Wie die Gewista den öffentlichen Raum einnimmt und die Grünen nichts mehr dagegen haben
Die Freude war groß: Keine Autos mehr auf der Mariahilfer Straße! Jetzt wird sie getrübt: 27 leuchtende Screens der Gewista belästigen die Fußgeher_innen – obwohl bekannt ist, dass aufdringliche Bombardierung mit Konsumbotschaften das Leben der Menschen im öffentlichen Raum nachhaltig negativ beeinflusst. Für Ulli Gladik und Clemens Staudinger sieht es so aus, als würden dem Machtmonopol der Gewista auch die Grünen unterliegen.
Illu: Much
Mit Start der neuen Fußgänger_innen-Zone Mariahilfer Straße war die Gewista (kurz für «Gemeinde Wien – Städtisches Ankündigungsunternehmen») mit neuen Reklametafeln zur Stelle. Weil der Begriff «Reklametafel» zu wenig hip scheint und die Tafeln bunt blinken, liefert die Gewista den gesuchten Konsument_innen eine Erklärung, die wohl als Einführung in die Neusprache der alles bestimmenden Konsumwelt gedacht ist: «Mit den hochauflösenden digitalen Screens – sogenannten E-Panels – werden U-Bahn-Stationen und (…) Premiumstandorte im innerstädtischen Bereich von Wien in digitale Produktwelten verwandelt.»
George Orwell beschreibt in seinem Roman «1984» derartige Bildschirme als «Televisoren»; die hohe Anzahl der installierten Geräte auf der Mariahilfer Straße drängt den Begriff «Konsumverführungstelevisoren» auf.
Die Gewista war bereits vor dem Umbau in der Mariahilfer Straße im Geschäft: 40 Rollingboards zeigten Reklamesujets. Die Chance, die neue Fußgängerzone nicht als «digitale Produktwelt» zu gestalten, blieb von den Verantwortlichen im Rathaus ungenutzt. Von dort ist keine Debatte überliefert, in der über die Frage nach werbefreien Zonen seriös gestritten wurde. Im Gegenteil, aus dem Grünen Klub ist zu hören, dass das Aufstellen der E-Panels zeitgleich mit dem Finale der Koalitionsverhandlungen zwischen Sozialdemokratie und Grünen geschah. Dies, obwohl es im Grünen Klub Kräfte gibt, die dem Bombardement der Werbebotschaften Einhalt gebieten möchten – jedoch offensichtlich der Koalitionsräson unterliegen. Rüdiger Maresch, Verkehrssprecher der Grünen, empfindet die Televisoren auf der Mariahilfer Straße als «Gehirnwäsche». Seiner Ansicht nach gäbe es viel zu viel Werbung im öffentlichen Raum, an deren Eindämmung arbeite er gerade. Werbefreie Zonen, so Maresch, wären den Grünen ein wichtiges Anliegen.
Mit «Freunderln» verhandelt man nachher
Interessant ist die Recherche im Wiener Rathaus betreffend der rechtlichen Grundlagen der «Televisoren»: Peter Lux, Projektleiter Mariahilfer Straße Neu, teilt mit, dass derzeit mit der Gewista über die rechtlichen Bedingungen des Strahlens der Konsumpropagandamaschinen verhandelt werde. Bemerkenswert ist, dass der Projektkoordinator Monate nach Eröffnung der Konsummeile bestätigt, dass die Geräte derzeit zwar flimmern, dafür aber noch kein Preis bestimmt wurde. Wie viel die Gewista der Gemeinde für das Überlassen der nötigen Flächen bezahlt, sagt Lux, werde derzeit besprochen. Wann diese Besprechung abgeschlossen sein werde, wisse er nicht.
Die Gewista wurde 1921 als «Gemeinde Wien – Städtisches Ankündigungsunternehmen» gegründet. Heute halten der französische Werbekonzern JCDecaux 67 Prozent, die Progress Beteiligungs Gesellschaft 33 Prozent – letztere gehört zu 30 Prozent der SPÖ. Nicht nur die Privatisierung der Gewista «auf Sozialdemokratisch-Wienerisch» brachte Kritik ein, sondern auch ihre Fast-Monopolstellung in Wien. Im Wahlkampf 2006 vermuteten die Bundesgrünen Sonderbedingungen von dem parteinahen Plakatunternehmen Gewista für die SPÖ und der epa/Heimatwerbung (damals Raiffeisen) für die ÖVP und forderten Transparenz. Als 2008 bekannt wurde, dass Klagenfurt für das Aufstellen von Rollingboards das rund Zwanzigfache an Gebühren einhebt, als Wien der Gewista verrechnet, äußerte auch Maria Vassilakou – damals in Opposition – Kritik: «Die Stadt Wien lässt sich hier eine Einnahmequelle entgehen», monierte sie, es sei unerträglich, «dass dies zu Gunsten einer Firma passiert, an der die SPÖ mitverdient» («Der Standard»). Zwei Koalitionspakte später ist Vassilakou zwar für die neue Mariahilfer Straße verantwortlich und die Gewista dort gut im Geschäft – doch das Büro der grünen Vizebürgermeisterin weniger auskunftsfreudig.
Rückblende, Augustin 2009: «Dass die Preise für Werbeflächen zugunsten einer SPÖ-nahen Firma so niedrig sind, ist wohl nur in einer seit Jahrzehnten sozialdemokratisch regierten Stadt möglich, und obwohl die Wiener_innen dem «Totalbranding» des öffentlichen Raums rund um die Uhr ausgesetzt sind, profitieren sie in keiner Weise von der Vermarktung ihrer Stadt. Besonders zynisch, denkt man daran, dass die sozialdemokratische Stadtverwaltung die häufigen Gebührenerhöhungen und Verteuerungen mit der Notwendigkeit die leeren Kassen der Stadt auffüllen zu müssen, argumentiert.» Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein – auch mit grüner Beteiligung. Wenn Wiener_innen Bilder der vergangenen längerfristigen Stadtbildentwicklung abrufen, sehen sie, dass konsumorientierte Werbung im öffentlichen Raum während SPÖ-Alleinregierungen stetig mehr wurde. Jetzt stellen sie fest, dass auch die Grünen daran nichts ändern.