Ignoranz bedeutet, den Anderen aus dem Blickfeld zu verdrängen
Die Wirtschaftswissenschafterin und Lehrerin für Religion und Rechnungswesen Gülmihri Aytac übersetzte Friederike Mayröcker ins Türkische und gab das Buch so gehe ich tag und nacht. 13 texte nach veysel heraus. Fragen beantwortet sie kurz und bündig. Z. B. nach der in den Medien sehr beliebten Unterdrückung der Frau im Islam: Frauenunterdrückung gibt es überall. Es ist nicht einmal so sehr deswegen, weil Männer Frauen unterdrücken, sondern weil der Stärkere den Schwachen unterdrückt. Und Frauen befinden sich zumeist in der schwächeren Position, sagt sie im Augustin-Gespräch.
Wenn Sie eine ältere slowenische Bäuerin treffen, die, sagen wir mal, aus Kärnten kommt, und die fragt Sie, wer Sie sind und woher Sie kommen, wie würden Sie antworten?
Ich bin Gülmihri Aytac. Ich bin eine Wienerin, die aus der Türkei kommt. Wahrscheinlich würden wir uns anlächeln, denn ich nehme an, dass sie ein schwarzes Kopftuch tragen würde und ich hätte halt ein buntes Kopftuch an.
Früher haben sich die so genannten Gastarbeiter als Türken und Migranten bezeichnet, und wurden von den Österreichern als Ausländer beschrieben. Heute scheint eher eine Selbstdefinition als Muslim oder Muslimin zu erfolgen. Warum hat sich das verändert?
Die Migrationsgeschichte ist mittlerweile auch schon fast fünfzig Jahre alt und nach ein, zwei, drei, manchmal schon vier Generationen, tituliert man sich nicht gerne selbst als Ausländer oder Gastarbeiter, weil man sich hier einfach heimisch fühlt und sich als ganz selbstverständlichen Teil der Gesellschaft versteht. Und der Islam hat nun mal den Vorteil, dass er keine Nationalismen kennt, und dann kann sich jeder, der einmal aus Bosnien, aus der Türkei, aus den arabischen Ländern gekommen ist, als Muslim definieren. Das ist verbindend und es ist möglich, Europäer und Österreicher zu sein und Muslim. Ich bin Österreicherin türkischer Herkunft, türkischstämmig oder mit türkischen Wurzeln das Österreichische macht bei mir schon einen großen Teil aus. Weil es für mich einfach der Alltag ist, in dem wir leben.
Die Töchter der Einwanderer tragen das Kopftuch pfiffiger
Sie haben in einem Aufsatz das Tragen des Kopftuches als eine Strategie der Mädchen der zweiten Generation beschrieben. Was wollen die Töchter der Einwanderer mit dem Kopftuch erreichen, das sie quasi als ihr Symbol erfunden haben?
Sie sehen das Kopftuch nicht als Symbol sondern als spirituelle Praxis. Es drückt sicher eine große Portion Selbstbewusstsein aus. Es ist ein Stück Freiraum für ihre Identität, den sie sich schaffen. Das Kopftuch bedeutet auch ein Emanzipieren von herkömmlichen Traditionen, weil es lange Zeit ein Zeichen für ungebildete Frauen war, die aus dem Dorf kommen. Die Töchter haben das Kopftuch in einem ganz anderen Selbstverständnis umgemodelt. Sie tragen es auch viel moderner und pfiffiger. Sie sind nicht mehr die ungebildete ländliche Gastarbeiterin, sondern haben in der Migration persönlich viel erreicht. Sie haben studiert, sie haben sich gebildet, sie haben sich emanzipiert. Es bedeutet ein dynamisches Sich-weiter-Entwickeln, sowohl gesellschaftlich als auch spirituell. Der wichtige Punkt ist, dass man stolz auf seine Person, auf seine Leistungen ist und eine innige Verbindung mit Gott lebt.
Warum ist der Kampf der Kulturen als Erklärungsmuster für soziale Spannungen so beliebt? Werden durch diese Kulturdebatte nicht soziale oder politische Probleme unter den Tisch gekehrt? Geht es nicht eher um Integration und soziale Rechte?
Der Kampf der Kulturen ist für mich niemals ein Erklärungsmuster. Es geht um einen künstlich heraufbeschworenen Begriff, hinter dem man sehr viel Aggressionen, sehr viel Rassismus, sehr viel Machtpolitik verbergen kann. Kulturen sind ja nicht statische, jahrhundertlang fixe Formen, sondern immer dynamisch und befruchten sich gegenseitig. Gewollt oder ungewollt. Man kann nur gewinnen, wenn man die Kultur offen lässt. Nur dann kann sich diese Kultur den Bedürfnissen der Menschen entsprechend entwickeln. Der Wissenschafter Edward Said hat mit seinem Gegenspruch des Kampfes der Ignoranz wohl gemeint, dass die Menschen sich oft gegenseitig in ihren Bedürfnissen ignorieren. Ignoranz bedeutet keinen Dialog, keine Kommunikation, kein Aufeinanderzugehen. Sondern den anderen aus dem Blickfeld, aus der Lebenswelt rauszudrängen.
Ist es nicht seltsam, dass in einer Zeit der weltweiten Vereinheitlichung einer Kultur der Firmen und Marken, bestimmte Gruppen Politik über ihre Identitäten oder ihre Kulturen machen?
Auch diese Kultur, die sich eine Gruppe zu Eigen macht, ist ja nicht unbeeinflusst von der globalisierten Kultur. Die Muslimin in Österreich heute ist ja eine ganz andere, als die sie vor fünfzig Jahren in einem islamischen Land war. Auch sie hat diese Beeinflussung aufgenommen, denn sonst wäre das kompletter Rückstand und Widerstand gegen den Zeitgeist und würde nur von einer sehr kleinen Randgruppe betrieben werden und nicht Massen begeistern wie jetzt. Ich sehe die jetzige islamische Kultur als ein modernes Phänomen. Sicher ist aber auch ein Teil Widerstand gegen die Globalisierung vorhanden, gegen die Unterdrückung der Armen durch das Kapital. Ein Anziehungspunkt des Islams ist ja ebenfalls, dass er eine andere Möglichkeit gegenüber der Hegenomie des Kapitals bietet. In der Form von ethischen Werten und anderen Wirtschaftsprinzipien, z.B. dass man einen gewissen Teil seines Mehrbetrages an Bedürftige abgibt, die einen Anspruch darauf haben, von den Bessergestellten versorgt zu werden. Eine gewisse Barmherzigkeit und Verantwortung.
Tierschützer und Muslime ein Vergleich
Würden Sie sagen, dass die Integration Ihrer Mutter und Ihres Vaters geklappt hat?
Das kommt immer darauf an, was man als Integration definiert. Anfangs hat niemand von der älteren Generation Integration verlangt, wichtig war, dass sie brav und fleißig gearbeitet haben. Jetzt nach vierzig Jahren, nachdem viele Gastarbeiter ihre ganze Jugend lang gearbeitet haben, ihre Gesundheit durch Berufskrankheiten aufs Spiel gesetzt haben jetzt auf einmal kommt man mit der Idee der Integration. Und das soll dann sein, dass die gefälligst Deutsch lernen sollen. Aber während sie für einen Hungerlohn am Fließband gearbeitet haben, da war es nicht nötig, Deutsch zu können. Es genügte, das Fließband zu bedienen. Meine Eltern haben sich in Österreich wohl gefühlt, obwohl mein Vater kein Deutsch konnte. Es war auch nicht notwendig, weil kein einziger Österreicher ihn privat angesprochen hat. Die paar Brocken Deutsch, die er in der Firma gebraucht hat, konnte er. Meine Mutter konnte sich in Ämtern und überall, wo sie als Ausländerin diskriminiert wurde, mit ihrem Deutsch zur Wehr setzen. Die ältere Generation will eigentlich nur noch ihre Ruhe, und dass man anerkennt und respektiert, was sie seit vierzig Jahren für Österreich geleistet hat.
Wie ist die Lage der Community? Nach dem, was in Holland passiert ist, gab es doch so viel Stress für muslimische Leute?
Es gab einige Zeitungsartikel, wo man gewarnt hat, dass die Muslime überall auf der Welt dieses gefährliche Potenzial hätten. Doch der Mörder Van Goghs war in meinen Augen ein verrückter Einzeltäter, wie auch Pim Fortoyn von einem verrückten Einzeltäter, einem Umweltschützer, umgebracht wurde. Das waren beides Morde, die die Öffentlichkeit natürlich sehr aufgeregt haben. Doch wie man mit den beiden Mördern umgegangen ist, zeigt mir sehr deutlich, wie der Hase läuft. Beim Mörder des Fortoyn hat logischerweise niemand einen Hass auf Umweltschützer gehabt und gesagt, Tierschützer hätten ein gefährliches mörderisches Potenzial, während man bei einem muslimischen Mörder gleich die gesamte muslimische Community in ganz Europa in Geiselhaft nimmt. Die Anschläge, die danach auf islamische Einrichtungen getätigt wurden, zeigen mir, dass da unterschwellig seit langer Zeit ein islamophober Rassismus gelegen zu sein scheint. Der dann nur ein Ventil gebraucht hat, um ans Tageslicht zu kommen. Auf traurige Weise. Die interne Selbstkontrolle der muslimischen Community in Österreich ist sehr groß, so dass nicht irgendein Verrückter kommt und einen Blödsinn macht. Das Klima unter den österreichischen Muslimen ist ein vielfach entspannteres als sonstwo in Europa. Dennoch ist gesellschaftlich noch sehr viel zu tun, damit ein zumindest gleichberechtigtes Nebeneinander zum Alltag wird.