginn der 2000er-Jahre ist der geförderte Wohnbau in der Bundeshauptstadt ins Hintertreffen geraten. Lag der Anteil geförderten Neubaus nach 1945 im Schnitt bei etwa zwei Drittel aller neu errichteten Wohnungen, so sank er zuletzt drastisch ab. Heute ist nur mehr rund ein Drittel aller jährlich errichteten Wohneinheiten dem geförderten Wohnbau zuzurechnen. Erschwerend kommt hinzu, dass Wien seit mittlerweile fast 15 Jahren keinen einzigen Gemeindebau übergeben hat. Genau das, eine stetige Bautätigkeit der Stadt selbst und einen hohen Anteil an geförderten Neubauten hätte es allerdings gebraucht, um den Markt zu regulieren. Stattdessen floss insbesondere ab 2008 massenhaft privates Geld in den Wiener Immobilienmarkt. Betongold galt als sicher, die Rendite als exorbitant.

Dem Markt entzogen.

Wer den Anstieg der Wohnkosten für Mieter_innen in größeren Städten stoppen will, muss den Abfluss privaten Kapitals in Wohneigentum deattraktivieren. Wohnen als Anlageform darf sich nicht rechnen. Die neue Widmungskategorie zielt genau darauf ab. Der eingangs erwähnte Bruttoquadratmeterpreis von 188 Euro ist daher für die gesamte Dauer der Förderung, also für ganze 40 Jahre, festgeschrieben. Darüber hinaus behält sich die Stadt Wien ein grundbücherliches Veräußerungsverbot vor. Das heißt, dass diese Wohnungen nur mit Zustimmung der Stadt und nicht gewinnbringend verkauft werden dürfen. Dem profitorientierten Immobilienmarkt wird somit der Zugriff auf zwei Drittel aller neu errichteten Wohnungen mittelfristig entzogen. Wenn sich Klaus Wolfinger vom Österreichischen Verband der Immobilienwirtschaft (ÖVI) unlängst darüber beschwerte, dass sich nicht wenige Projekte in der Entwicklungsphase unter den nun neuen Rahmenbedingungen «schlichtweg nicht mehr wirtschaftlich» realisieren ließen, dann zeigt das, dass Rot-Grün mit der neuen Widmungskategorie nicht der kleinste Wurf gelungen ist.

Öffentliches Interesse.

Langfristig wäre es freilich weit sinnvoller, ein umfassendes kommunales Wohnbauprogramm in der Stadt anzustoßen, um so die Position der öffentlichen Hand am Markt nachhaltiger zu stärken. Die Rechnung ist einfach: Kann die öffentliche Hand preiswerte Wohnungen in hoher Zahl anbieten, dann müssen auch private Vermieter_innen ihr Angebot billiger gestalten. Darüber hinaus ist es nicht nur der Nettomietzins, der die Wohnkosten in die Höhe treibt. Der Anteil der Betriebskosten daran beträgt in Wien im Schnitt mittlerweile 2,32 Euro pro Quadratmeter, also nur mehr etwas weniger als 50 Prozent der Nettoquadratmetermiete im geförderten Wohnbau. Das hat nicht zuletzt mit der ständigen Valorisierung von Gebühren (Müll, Wasser, Kanal) zu tun – diese am jetzigen Niveau immerhin einzufrieren, wäre daher dringend erforderlich. Und schließlich ist auch ein Einwand der Immobilienlobby ernst zu nehmen. Klaus Wolfinger hat zuletzt auch auf eine drohende Verknappung von Bauland hingewiesen. Wer über Grund und Boden in gefragten städtischen Lagen verfüge, könnte es sich zweimal überlegen, diese zu den Bedingungen der neuen Bauordnung zu veräußern, so Wolfinger sinngemäß. Sollte dieser Fall eintreten, läge es an der rot-grünen Stadtregierung, die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten unter Beweis zu stellen. Etwa, indem sie für öffentliche oder geförderte Wohnbauprojekte dringend benötigtes Bauland allenfalls enteignet. Im öffentlichen Interesse wäre das allemal.