Ausreiseaufforderungen für EU-Bürger_innen
Überprüfungen durch die Fremden-polizei nehmen laut Wahrnehmung von Sozialeinrichtungen zu. Auch beim AUGUSTIN gibt es vermehrt Fälle.
Von Ruth Weismann
Sind sie schon mal einfach so auf der Straße von der Polizei nach ihrem Ausweis gefragt worden? Es liegt die Vermutung nahe, dass dies einigen eher passiert als anderen. Denn derzeit hört man von Organisationen, die sich um armutsbetroffene und obdachlose Menschen kümmern, dass vermehrt Personen zwecks Prüfung ihres Aufenthaltsstatus angehalten werden. «Sehr häufig werden solche Menschen kontrolliert, die als arm, ‹unterstandslos›, Bettler und Bettlerinnen oder
Straßenzeitungsverkäufer_innen wahrgenommen werden», sagt Bernhard Wernitznig, der als Sozialarbeiter beim AUGUSTIN in letzter Zeit einige solche Geschichten von EU-Bürger_innen, die die Zeitung verkaufen, gehört hat. Aber: Es bleibt nicht bei Kontrollen.
Laut der EU-Freizügigkeitsrichtlinie dürfen sich Bürger_innen von EU-Staaten bis zu drei Monate in Österreich aufhalten. Bleiben sie länger hier, müssen sie sich melden und auch finanziell erhalten können. Tun sie das nicht, können sie ausgewiesen werden. Dass Straßenkontrollen diesbezüglich stattfinden und auch Folgen haben, nämlich die Ausstellung einer Ausreiseaufforderung, wenn die betroffenen Personen nicht, oder manchmal: nicht sofort, nachweisen können, dass sie nicht länger als erlaubt im Lande sind, kam früher nur vereinzelt vor, wie sowohl aus dem AUGUSTIN-Vertrieb als auch von der Caritas-Sozial- und -Rückkehrberatung zu vernehmen ist. Auch bei der Bettellobby kennt man nun aktuelle Fälle, wie auf Nachfrage angegeben wird.
«Grundsätzlich werden Leute auf der Straße kontrolliert, wenn es die Vermutung eines rechtswidrigen Aufenthalts gibt», sagt Thomas Wiesinger von der Caritas-Sozial- und Rückkehrberatung in einem Telefongespräch mit dem AUGUSTIN. «Dann nehmen sie den Ausweis weg. Es müsste da aber einen Nachweis zur Sicherstellung des Dokuments geben. Wir haben immer wieder Fälle gehabt, wo Klienten gesagt haben, das wurde ihnen nicht ausgestellt», so Wiesinger. Grundsätzlich dürfte das Kontrollieren und Ausweis-Abnehmen nicht rechtswidrig sein. Beim Nicht-Ausstellen einer Bestätigung könnte es schon anders aussehen. Bernhard Wernitznig kennt solche Fälle ebenfalls. Kein Nachweis wurde ausgestellt, oder die Betroffenen haben ihn nie erhalten.
Massive Einschüchterung.
Wiesinger hat den Eindruck, dass die Praktik der Straßenkontrolle, des Ausweisabnehmens und in weiterer Folge der Ausstellung einer Ausreiseaufforderung bei EU-Bürger_innen ungefähr seit einem halben Jahr vermehrt stattfindet. Die Fälle, die in seiner Abteilung behandelt werden, betreffen vorwiegend Menschen aus Osteuropa, so auch beim AUGUSTIN. Bernhard Wernitznig berichtet von der Vorgehensweise und liefert eine Einschätzung:
«Wenn jemand im öffentlichen Raum angetroffen wird, und den Anschein erweckt, den sogenannten unerwünschten Bevölkerungsteilen anzugehören, wird der rechtmäßige Aufenthalt kontrolliert. Wer weder eine Aufenthaltsbescheinigung (Anm.: drei Monate) noch einen Nachweis der kurzfristigen Einreise vorlegen kann, wird quasi automatisch verdächtigt, permanent aufhältig zu sein. Das würde nämlich eine Anmeldebescheinigung erfordern (Anm.: nach vier Monaten).»
Tatsächlich ist es so, dass eine Person aus Ungarn, die in Österreich weder gemeldet ist noch einer Arbeit nachgeht, nur einen Tag ausreisen müsste, um sich legal wieder drei Monate hier aufhalten zu können.
Es gäbe auch Betroffene, denen der Ausweis weggenommen und erst nach Vorweis einer Rückfahrkarte wieder ausgehändigt würde. «Wohlgemerkt», so Wernitznig, «auch wenn keine rechtskräftige Ausreiseentscheidung der Behörde vorliegt.» In einem Fall, wo er einen Betroffenen zum Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) begleitete und verlangte, den Ausreisebescheid zu sehen, wurde ihm von Beamt_innen mitgeteilt, dass dieses Dokument nicht hier in Wien wäre, sondern in Niederösterreich. Man könne es also nicht vorweisen.
«Das Abnehmen des Ausweises kann Menschen massiv einschüchtern, da sie als Ausländer_innen eine Ausweispflicht haben und, präsent im öffentlichen Raum, stets kontrolliert werden können», meint er. Wernitznig kennt auch Betroffene, die davon erzählen, dass sie direkt bei der Kontrolle auf der Straße einvernommen wurden. Wobei völlig unklar ist, wie die Behörde zur Annahme gelangt, der oder die Person hätte kein Recht auf Aufenthalt. Denn wer kann das schon ad hoc beweisen?
Die Pressestelle des Bundesministeriums für Inneres antwortete auf Anfrage, warum derzeit so oft Straßenzeitungsverkäufer_innen, Obdachlose und andere von Armut betroffene Menschen kontrolliert werden und nach welchen Kriterien bei Kontrollen vorgegangen wird, per E-Mail mit dem Hinweis, dass die Frage unlogisch sei, weil sie impliziere, dass «Organe der Fremdenpolizei a priori über den fremdenrechtlichen Status, i.e. EU-Bürger, Drittstaatsangehöriger etc., Bescheid wissen, noch bevor kontrolliert wird.»
An den kolportierten Fällen gemessen, sowie an der Einschätzung, dass seit einem halben Jahr vermehrt Menschen, die vielleicht «unerwünscht» aussehen und/oder eine Straßenzeitung verkaufen, auf ihren Aufenthaltststatus hin kontrolliert werden, könnte man wohl einen Schluss ziehen: nämlich, dass die Organe der Fremdenpolizei sehr wohl a priori annehmen, dass bestimmte Personen nicht rechtmäßig im Lande sind. Und sie darum dem von vielen durchaus als einschüchternd wahrgenommenen Prozedere von Kontrolle, Ausweisabnahme und Beweisführung aussetzen.
Zitat Berhnard Wernitznig: «Ich hätte gerne Zahlen dazu, wie viele Bundesdeutsche, Italiener_innen und Schwed_innen hinsichtlich ihres rechtmäßigen unionsrechtlichen Aufenthalts überprüft werden. Würde es diese entsprechenden Zahlen geben, würde die rassistische und antiziganistische Diskriminierung ganz deutlich ablesbar sein.» Und auch Thomas Wiesinger meint: «Es geht aus meiner Sicht schon stark darum, Armutsbetroffene zu kontrollieren.»