Konzern mit sozialem Gewissenvorstadt

Von 1919 bis 1981 war die in Niederösterreich ansässige Firma Eumig so etwas wie ein Vorzeigebetrieb. Heute zeichnet ein kleines Museum in Wiener Neudorf den Weg des Kamera- und Radiobauers nach.

TEXT & FOTOS: CHRISTOPH FELLMER

Die Marktgemeinde Wiener Neudorf mit knapp neuneinhalbtausend Einwohner:innen ist mehr oder weniger für ihre Geschichte bekannt: Bis Anfang der 1980er-Jahre hatte der Eumig-Konzern hier seinen Hauptsitz, der in seinen Glanzzeiten nicht nur Österreich mit Radios, Film- und Videokameras und anderen Elektronikgeräten versorgte. Gefühlt musste fast jeder heimische Haushalt bis in die 1980er-Jahre hinein mit einem Eumig-Produkt in Kontakt gekommen sein. Eumig war aber auch ein Unternehmen, das neben seinen Produkten für seine sozialen Arbeitsbedingungen bekannt war, wie beispielsweise die Einführung der 40-Stunden-Woche im Jahr 1956, lange bevor sie im Rest der Alpenrepublik Usus wurde. Aber das sind vergangene Zeiten, die nur noch im Eumig-Museum in Wiener Neudorf am Leben erhalten werden, in zwei großen Schauräumen und mit regelmäßigen Themenausstellungen. Erreichbar ist das Museum recht gut mit der Badner Bahn (oder Wiener Lokalbahn, wie sie auf Schaffnerdeutsch heißt), die bis Wiener Neudorf eigentlich wie eine Straßenbahn unterwegs ist und etwa alle zehn Minuten zu und von der Oper fährt.

Erlebnisreise in den Speckgürtel.

Eine Fahrt nach Wiener Neudorf hat Höhepunkte zu bieten, etwa ein geschlossenes Bahnhofsbeisl in der Station Neu Erlaa und jede Menge heruntergekommene Lokale der horizontalen Erwerbszone entlang der Triester Straße. Ein paar hundert Meter vor dem Bahnhof Wiener Neudorf taucht auf der linken Seite zwischen Büschen, Lärmschutzmaßnahmen und Feldern ein Industrie-Artefakt auf: das «Palmers»-Hochhaus, wie es der Volksmund nennt, obwohl die Bezeichnung nur teilweise stimmt. Eumig ließ es Anfang der 1970er-Jahre errichten. Damals noch ohne Vollverglasung, die erst im Zuge der Renovierung nach einem Brand im Jahr 1993 hinzugekommen ist. In den angrenzenden Produktionshallen wurden bis zur Konkurseröffnung im Jahr 1981 Radio- und Filmgeräte hergestellt. Dann siedelte die Zentrale des Wäscheherstellers Palmers ins Haus am Eumigweg und blieb noch bis ins Jahr 2014 als Mieter, nachdem es 2007 eine Immobiliengruppe gekauft hatte. Mittlerweile hat Palmers die Liegenschaft zurückgekauft, und seit dem Frühjahr leuchtet nicht nur das markenrechtlich geschützte Grün des Unternehmens vom Dach, sondern auch der mit 1.000 Quadratmetern größte LED-Werbescreen Europas durch die Nacht. Während man noch schaut und sich vielleicht fragt, warum so ein Klotz immer noch ungefragt in der ansonsten recht aparten niederösterreichischen Landschaft stehen darf, ist man schon in Wiener Neudorf. Von Meidling aus dauert diese Erlebnisreise nur knapp 15 Minuten (und einen Außenzonenfahrschein); dann noch zehn Minuten Fußmarsch durch die Dorfkulisse entlang der Liesing, und schon hat man erreicht, was von einem einstigen Renommierunternehmen noch übrig ist: das in einem alten Feuerwehrhaus untergebrachte Eumig-Museum.

Eumigianer unter sich.

Ausgestellt sind dort «alle Produkte, die von Eumig zwischen 1919 und 1981 hergestellt wurden», erzählt Uschi Seemann. Ihr Großvater, Karl Vockenhuber sen., war einer der Firmengründer; ihr Vater Karl Vockenhuber jun. war bis zum Konkurs des Unternehmens neben Raimund Hauser einer der Geschäftsführer. «Wir spiegeln die Eumig-Geschichte im Zusammenhang mit der internationalen Geschichte.» Realisiert wird das durch eine Vielzahl von Produkt-Artefakten, Fotos und Dokumenten; und wenn man durch die beiden liebevoll gestalteten Schauräume wandert, bekommt man den Eindruck, Eumig hätte überhaupt alles auf dem österreichischen Elektronik-Sektor erfunden. Zum Museum kam es im Jahr 2008, als ein ehemaliger Eumig-Mitarbeiter an die Familie mit der Idee für eine Gedenkausstellung herantrat. Die wurde im Heimatmuseum Guntramsdorf durchgeführt, lief ein Jahr «und konnte fast 10.000 Besucher anlocken», sagt Uschi Seemann. Es folgten weitere Ausstellungen im Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum in Wien sowie an ehemaligen Eumig-Standorten im steirischen Fürstenfeld und in Kirchdorf in Oberösterreich. «Die Leute waren begeistert, dass die Erinnerung an diese Firma erhalten bleibt», sagt Uschi Seemann. In Wiener Neudorf wurde dann den mittlerweile zum Verein angewachsenen «Eumigianern», das alte Feuerwehrhaus angeboten, in dem sich das Museum jetzt befindet.

Firmengründung in Mariahilf.

Die Geschichte von Eumig, einst der österreichische Vorzeigebetrieb, beginnt aber nicht in Wiener Neudorf, sondern in Mariahilf. Dort gründeten Karl Vockenhuber sen., Alois Handler und Adolf Halpern im Jahr 1919 die «Elektrizitäts- und Metallwaren-Industrie-Gesellschaft m. b. H.», kurz Eumig. Im gleichen Jahr übersiedelte das Unternehmen nach Meidling und zwei Jahre danach wieder in den 6. Bezirk zurück, wo bereits 65 Mitarbeiter:innen an der Herstellung von aus heutiger Sicht eher unspektakulären Produkten wie Zigarettendosen, Elektromaterial (etwa Sicherungsteile) und Feuerzeugen (aus Patronenhülsen) werkten. Ab 1924 stellte Eumig erste Rundfunkgeräte her, wie das «Eumig Baby». 1928 kam das Filmsegment mit dem 16-Millimeter-Projektor «Eumig P 1» dazu. Es folgten verschiedene Kameramodelle und 1937 mit der «Eumig C 4» die erste Amateurfilmkamera der Welt mit elektrischem Antrieb. 1938 kam der Anschluss Österreichs, und Eumig stellte neben militärischen Geräten auch sehr verbreitete Volks- und Kleinempfänger her.
Das erfolgreichste Radiogerät des Unternehmens war die 1955 vorgestellte «Eumigette», die mehr als 500.000-mal verkauft wurde. Für die 1956 vorgestellte 16-Millimeter-Filmkamera «C 16» machten sogar Stars wie John Wayne oder Brigitte Bardot Werbung. Während die Radioproduktion 1962 eingestellt wurde, verbreiterte sich die filmische Hardwarepalette: Es folgten Super-8-Kameras und Projektoren, Videoequipment, Hi-Fi-Komponenten und ein für Polaroid entwickeltes Sofortbild-Filmsystem, das allerdings nicht auf den Markt kam. Das gescheiterte Geschäft mit Polaroid, Zwistigkeiten in der Konzernleitung, die Verweigerung bereits zugesagter ERP-Kredite und «der Österreichischen Länderbank als wenig kompetenten Finanzierungspartner führten gegen Ende der 1970er-Jahre zu einem stetigen Stellenabbau und letztlich zum Konkurs des Unternehmens mit knapp zwei Milliarden Schilling Überschuldung», sagt Uschi Seemann.

Gründe des Erfolgs.

Womit begründet sich der Erfolg von Eumig, das in seinen Glanzzeiten mit fast 7.000 Mitarbeiter:innen eines der größten auch international aktiven Privatunternehmen Österreichs war? Uschi Seemann nennt zwei Gründe, die Produktqualität und das soziale Engagement: «Mein Vater hat immer darauf geschaut, dass der soziale Faktor stimmt und ausgeglichen ist, zwischen Management und Mitarbeitern.» Nach der 40-Stunden-Woche wurden beispielsweise im Jahr 1972 alle Mitarbeiter:innen in den Angestelltenstand erhoben – bei 80 Prozent am Fließband tätigen Frauen. Hinzu kamen weitere Aktivitäten wie die Erhaltung von Sportvereinen oder Spenden an SOS Kinderdorf, sagt Uschi Seemann. «Mein Vater war zwar ein Patriarch, aber er stand immer auf demselben Niveau wie seine Mitarbeiter. Sowas muss vom Kopf ausgehen, und das kommt dann auch zurück.» Diese Bindung geht bis in die Nachkriegszeit zurück, als zwei Produktionsstätten nicht nur zerbombt waren, sondern auch in verschiedenen Besatzungszonen lagen. «Die Mitarbeiter, die den Krieg unversehrt überstanden hatten, haben für ihre Arbeit gebrannt und Briefe geschrieben, wann sie endlich mit dem Wiederaufbau der Werke anfangen dürfen.»

Eumig-Museum im Alten Feuerwehrhaus
2351 Wiener Neudorf, Parkstraße 6

Öffnungszeiten:
Sa 15 – 18 Uhr, So 9 – 12 Uhr und
jeden ersten Mi im Monat von 15 – 18 Uhr.
Vom 18. – 25. Juni täglich von 17 – 20 Uhr. In diesem Zeitraum findet jeweils um 18 Uhr eine Filmvorführung über die Erstbegehung des Nanga Parbat über den Südwest-Grat, den Robert Schauer 1976 mit einer ausgestellten Mini-5-Kamera gefilmt hat, statt.

www.eumig.at