Lokalmatadorin
Johanna Kandl hat das alte Bauernhaus ihrer Familie in Jedlersdorf respektvoll adaptiert.
TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG
Die Amtsstraße in Jedlersdorf war bisher vorwiegend für ihre umtriebigen Winzer_innen und deren Heurigenbetriebe bekannt. Doch langsam spricht es sich herum: Mit dem eigenwilligen Haus Nr. 28 gleich neben der kleinen Pfarrkirche bekam der Dorfkern am Übergang von Wien zum Weinviertel eine neue Attraktion: eine Oase klimafreundlicher Urbanisierung – ausgerechnet dort, wo man selten bis nie grün wählt.
Grün.
«Kommt’s rein», Johanna Kandl fordert auf, ihr zu folgen. Der Eingang zu ihrem Gehöft gleicht jenen der benachbarten Familien Christ, Bernreiter oder Lentner: vorne der schmale Wohntrakt, daran anschließend jene Gebäude, die früher den Knechten, Nutztieren, landwirtschaftlichen Geräten und Früchten der Ernten vorbehalten waren.
Doch schon der Hof dahinter eröffnet eine ganz andere Welt. «Wir haben das Grundstück in mehrere kleinteilige, verwinkelte, ineinander verzahnte Wohneinheiten und Freiflächen geteilt und parifiziert», erläutert Johanna Kandl, die sich gemeinsam mit ihrem Mann Helmut nur einen Teil von ihrem Erbe als Wohnung, Atelier, Arbeitsraum und Lager behalten hat.
Die insgesamt elf Wohneinheiten teilen sich heute 25 Menschen: Alte, Junge, Erwachsene, Kinder, Künstler_innen, Hiesige, Zugezogene. Beim Betreten ihres geräumigen Ateliers, das sich nach der Weinviertler Bauart neben intensiv genutzten Grünflächen «hintaus» befindet, erlaubt die Malerin Einblicke in ihre Wohnphilosophie: «Wir sind nicht alle miteinander befreundet. Doch uns alle eint der Gedanke, miteinander möglichst gut auszukommen.»
Darüber hinaus ist es durch die eigenwillige Aufteilung und die gebündelten finanziellen Kräfte gelungen, das alte Bauernhaus in seinen Grundfesten zu erhalten. Für die rundum rotierenden Investor_innen ist diese Immobilie unattraktiv geworden: «Sie können jetzt nicht mehr einfach kaufen, alles abreißen, neu bauen und dann schnell abkassieren.»
Grau.
Der Name Kandl ist übrigens mit Jedlersdorf untrennbar verbunden: «Farben und Lacke Kandl» war hervorgegangen aus den stolzen Besitztümern mehrerer Generationen von Ortsansässigen, die fleißig auf ihren Feldern tätig waren und sich mehr oder weniger streng untereinander vermehrten.
Doch anders als ihre Eltern wollte das dritte von drei Kindern über die familieneigenen «Lüssen» (langgezogene Feldstreifen, die sich von Jedlersdorf teilweise bis Leopoldau zogen) hinauswirken. Bereits in der Volksschule, die Johanna Kandl auf der anderen Seite der Brünner Straße besuchte, mit den Kindern des dortigen Roten Wiens, stand für sie fest: «Hier bleib’ ich nicht.»
Die Professorin für Malerei erinnert sich an «autoritäre Lehrer_innen, die uns im Geiste der Nazizeit erzogen haben. Dazu kamen für mich Mitschüler_innen, die ganz anders aufwuchsen und mir immer fremd blieben.»
Zugesetzt hat ihr aber auch das deprimierende Einheitsgrau der Wiener Nachkriegszeit: «Wir haben hinter dem Geschäft im Lager gewohnt, nein, nicht gewohnt, wir haben gehaust. Dort war es dunkel, schmutzig, eng und laut.»
In Erinnernung geblieben ist dem Kind, das «im Verkauf» mithelfen musste, dort aber partout nicht freundlich sein wollte, das ständige Buhlen ihrer Eltern um eine möglichst gewogene Kundschaft. Mit Unbehagen zitiert Johanna Kandl heute noch einen Satz ihrer Mutter: «Die Damen haben schöne blonde Haare. Auf keinen Fall darfst du ‹weiße› oder ‹graue Haare› sagen.» Und mit den Nachbar_innen musste man unbedingt per Sie sein.
Bunt.
Ihre großflächigen Gemälde warten in der Halle hinten wieder einmal auf den Abtransport zu einer Ausstellung. Heute steht der Name Kandl nicht mehr für Farben und Lacke, sondern für zeitgenössische Malerei. Ihre Werke waren unter anderem im Unteren Belvedere zu sehen, ebenso im Essl Museum und im Museum Moderner Kunst.
Maturiert hat die Jedlersdorferin in einem Innenstadt-Gymnasium. Nach der Reifeprüfung wechselte sie an die Akademie der bildenden Künste, wo sie lernte, Fresken und Denkmäler zu restaurieren. Mit der Zeit konnte sie dabei auch ihrem Talent als Malerin mehr Ausdruck verleihen.
Nach dem Studium ist Johanna Kandl viel gereist, vor allem durch den Osten Europas. Davon zeugen unzählige Bilder.
Der 2012 begonnene und 2016 abgeschlosse Umbau ihres Hauses hat ihr nicht nur Geld gekostet. Auch deshalb kommt sie heute öfters von ihrem Zweitwohnsitz Berlin in den Ort ihrer Kindheit zurück, wo sie mit ihrem Nachbarn, einem der Winzer, ein freundschaftliches Verhältnis pflegt.
Ebenso erfüllt es sie mit Freude, dass der «soziale Versuch» im Haus Nr. 28 aus ihrer Perspektive «gut geglückt ist».