Kontrollbesuchetun & lassen

Seit 2007 ist die fragwürdige Praxis gesetzlich verankert

Subsidiär schutzberechtigte Bürger_innen in Grundversorgung bekommen in Wien mitunter Hausbesuch. Und zwar zur Feststellung ihrer Anspruchsberechtigung. Frank Jödicke ist dem exemplarischen Fall von Amina R. nachgegangen.

Illu: Thomas Kriebaum

Es klingelt an der Tür bei Amina R. Vor ihr stehen drei Männer und sagen, sie seien von der Polizei. Zwei drängen sich an ihr vorbei und eilen in die Wohnung, der dritte bleibt stehen und spricht zu ihr. Sie ist sich nicht sicher, ob sie den Mann versteht. Etwas solle überprüft werden. Lieber will sie jetzt den ersten beiden Männern in ihre Wohnung hinterhereilen. Sie stellt sich in den Türrahmen ihres Schlafzimmers, einer der Männer drängt sie zur Seite. Sie haben viele Fragen: Wohnen Sie alleine? Natürlich. Die Kinder? Sind ausgezogen. Ihr Mann? Darüber kann Amina nicht reden – es gab diesen Krieg.

Amina R. steht unter Schock. Immer wieder sagt sie in holprigem Deutsch den Satz: «Bitte sprechen Sie mit Respekt.» Einer der Männer blickt sie an. Wenn sie angeblich alleine lebe, wem gehören dann diese Schuhe? Triumphierend weist er auf ein Paar Männerschuhe. Die gehören ihrem Sohn. Der kommt am Abend zu ihr, seit sie so krank ist. Erst vor einem Tag war sie nach einem Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik zurückgekehrt. In der Nacht hat sie Angst und kann nicht allein schlafen. Verzweifelt droht sie den Männern: «Ich rufe jetzt die Polizei.» «Wir sind von der Polizei», erhält sie zur Antwort.

Sie bekäme doch Geld vom Staat, aber warum bezahlen denn ihre Kinder nicht für sie? Darauf weiß sie keine Antwort. Wieso sie denn nicht arbeiten würde? Sie erzählt von ihrer Knochenkrankheit, dem Rheuma, ihrem Asthma und der Klinik. Einer der Männer beginnt dann die Zimmer zu fotografieren. In Amina R. entsteht jetzt Kampfesmut. «Das dürfen Sie nicht», ruft sie.

Eine gelbe Perserkatze.

Amina R.s Wohnung befindet sich im Erdgeschoss. Sie ist recht klein, aber trotzdem teuer, wie das eben so ist in Wien. Wegen den schimmeligen Wänden soll sie in der Nacht die Fenster offen lassen. Deswegen fürchtet sie sich besonders. Einmal hat jemand eine brennende Zigarette durch den Schlitz zwischen Fenster und Fensterrahmen geworfen. War dies ein achtloser Rowdy gewesen oder eine Nachricht? Amina ist es nicht gelungen, ein neues Leben in Österreich aufzubauen. Sie hat nur wenige soziale Kontakte außerhalb ihrer Familie. Ihr Hochschulstudium musste sie gesundheitsbedingt abbrechen. Manchmal kümmert sie sich um die Katze ihrer Schwester.

Die Katze sähe sehr teuer aus, wie sie sich diese denn leisten könne, will einer der drei Männer wissen. Die gehöre der Schwester, gibt Amina R. zur Antwort. Wieso sei dann aber ein Katzenklo in der Wohnung, will einer der Männer mit beträchtlichem investigativem Talent wissen. Nun, weil Katzen manchmal müssen, und wenn man jemandem eine Katze zur Aufsicht vorbeibringe, dann bringe man auch das Klo. Allmählich lässt sich erahnen, was die Männer wollen. Sie möchten den Nachweis erbringen, dass Amina R. eine Art wohlhabende Betrügerin ist, die sich staatliche Leistungen erschwindelt. Ein Foto von der gelben Katze, die ihrer Schwester gehört, soll dies beweisen.

Der Beweis ließ sich nicht erbringen. Amina R. bezieht berechtigterweise Grundversorgung. Amtsärztliche Gutachten haben ihre Krankheiten bestätigt und die Kinder, die es trotz widriger Umstände schaffen, sich in Österreich ein Leben aufzubauen, sind zu Zahlungen an die Mutter rechtlich nicht verpflichtet. Amina R. fühlt sich nach dem Besuch der Männer «wie tot» und kann wochenlang nicht schlafen. Ihr Gesundheitszustand hat sich seitdem verschlechtert. Zu Anfang zittert sie, wenn sie vom Besuch jener Männer berichtet, von denen sie nie recht verstanden hat, wer sie überhaupt waren. Da diese von staatlichen Leistungen sprachen, müssen sie die Grundversorgung meinen, die Amina R. bezieht.

Überprüfungen.

Tatsächlich ist Amina R. mit diesen Erfahrungen nicht allein. Zahlreiche Asylwerber_innen in Grundversorgung wurden zuletzt Überprüfungen dieser Art unterzogen, der Fall von Amina R. ist lediglich ein Stück weit spektakulärer als andere. Gerade deswegen muss er auch mit der entsprechenden differenzierenden Distanz behandelt werden. Frau R. ist seelisch krank, ihre Eindrücke sind selbstverständlich nur subjektiv, und es muss ermittelt werden, wer die Männer waren, von deren Besuch Amina R. berichtet, und in welchem Auftrag sie gehandelt haben. Einer soll behauptet haben, er sei von der Polizei, ein anderer hatte dies später aber verneint. Die Männer hatten R.s Aussage zufolge zwar Ausweise vorgezeigt, R. selbst konnte sich später an diese aber nicht mehr erinnern. Dokumente oder irgendwelche Belege für ihren Besuch hinterließen die Männer nicht.

Die Grundversorgung wird in Wien zu 40 Prozent von der Stadt bezahlt und zu 60 Prozent vom Bund. Der Fonds Soziales Wien weiß von keinen Überprüfungen, das Bundesministerium für Inneres (BMI) gibt die Überprüfungspraxis aber auf Nachfrage zu. Problematisch sieht man das Vorgehen dort nicht, sondern verweist darauf, dass dies alles innerhalb geltenden Rechts geschähe. Schon im Jahr 2007 hat das BMI eine eigene Kontrollgruppe zur Überprüfung der Hilfsbedürftigkeit von Asylwerber_innen und sonstigen Fremden in Grundversorgung eingerichtet. Die Überprüfungen würden gemäß Fremdenpolizeigesetz (FPG) § 36 durchgeführt, es seien Exekutivbeamt_innen in Zivil und Mitarbeiter_innen des BMI daran beteiligt, was zumindest die widersprüchlichen Aussagen der Männer im Fall von Amina R. erklären würde. Einige sind Polizisten, andere eben nicht. Eine Passage, die das Fotografieren erlaubte, findet sich im FPG § 36 übrigens nicht.

Tipps.

Grundsätzlich soll bei der Überprüfung ein Informationsblatt ausgehändigt werden, das die Kontrolle begründet. Nicht so bei Amina R. und zahlreichen anderen Fällen. Auf erneute Nachfrage übermittelte das Innenministerium dem AUGUSTIN einen Zettel, der in elf Sprachen lediglich erklärt, dass die Polizei den Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung (gemäß Artikel 2 Grundversorgungsvereinbarung) kontrolliert. Ausgeteilt würde der Zettel allerdings nur bei Verständigungsschwierigkeiten – und die hat es aus Sicht der Beamten im Fall von Amina R. offenbar nicht gegeben. Überprüfen würden die Beamten bei ihrer «Beweisführung» mittels «bildlicher Dokumentation» allfällige Quartiersmängel, wie zum Beispiel «Schimmelbefall» (der war den Kontrolleuren entgangen) und ob die Hilfsbedürftigkeit der Kontrollierten in Frage stünde, was anhand von «teuren Elektrogeräten, KFZ oder größeren Mengen Bargeld» erkannt werden könne. Überhaupt geschähe alles unter Achtung der Menschenwürde und Menschenrechte; den subjektiven Eindruck der Betroffenen weise man ohnehin «aufs Schärfste zurück».

Einen Tipp gibt es vom Innenministerium obendrauf. Gefragt, ob denn diese Praxis nicht im Konflikt mit dem Grundrecht auf die «Unverletzlichkeit der Wohnung» stehe, das sich etwa in Artikel 8 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention formuliert findet, meint man im BMI lapidar: In einem Rechtsstaat würden Gerichte darüber entscheiden, ob ein schwerwiegender Eingriff in Grundrechte stattgefunden habe. Anders gesagt: Sollen die Betroffenen doch klagen.

Im Küchenkasterl wühlen.

Selbstredend könnte man die Vorgänge mittels eines Rechtsstreits bewerten lassen – zu dem allerdings eine der Streitparteien niemals die benötigten finanziellen Mittel hätte. Von der ungeheuren psychischen Belastung ganz zu schweigen. Die Praxis selbst, wie auch die anempfohlene Gegenstrategie des BMI ist daher vor allem eines: schikanös. Selbst wenn man dem BMI nicht unterstellen wollte, bewusst einzuschüchtern und Leid verursachen zu wollen, in der Praxis tut es das. Wer sich die Fälle solcher Überprüfungen von teils Kriegstraumatisierten anschaut, muss jedenfalls zu diesem Schluss kommen. Und zu einem weiteren: Schützenswert ist die Privatsphäre in Österreich offenbar erst ab einer gewissen Einkommensgrenze. Man erinnere sich nur an die Diskussion über die sogenannte «Millionärssteuer». Die ÖVP wies diese seinerzeit kategorisch zurück – mit dem Hinweis darauf, dass dann zur Feststellung des Vermögens in die Wohnungen eingedrungen und die «Perserteppiche gezählt» werden müssten. Was in den Villen möglicher Millionär_innen unmöglich ist, kann bei Menschen in der Grundversorgung anscheinend durchgeführt werden. Hier sollen Exekutivbeamte auch in Zukunft im Küchenkasterl auf der Suche nach «größeren Mengen Bargelds» wühlen.