Konterchancenvorstadt

Vater und Sohn Mwene: Generationenwege ins Ausland

John Mwene geriet als Betreiber von zwei kenianischen Restaurants in Wien immer wieder mit Anrainer_innen und Polizei in Konflikt. Sein Sohn Phillipp wurde in Deutschland Fußballprofi. Mareike Boysen (Text) und Nina Strasser (Foto) haben sich mit den beiden in Wien-Neubau getroffen.

Die Weltkarte an der Wand ist mit Stecknadelköpfen in zwei Farben übersät. Rot markierte Orte habe er selbst besucht, an den gelben sei sein Charity-Verein tätig, erklärt Prince Pallikunnel, der zwischen Porträts von sich, Jesus und einem bengalischen Tiger am Schreibtisch sitzt. «Das hier ist das Headquarter», sagt er und meint damit sein etwa 20 Quadratmeter großes Büro an der Kreuzung von Kandlgasse und Wimbergergasse unweit des Wiener Gürtels. Der Unternehmer Pallikunnel hat hier seit 1999 ein Imperium aufgebaut, das einen asiatisch-afrikanischen Supermarkt, eine Drogerie mit riesigem Kunsthaarsortiment und ein indisches Restaurant umfasst. Die Einrichtung seines eigenen Geschäftszimmers machte eine Expansion im Jahr 2006 möglich, als er das damalige Nachbarlokal übernahm. John Mwene, den Pallikunnell einen guten Freund nennt, hatte hier das kenianische Restaurant «Hakuna Matata» betrieben. Der Swahili-Ausdruck bedeutet wörtlich übersetzt: Es gibt keine Sorgen.

Er sei auf Umwegen in der gastronomischen Selbstständigkeit gelandet, sagt Mwene, der das Prosi-Restaurant gegenüber als Interview-Treffpunkt vorgeschlagen hat. «Dass ich damit als Schwarzer schnell Erfolg gehabt habe, haben die Leute nicht verstanden», fasst er zusammen, als er Sohn Phillipp, mit dem er hergekommen ist, außer Hörweite wähnt. In den 80er-Jahren zog der gebürtige Kenianer und gelernte Jazztrompeter nach Österreich, wo er zuerst Gelegenheitsjobs annahm und dann eine Hotelfachschule absolvierte. Mit seiner Frau, einer Steirerin, gründete er in Wien eine Familie. 2000, als die Kinder zwölf und sechs Jahre alt waren, eröffnete Mwene auf der Taborstraße sein erstes eigenes Restaurant: das «Jambo». Ein Besuch des damaligen Austria-Wien-Spielers George Datoru gab ihm die Idee, erinnert er sich, Phillipp zu einem Probetraining anzumelden. «Ich wollte nicht, dass er seine Zeit mit PC-Spielen oder anderem vergeudet», sagt Mwene.

Träume und Realismus.

Dass der siebenjährige Phillipp im ersten Training den Ball minutenlang am Fuß führte und dabei das Tor unbeachtet ließ, irritierte Vater John ebenso, wie es dem Nachwuchstrainerstab imponierte. Phillipp setzte sich auf der Position des rechten Außenverteidigers in den Folgejahren immer wieder gegen seine Konkurrenten in den Juniorenmannschaften der Austria und des Nationalteams durch. Dennoch forderten die Eltern Realismus und gute Schulnoten ein, zumal sich ihnen die Zerbrechlichkeit von Träumen unlängst offenbart hatte. Nach ständigen Anwohner_innenbeschwerden und Polizeikontrollen hatte Vater John 2005 das «Jambo» und 2006 das neu gegründete «Hakuna Matata» aufgegeben. Dass sein Sohn sich einmal als Fußballprofi würde ernähren können, hielt er für unwahrscheinlich. «Als nach einem Spiel der U-16-Nationalmannschaft die Scouts vom VfB Stuttgart mit uns reden wollten, habe ich mir zum ersten Mal gedacht: Das kann was werden», sagt Mwene. Inzwischen glaube er, wird er später sagen, sein Sohn habe neben der Arbeitsdisziplin Talent für alles. «Abgesehen von der Musik.»

Gerade die zermürbenden Jahre in Stuttgart hätten ihn Zurückhaltung gelehrt, sagt Phillipp Mwene, der am Tisch Platz genommen hat. «Wichtig ist, für sich selbst eine Balance zu finden: nicht den Kopf hängen zu lassen, wenn es einmal schlecht läuft, und nicht abzuheben, wenn gerade alles funktioniert.» 2013 kam er im Amateurteam des VfB unter, in dem er sich für die Kampfmannschaft zu empfehlen hoffte. Stattdessen stand Mwene nach drei Jahren vor dem Abstieg in die vierte deutsche Liga. Sein damaliger Berater, der ihm diverse Wechseloptionen in Aussicht stellte, erwies sich als unzuverlässig. «Ich habe lange nicht gewusst, wo und ob es weitergeht», sagt er.

Vorbildfunktionen.

Tayfun Korkut, Cheftrainer des 1. FC Kaiserslautern, der Mwene aus seiner Stuttgarter Zeit kannte, holte ihn schließlich in die Pfalz. Eigentlich als Ersatz eingeplant, etablierte sich die neue Nummer 21 schnell als Stammkraft. Auch wenn Mwene den Abstieg der Lauterer in der vergangenen Saison nicht verhindern konnte, weckte sein persönlicher Spieleinsatz das Interesse der Konkurrenz. Schon im April lagen mehrere Angebote deutscher Zweitligisten vor, auch Rapid fragte an. Für die Unterzeichnung eines Drei-Jahres-Vertrags beim 1. FSV Mainz 05 sprachen aus Mwenes Sicht die Erstligazugehörigkeit und das, was er eine familiäre Atmosphäre nennt. Dass ihm Cheftrainer Sandro Schwarz keine Spielgarantie ausgesprochen hat, habe er selbstverständlich hingenommen. «Ich muss meinen Stärken vertrauen», sagt Mwene. «Natürlich bleibt das große Ziel, in die österreichische A-Nationalmannschaft einberufen zu werden. Zuerst geht es aber darum, Einsatzminuten in der Bundesliga zu bekommen.» Vater John hat sich derweil einen weißen Spritzer bestellt. «Ich feiere immer noch», sagt er.

Im Frühjahr hat John Mwene auf der Taborstraße einen afrikanischen Friseursalon eröffnet. Da er nach seiner letzten Geschäftsaufgabe 2006 keine längerfristige Anstellung in der freien Wirtschaft mehr gefunden hatte, war er schließlich als Kellner und Küchenchef ins magdas-Programm der Caritas eingestiegen. Auch dort hat man schließlich einige Stellen streichen müssen. «Für die nächste Generation hat sich zum Glück einiges zum Guten verändert», sagt Mwene, der den Vereinswechsel seines Sohnes auf Facebook mit den Worten «Half Kenyan in der Deutschen Bundesliga!» kommentierte. Dass der im März von einem Gegenspieler wiederholt rassistisch beleidigt wurde, hofft der Vater noch als unangenehmen Einzelfall verbuchen zu können. Komisch sei an dem Vorfall vor allem, sagt Phillipp Mwene, dass er kurz zuvor von Kaiserslautern als Aushängeschild einer ligaübergreifenden Anti-Rassismus-Kampagne bestellt worden war.

Während Vater Mwene seinen Sohn in der laufenden Saison begleiten will, bemühe dieser sich, Mutter und Schwester regelmäßig in Wien zu besuchen. «Je weiter es nach oben geht, desto seltener ist das möglich», sagt er. Restaurantbesitzer Pallikunnel, der den bestellten Mango-Lassi persönlich serviert, zeigt dafür nur begrenzt Verständnis. Bei einem Straßenfest im Sommer habe er Phillipp den mit 200 Euro dotierten «Prosi Excellence Award» zur Würdigung seiner integrativen Vorbildfunktion verleihen wollen. Der Ausgezeichnete werde aber nicht anreisen. Dabei kenne er, Pallikunnel, Vater und Sohn, schließlich schon ewig. Außerdem gebe es tolles Essen.

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