Augustin-Fußballer in Abschiebegefahr
Said aus Afghanistan lebt in Angst vor der Abschiebung. Dabei hat der junge Mann gerade den Hauptschulabschluss geschafft. Und ist seit zweieinhalb Jahren ein zuverlässiger Mittelfeldspieler für Schwarz-Weiß Augustin. Von Kerstin Kellermann.
Zeichnung: Khaled Koshdel
«Ich würde bei keinem anderen Verein spielen wollen, nur beim Schwarz-Weiß Augustin», ruft Said entrüstet. Die Frage war, ob in diesem Artikel stehen sollte, dass sich ein Profi-Verein den ambitionierten 24-jährigen Mittelstürmer anschauen müsste. Said aber will aber gar nicht. Mit dem Augustin-Team gewann er schon einiges.
Said ist aus Afghanistan geflüchtet. Er ist einer von denen, die cool und entspannt wirken, auch wenn sie sich innerlich aufregen. Seit zwei Wochen hat er nicht mehr geschlafen, erzählt er, aber auch erst auf Nachfrage. Er ist in konkreter Abschiebegefahr. Am 27. April hat Said ein Interview in Traiskirchen, bei dem er «neue Asylgründe» einbringen wird. Seine Familie lebt im Iran, in dem afghanische Jungs keinen Asylbescheid erhalten, nicht in die Schule gehen dürfen und ohne Vorwarnung abgeschoben werden können. Seine Oma, sein Opa, drei Tanten und fünf seiner Cousinen ertranken vor kurzem im Mittelmeer, als ihr Boot Griechenland nicht erreichte. Nur der Onkel überlebte. Den Film dazu, der in den Fernsehnachrichten kam, schaute Said sich auf YouTube an. Kein Wunder, dass er nicht mehr schlafen kann. Er selbst hat den Landweg über Bulgarien nach Österreich genommen.
Mit Richter_innen reden
Seine Familie musste Afghanistan in Richtung Iran verlassen, da es ein Problem mit den Taliban gab. «Darüber rede ich aber nicht!», ruft Said und springt auf. «Mir musst du es eh nicht erzählen, aber dem Richter schon», sage ich. Vor kurzem hat mir nämlich eine Mitarbeiterin des Vereins Hemayat (der u. a. Menschen mit Kriegserfahrungen psychologische Unterstützung bietet), erklärt, es sei wichtig, in den Therapien daran zu arbeiten, dass die Flüchtlinge den Asylrichter_innen ihre Fluchtgründe mitteilen. Seien es Gewalt, Tod oder andere Umstände, die zu ihrer Flucht führten. Probleme gibt es, wenn die Menschen alles mit sich selbst ausmachen wollen. Oder es gerade nicht schaffen, Fremden ihr Schicksal anzuvertrauen. Wenn sie noch nicht genügend Sicherheit gefunden haben, oder wenn Dissoziation stattgefunden hat – dann dauert es länger, um an die schrecklichen Ereignisse heranzukommen.
Said hat nun den Hauptschulabschluss fertig und könnte theoretisch mit dem Gymnasium anfangen. Im afghanischen Restaurant Noosh in der Wiener Zieglergasse frage ich Said und seine Freunde, ob er Afghanistan ohne Krieg kennt und ob er sich das überhaupt vorstellen kann. «Aber es geht nicht ohne Krieg!», ruft sein Freund zweimal. «Seit mein Freund und ich geboren wurden, gab es immer Krieg in Afghanistan. Dieser Krieg ist ‹unterwachsen›, wir sind schon so aufgewachsen und haben noch keinen Frieden gesehen.» Seine Eltern erzählten aber, dass Afghanistan vor vierzig Jahren ein schönes Land war, in das Tourist_innen kamen. «Die Frauen haben kurze Hosen getragen. Dann kam ein anderer Präsident, eine neue Politik, und seitdem gab es immer Krieg.» Auf die Frage, warum gerade Afghanistan, kommt die Antwort: «Ich weiß nicht, aber Afghanistan besitzt viele Ressourcen. Das sehr teure Uranium ist zum Beispiel überall fertig abgebaut, nur Afghanistan hat noch welches. Andere Leute sind gekommen, um das zu stehlen.» Dann folgt die Liste der Länder bzw. Gruppierungen, die daran Interesse haben: England, Russland, die Taliban und die USA.
Generation Hoffnung?
Die beiden Afghanen sind der Meinung, dass wenn die NATO Afghanistan verlassen wird, afghanische Jugendliche aus Europa, den USA, Australien und Kanada zurückkehren werden. Die hätten neue Ideen im Kopf und ein anderes Leben gesehen. Eine schöne Fantasie, aber «mit den Nachbarn gibt es auch Probleme». Alle würden etwas von Afghanistan wollen: der Iran, Pakistan, Tadschikistan. «Wasser und Holz aus Afghanistan ist derzeit gratis für diese Länder, an der Grenze holen die sich Ressourcen heraus», erklärt Saids Freund.
«Hier in Österreich ist zwar Frieden», sagt Said plötzlich, «aber ich befinde mich im Krieg mit den Behörden. Ich kämpfe seit drei Jahren für mein neues Leben. Das ist ein anderer Krieg, der mich fertigmacht. Man wird langsamer getötet, nicht so schnell wie in Kabul.»
«Die Europäische Union zahlt jährlich unglaubliche 1,2 Milliarden Euro an Afghanistan, damit sie Flüchtlinge zurücknehmen», erzählt Khaled Koshdel, der Chef des Noosh. «Deswegen dürfen jetzt Flugzeuge dort landen. Das stecken sich Politiker in die Tasche, aber die Flüchtlinge verwahrlosen. Österreich hat nicht einmal eine Vertretung in Afghanistan, weil es nicht sicher ist. Aber für die Flüchtlinge ist es angeblich sicher.»