Kraus und der KriegDichter Innenteil

Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus, Teil 11

Der Ursprung allen Krieges ist Diebsgelüst.

Arthur Schopenhauer

Die Hetze gegen das verbündete Deutsche Reich,() insbesondere aber die verächtliche und höhnische Kritik des Gaskampfmittelgebrauchs zu einem Zeitpunkt, da die erfolgreiche Offensive an der Westfront im Gange war Karl Kraus sprach von einer chlorreichen Offensive all diese defaitistischen Auslassungen fanden jubelnden Beifall, ohne dass die anwesenden Militärpersonen dazu entsprechend Stellung genommen, d. h. den Saal verlassen hätten.

Bericht der Feindespropaganda-Abwehrstellung an das k. u. k. Kriegsministerium, 1918

Kriegswelt

Sie waren bei Laune, es ging ihnen gut,

nur unser Leben hatten sie über.

Tags waren sie schon betrunken von Blut

Und gossen des Nachts noch Wein darüber.

Sie lebten und lachten in Saus und Braus

Und konnten nicht über Langeweile klagen.

Und gingen ihnen die Menschen aus,

so haben die Zeit sie totgeschlagen.

Karl Kraus

Thronfolger Franz Ferdinand ist nirgendwo in der Habsburgermonarchie wohl gelitten. Noch weniger kann das serbische Königsreich den nationalistischen Geheimbund Crna Ruka (Schwarze Hand) leiden. Als einer dessen Anhänger Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajevo erschießt, hat die k. u. k. Regierung zwei Fliegen auf einen Streich erwischt. Gemeinsam mit Deutschland erklärt sie Serbien den Krieg. Ein Krieg, der schon lange auf sich warten ließ und dessen Anlass die Generalmobilisierung vorausging, besonders die der Journalisten und Dichter. Anders lässt sich nicht erklären, dass im August 1914 alleine in Deutschland 50.000 Kriegsgedichte veröffentlicht wurden.

Die gesamte deutschsprachige Literatur, in ihrem Ästhetizismus und Weltschmerz verwaist, findet in der Euphorie über die gemeinsame Sache des nationalen Krieges zurück in die fiktive Familie des Volkes, oder einfach nur einen Job beim Kriegspressequartier, um sich vorm Dienst an der Waffe zu drücken.

Nur einer schweigt Karl Kraus. Aber er schweigt nicht lange. Sechs Monate nach Kriegsbeginn erscheint die erste Fackel mit der abgedruckten Rede In dieser großen Zeit, worin sich die Worte finden: Die jetzt nichts zu sagen haben, weil die Tat das Wort hat, sprechen weiter. Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige! Die nächste Fackel erscheint Februar 1915 und beginnt mit dem Satz Ich bin jetzt nur ein einfacher Zeitungsleser. Karl Kraus legt sich während dieses Schweigens sein geheimes Waffenlager zu, außerdem muss er noch Persönliches regeln. Er droht seine große Liebe Sidonie von Nadhérný an einen italienischen Grafen zu verlieren. Im letzten Augenblick gelingt es ihm, sie zurückerobern. In der überaus glücklichen Beziehung, die zunächst bis 1918 währt, sollte er den Rückhalt und die seelische Stabilität finden, welche ihm die Kraft für seine titanische Kompromisslosigkeit gibt. Ihr, der geliebten Frau, sind alle Schriften der kommenden Jahre zugedacht und zugeschrieben. 1915 ist es so weit: Karl Kraus erklärt dem Krieg den Krieg und wird als einer der wenigen moralischen Sieger aus diesem hervorgehen.

Es ist wahr, dass Kraus am Vorabend des I. Weltkriegs auf dem Höhepunkt seiner demokratieskeptischen und konservativen Gesinnung steht (obwohl sich diese von gängigem Antidemokratismus und Konservatismus wie zu zeigen sein wird in Form und Struktur unterscheidet). Seinen Pazifismus aber wie Alfred Pfabigan es tut als allmählichen Lernprozess während der Kriegsjahre hinzustellen, dem ein sanfter Bellizismus voranging, widerlegt die sorgfältige Lektüre von Kraus Kritik der journalistischen Kriegshetze während der Balkankriege (191213). Nicht sein Pazifismus ändert sich im Laufe des Weltkriegs, sondern dessen Motive, nicht allein der Sprachverfall und die Phrase werden als Schuldige der Apokalypse identifiziert, sondern um Politik, Militär und Kapital erweitert. Die Kritik der Presse als deren allmächtiges Vollzugsorgan bleibt jedoch sein persönliches Schlachtfeld.

Das Beispiel eines wehrhaften Pazifismus

 

Kraus Schweigen zu Kriegsbeginn für seine Gegner ein vorschneller Triumph über ein besserwisserisches Großmaul mochte dem Staunen geschuldet sein, dass sich nun alles, was 15 Jahre hindurch an seiner Kritik für überspannt gehalten wurde, nicht nur bestätigte, sondern auf schreckliche Weise übertrieb: eine dräuende Apokalypse durch Kulturverfall, die Rolle von Presse und Kapital; der Gegensatz von Humor und Witz Ersterer lässt im Krieg die Maske der Gemütlichkeit fallen und gibt sein barbarisches Antlitz frei ( jeder Schuss ein Russ ..), während sich Letzterer als letzter Ausweg der Erkenntnis erweist: Bei diesem Spaß gibts nichts zu lachen. Aber weiß man das, so darf man es, und das Lachen über die unveränderten Marionetten ihrer Eitelkeit, ihrer Habsucht und ihres niederträchtigen Behagens schlage auf wie eine Blutlache. Und schließlich reihen sich all die Dichter, denen er ein Jahrzehnt lang sprachliche und folglich charakterliche Mängel aufgerechnet hat, in die kriegshetzerische Einheitsfront: Marie Ebner von Eschenbach, Hugo von Hofmannsthal, Peter Rosegger, Friedrich Ganghofer, Alfred Kerr, Felix Salten, Anton Wildgans und Stefan Zweig, aber auch Gerhart Hauptmann, Thomas Mann und Egon Friedell. Viele erliegen dem Rausch der großen Sache, manche leisten nur aus Opportunismus ihren Patriotismus als Kriegspropagandisten im Heerespressequartier ab. Karl Kraus versichert, lieber ins Feld zu ziehen, als es diesen Dekorateuren des Untergangs gleichzutun, den Rekommandateuren der Leichenfelder, diese elenden Schmierer, die daheim mit Entsetzen Ärgeres treiben als Spott, nämlich Leitartikel und Reime, indem sie eine Gebärde aus zehnter Hand, die schon in der ersten falsch war zu einer schnöden Wirksamkeit verarbeiten. Doch aufgrund einer Rückratverkrümmung ist er dienstuntauglich und so verdankt die Nachwelt diesem glücklichen Umstand das heroischste Beispiel eines wehrhaften Pazifismus und die stärkste bürgerliche Nachkriegsprosa (Walter Benjamin), nämlich die Letzten Tage der Menschheit.

700 Seiten und 219 Szenen umfasst dieses Werk, dessen Versatzstücke und Themensammlungen teilweise bereits in den Kriegsfackeln erscheinen. Ein Pandämonium seniler Monarchen, ruhmsüchtiger Generäle, sadistischer Offiziere, chauvinistischer Minister und vertrottelter Beamten, korrupter Redakteure und Heimatfrontpatrioten, Schieber und Kriegsgewinnler, Waffen segnender Priester, grausamer Richter, selbstzufriedener, ihre Kinder und Frauen misshandelnder Bürger, schmieriger Operettensänger, eines lynchgierigen Mobs und einer blutgierigen, verlogenen Kriegsberichterstattung, deren satirisches Porträt in seiner analytischen Schärfe jede Kritik des heutigen Meutejournalismus in den Schatten stellt. Doch die Realität gewinnt auch hier den Wettlauf mit der Satire: Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, schreibt Kraus, sind wirklich geschehen; ich habe gemalt, was sie nur taten. Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate.

Kraus Kritik passiert die Zensur nur, weil sie entweder zu geistreich ist Satiren, die der Zensor versteht, werden mit Recht verboten. oder weil er sich der altbewährten Form der Glosse bedient und per Zitat und ironischer Zurückhaltung den Kriegsjournalismus ins eigene Bajonett laufen lässt. Das geschulte Publikum denkt sich seine moralische Autorität mit und weiß Bescheid. Der Vorwurf, er hätte sich zu sehr auf die Presse, zu wenig auf den eigentlichen Kriegsverantwortlichen, die monarchistische Politik, kapriziert, stimmt nur insofern, als ihm das liberale Bürgertum und ihre Journaille zunächst wirklich verhasster sind als die untergehende Aristokratenklasse. Doch der Krieg belehrt ihn eines Besseren. Niemanden verschont er mehr außer die Opfer.

Dass das Lebensmittel nicht Lebenszweck sei

Im Ersten Weltkrieg bleiben die letzten Reste seiner elitären, aristokratischen Gesinnung auf dem Feld seines Einmannkrieges zurück. Die Anteilnahme am Schicksal der Kriegsopfer, aber auch der Rückhalt durch Soldaten und ihre Mütter sowie das Beispiel der sozialistischen Kriegsgegnerschaft, lassen in ihm einen demokratischen Humanismus keimen, kraft dessen er mit der alten Welt aufräumen will. Die überwältigende geistige und ethische Aufgabe, die das Morden und seine Ideologie an ihn stellen, lassen Kraus seine bislang höchste geistige Spannkraft und satirische Schärfe erlangen, die nie stärker zuvor in der Sache begründet waren. Sein Pazifismus beschränkt sich nicht auf den lämmerhaften Moralismus des Fünften Gebots, er ist ein Humanist im Harnisch, der mit allen Waffengattungen des kritischen Geistes das ideologische Ineinanderwirken von Nationalismus, Kulturindustrie (Presse), kapitalistischer Wirtschaft, Verdinglichung des Menschen (der in der Sprachregelung des Heeres folgerichtig einrückend gemacht wird) und Vergötzung des technologischen Fortschritt bis in die letzte Nuance aufspürt und bekämpft.

Karl Kraus, dem schon vor dem Krieg die ökonomischen Motive des Krieges bewusst waren, nämlich Absatzgebiete in Schlachtfelder zu verwandeln, damit aus diesen wieder Absatzgebiete werden, erfasst das Wesen moderner Kriegsführung mit ungebrochener Gültigkeit: Will man wissen, wie der neue Krieg aussieht, so genügt der Blick auf das leere Schlachtfeld des anonymen Todes, auf den Kampfplatz ohne Kampf, wo der Zufall zwischen Mensch und Maschine entscheidet, und dann zurück in einen warenlosen Kommerz, das noch nie das Ding gesehen hat, von dem er lebt () die Verbindung jener, die die Menschheit wie eine Ware schieben, mit jenen, die die Ware schieben.

Schmerzlich bewusst wird ihm dieser Zusammenhang anhand vieler persönlicher Schicksalsschläge, wie des Todes seines Freundes Franz Grüner etwa, der, an der Isonzofront von einer Granate in Stücke gerissen, allein dem Beweis zu dienen schien, dass sein Leib gegen die Leistungsfähigkeit der Schneider-Creuzot-Werke widerstandsfähiger sei, als der eines Turiners gegen den Skoda? Oder anhand des Todes seines Lieblingsneffen Fritz Nidezko, des Dichters Franz Janowitz, des Setzerlehrlings Franz Koch, der im Alter von siebzehn Jahren an einem Teil der Kriegshefte der Fackel gesetzt hat, bis er gezwungen war, ihren ganzen Inhalt zu erleben, und des Selbstmords Georg Trakls, den Hugo von Hofmannsthal in einen Heldentod umlog.

Man ist geneigt zu spekulieren, wie Karl Kraus die Kriegsideologien der letzten Jahrzehnte gegeißelt hätte. In der einseitigen Berichterstattung während der neueren Balkankriege hätte er nur die Wiederholung des Ewiggleichen erkannt. Wie aber hätte er sich zu den neuen Motiven wie Menschenrechte oder Westliche Werte geäußert, zum intellektuellen Säbelrasseln eines Jürgen Habermas etwa, der das Bombardement Jugoslawiens als historischen Schritt zur Errichtung einer internationalen Bürgergesellschaft feierte?

Vermutlich könnte er uns lehren, die Waffengänge der USA zu tadeln, ohne auf die heuchlerische Friedfertigkeit Europas hereinzufallen und den Terrorismus fanatisierter Lobbys als antiimperialistischen Widerstand zu preisen.

Der einstige Apokalyptiker Kraus goss wohlwollend das zarte Staatspflänzchen Österreich, das aus dem Schutt der Habsburgermonarchie sprießte. An einen Lernprozess glaubte er allerdings nicht. Der Menschheit, lässt er in den Letzten Tagen der Menschheit sein Alter Ego, den Nörgler, sagen, wird die Kugel bei einem Ohr hinein und beim anderen herausgegangen sein. Und mit gruseliger Prophetie äußert er seine Furcht, dass ein eiserner Hindenburg noch nach fünfzig gemästeten Friedensjahren von solchen benagelt werde, die unter Umständen auch wieder mit Flammenwerfern zu hantieren verstehen. Es sollte nur 15 Jahre dauern, bis sich die NSDAP mit Hilfe Hindenburgs zur Macht aufschwang.

Karl Kraus blieb der Schrecken eines weiteren Weltkrieges erspart. Und vertröstete sich mit der Idee eines utopischen Weltkrieges, deren Ethik ihn von der einer Linken nur dadurch unterscheidet, dass er sie besser formulieren kann als diese:

Es gibt eine Idee, die einst den wahren Weltkrieg in Bewegung setzen wird: Dass Gott den Menschen nicht als Konsumenten und Produzenten erschaffen hat. Dass das Lebensmittel nicht Lebenszweck sei. Dass der Magen dem Kopf nicht über den Kopf wachse. Dass das Leben nicht in der Ausschließlichkeit der Erwerbsinteressen begründet sei. Dass der Mensch in die Zeit gesetzt sei, um Zeit zu haben und nicht mit den Beinen irgendwo eher anzulangen als mit dem Herzen.

Literaturtipps:

Karl Kraus: Die Letzten Tage der Menschheit. Frankfurt a. Main 1986

Eberhard Sauermann: Literarische Kriegsfürsorge. Österreichische Dichter und Publizisten im Ersten Weltkrieg. Wien 2000

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