Krank durch Selbstbehaltetun & lassen

Illustration: Thomas Kriebaum

Eing'Schenkt (25. Oktober 2023)

Im Gesundheitssystem sollte man doch mehr Selbstbehalte einführen, das mache Prävention und Gesundheitsförderung wirksamer. Das war kürzlich in mehreren Fernsehdiskussionen zu hören. Da werden verschiedene Argumente vermischt. Nämlich jenes der Prävention und jenes vom Glauben, dass wir es selbst in der Hand hätten, den Konsum von Gesundheitsleistungen zu steuern. Es kann im Gesundheitswesen keinen funktionierenden Markt geben, weil Anbieter und Nutznießer:innen nicht gleichberechtigt sind. Kaum jemand, der schwer krank in ein Krankenhaus kommt, wird beginnen mit den behandelnden Ärzt:innen über Preis oder Art der Leistung zu verhandeln. Die Nachfrage kranker Menschen ist fast unendlich. Egal was die Leistung kostet, verspricht sie Heilung, ist ein Bedürftiger bereit, alles dafür zu geben. Außerdem entscheiden nicht Patient:innen, sondern Ärzt:innen und andere Anbieter, was nachgefragt wird.
In Österreich bezahlen die Menschen rund 30 Prozent der Gesundheitsausgaben aus der eigenen Tasche. Etwa die Hälfte davon sind sogenannte indirekte Selbstbehalte. Also Ausgaben für Leistungen, die nicht von den Krankenversicherungen bezahlt werden, wie Reiseimpfungen oder Seh- und Heilbehelfe. Ein weiteres Viertel sind klassische Selbstbehalte, also Kostenbeteiligungen, wie Rezeptgebühren und Kuren. Hier zahlt die Kasse nur einen Teil. Da rezeptpflichtige Medikamente ausschließlich von Ärzt:innen verschrieben werden, haben Patient:innen auf Menge und Art auch kaum einen Einfluss. Auf private Zusatzkrankenversicherungen entfällt ein Zehntel der Selbstbehalte. Schon jetzt hat jeder Vierte eine private Zusatzversicherung.
Bei genauer Betrachtung zeigt sich zudem, dass in Ländern, in denen die Bürger:innen einen Großteil der Gesundheitskosten selbst bezahlen müssen, das Armutsrisiko erhöht ist. Egal in welchem Land, betroffen sind meist Menschen mit Behinderungen, Ältere und prekär Beschäftigte – alles Gruppen mit hohen Gesundheitsbelastungen und niedrigem Einkommen. Selbstbehalte zeigen nur dann eine Wirkung, wenn sie in Relation zum Einkommen spürbar sind. Wenn sie also sehr hoch sind. Damit wirken Selbstbeteiligungen aber gerade für einkommensschwache Personen als Zugangsbarriere zum Gesundheitssystem. Groß angelegte Studien aus den USA und Kanada zeigen darüber hinaus, dass Selbstbehalte bei ärmeren Menschen auch zu einem höheren Sterblichkeitsrisiko führen. Eine Zuzahlung von rund 1,5 US-Dollar für den Arztbesuch hat die Zahl der Arztkontakte um knapp sieben Prozent reduziert. Bei ärmeren Bevölkerungsgruppen sank die Zahl sogar um 18 Prozent. Dies rächt sich mit den Jahren in zusätzlichen, sonst vermeidbaren Krankheiten. Zu ähnlichen Zahlen kommt auch die Analyse der Kärntner Gebietskrankenkasse. Demnach zahlen Patient:innen der Altersklasse 71 bis 80 Jahre je nach Leistungsart bereits bis zu 40 Prozent der Kosten selbst. Der Spitzenwert für Selbstbehalte betrug demnach bei einem hochbetagten Menschen 2.380 Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Das durchschnittliche Jahreseinkommen von Pensionist:innen betrug zum Zeitpunkt der Studie rund 14.600 Euro. Selbstbehalte erreichen also nicht das gewünschte Ziel von mehr Gesundheit, sondern das genaue Gegenteil: mehr Krankheit und früheren Tod.

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