Kompetenz gilt der Regierung als «Schubumkehr»tun & lassen

Christian Konrad wird Flüchtlingskoordinator, und der Augustin wird ihn dafür nicht schimpfen

Wo sonst die «Wiener Wirtschaft» Kritik einstecken muss, erweitern wir den Radius diesmal aufs ganze Land – und wollen den Begriff «Wirtschaft» in seiner abfälligsten Form verstanden wissen: a so a Wirtschaft. Denn anders lässt sich das Narrenhaus der Politik nicht mehr beschreiben, findet Clemens Staudinger, der sich den Amtsantritt von Ex-Raiffeisen-Boss Konrad als Flüchtlingskoordinator angesehen hat – und sich darüber wundert, was für durchschnittliche Kompetenzen in der Regierung schon als «Schubumkehr» verhandelt werden.

Illu: Much

Ein Duschvorhang ist nicht die Welt, aber ab jetzt gelten nichtvorhandene Duschvorhänge als Synonym für den Umgang österreichischer Behörden mit Menschen, die Schutz vor Verfolgung und Mord suchen.

Im Kleinen zeigt sich, wie es abseits von Sonntagsreden um die Fürsorge für teilweise schwerst traumatisierte Frauen, Männer und Kinder bestellt ist. Amnesty International berichtete über die Zustände im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen: Obdachlosigkeit von Flüchtlingen, die unter Obhut des Innenministeriums sind; mangelnde Versorgung mit Essen – ja, Hunger 30 Kilometer südlich vom Wiener Stadtzentrum; völlig unzureichende medizinische Betreuung; die fehlenden Vorhänge bei den Duschen und und und …

Jahrelang haben die Koalitionsparteien der Hetze gegen Kriegsflüchtlinge aus Angst vor der FPÖ tatenlos zugeschaut. Medien, die Propaganda gegen ein menschenwürdiges Verhalten gegenüber Flüchtlingen trommelten, wurden mit gut bezahlten Inseraten gefüttert. Jetzt hat die Bundesregierung den Ex-Raiffeisen-Generalanwalt Christian Konrad als Flüchtlingskoordinator bestellt. Die Position ist neu, die Aufgaben sind gesetzlich nicht festgelegt. Sofort nach Bekanntgabe der Bestellung setzte in den sozialen Medien ein Konrad-Bashing ein. Augustin-Leser_innen wissen: In diesem Blatt wurde ausführlich und kritisch über Raiffeisen berichtet. Am Konrad-Bashing nehmen wir jedoch nicht teil. Auch sagen die Argumente gegen Konrad, wie sie beispielsweise von FP-Führer Kickl vorgebracht wurden, mehr über Kickl selbst aus. Konrad wird dieses Amt ehrenamtlich ausüben. Kickl warf ihm vor, an dieser Position Geld verdienen zu wollen. Völlig unvorstellbar für Kickl, dass es Menschen gibt, die gesellschaftliche Arbeit unentgeltlich verrichten.

Warum die Asylfrage nicht in ein einzelnes Ministerium gehört

Bevor es hier im Augustin zu pathetisch pro Konrad wird: Tatsache ist, dass Konrad Mitglied der ÖVP ist. Einer Partei, die es seit Jahren ablehnt, in der Bundesregierung die Position eines Staatssekretärs für Asylfragen zu schaffen. Die Forderung nach einem derartigen Staatssekretariat stellten NGOs wie die Asylkoordination Österreich schon lange. Die seinerzeitige Schmalspurlösung mit dem Staatssekretariat für Integration – derzeit ist diese Funktion ins Außenministerium eingebunden – wird von Expert_innen wie der Asylkoordination-Obfrau Anny Knapp als wenig hilfreich angesehen. Ein Mitglied der Bundesregierung hätte andere Kompetenzen als ein extern Engagierter. Anny Knapp betont im Gespräch mit dem Augustin, dass ein Staatssekretariat für Asyl-Agenden auch eine strukturelle Änderung bedeuten würde: Asyl-Agenden müssen nicht ausschließlich im Innenministerium angesiedelt sein. Eng sollte die Verbindung zum Justizministerium sein, Menschenrechtsaspekte wären Thema. Das Bildungsministerium beträfe die Ausbildung von Kindern und Jugendlichen. Das Sozialministerium hätte in Zusammenarbeit mit dem entsprechenden Staatssekretariat Fragen in Sachen Arbeit zu lösen, auch das Wirtschaftsministerium wäre einzubinden.

Jene Qualitäten, die Christian Konrad zugeschrieben werden, Managementfähigkeiten, Netzwerke etc., und ihn für diese Position laut Vizekanzler Mitterlehner (ÖVP) geeignet erscheinen lassen, sind Eigenschaften, die von sämtlichen Mitgliedern der Bundesregierung erwartet werden dürfen. Mitterlehner hat sich für die Vorstellung Konrads ein in diesem Zusammenhang neues Wort einfallen lassen und spricht von «gesellschaftspolitischer Schubumkehr».

Bei einer kurzen Umfrage unter Expert_innen erwies sich als besonders wichtig, dass Konrad in seiner neuen Position jenen Menschen Gehör leiht, die bereit sind, zu helfen. Einfach um diese nicht zu frustrieren. Sozialdemokrat_innen fragen sich, wo die Balance der Couleurs bleibt, wenn sie feststellen, dass das Innenministerium schwarz gefärbt ist, detto das Außenministerium mit den Integrationsagenden und nun auch der von der Bundesregierung Beauftragte.

Das Thema Asyl ist ein Vorzeigebeispiel dafür, wie hemmend das föderale System in Österreich ist. Die Bundesländer befinden sich in einer Sandwichposition zwischen Bund und Gemeinden, und die obdachlosen Flüchtlinge müssen das ausbaden. Als Christian Konrad noch Raiffeisen-Generalanwalt war, versäumte er keine Gelegenheit, die angeblichen Segnungen des Föderalismus zu preisen.

In Ungarn sorgt indes ÖVP-Parteifreund Ministerpräsident Orbán für beschämende Fakten: An der Grenze zu Serbien wird in ein 175 Kilometer langer, angeblich unüberwindbarer, meterhoher Grenzzaun fertiggestellt, und gleichzeitig wird über eine Regierungsvorlage im Parlament abgestimmt: Der Stacheldraht soll auch strafrechtlich geschützt werden. Beschädigungen der Festungsanlage oder illegaler Grenzübertritt, bisher ein Verwaltungsvergehen, kosten künftig bis zu vier Jahre Gefängnis. Orbán toppt die Stasi – die Höchststrafe in der DDR für einen Fluchtversuch an der Mauer waren drei Jahre Haft.