KRONE gegen BILD, das ist TrashArtistin

Wie die Revolverblätter plötzlich das Interesse an Kramar verloren

PensionF.jpgPension F., die anarchistische Mischung aus Revue, Mediensatire und Trash, in der entgegen den Ankündigungen und Erwartungen des voyeuristischen Boulevards keine einzige Szene im Keller des Inzesttäters Josef F. aus Amstetten spielt, wird vom 15. bis 18. April wiederaufgeführt. Da jeder Abend seine eigene Dynamik hat, ist auch ein Mehrfachbesuch empfehlenswert.

OPFER MACHEN QUOTE. GEILER GEILER. Unter diesem Titel werden TV-, Talk- und Casting Shows parodiert. Eine Videozuspielung zeigt Jörg Haider ebenso pathetisch wie untalentiert ein Kärntnerlied singend. Ein Migrant aus Afrika muss zum Beweis seiner Assimilationsbereitschaft Fischers Fritz fischt frische Fische korrekt herunterratschen können. Er wird vom Herrn Volker, dem Repräsentanten des anständigen Österreich hervorragend dargestellt vom Schriftsteller Peter Matejka kurzerhand erschossen. Der Theaterskandal des Jahres 2009 fand im Off statt, in Alexandra Reisingers und Hubsi Kramars 3raum-Anatomietheater in der Beatrixgasse.

Trash engl. Müll, Abfall bezeichnet als deutsches Lehnwort der Postmoderne ein kulturelles Produkt mit geringem geistigen Anspruch, an dem gerade der Aspekt der Geistlosigkeit genossen wird. Auch übt die oft unfreiwillige Komik eine große Faszination auf die Konsumenten aus. Die Anwendung des Begriffes ist umstritten und schwierig einzugrenzen. Was der eine Betrachter als Kitsch, als Gipfel der Geschmack- und Geistlosigkeit ansieht, birgt für den anderen tiefen künstlerischen Wert. Dies gilt besonders bei Trash, der zum Kult geworden ist, da hier die rein subjektive Einschätzung das Maß setzte (Wikipedia-Definition).

Ein Kritiker der deutschen Welt urteilte: Was man zu sehen und zu hören bekommt, ist (…) unter aller Kritik: eine Trash-Revue, eine Schlingensief-Freakshow für ganz Arme. Ein Hauch von Klassismus (verbreiteter ist bei uns der Begriff Sozialrassismus) weht uns an, wenn dem Trash-Begriff die Konnotation Ekel erregender Versager anhaftet, wenn mit dem Begriff Trash der nicht zimmerreine, vielen jedoch leicht von den Lippen gleitende Begriff des sozialen Abfalls verdeckt werden kann, oder wenn Trash, aus der Sicht von oben nach unten, als unfreiwillige Komik ungebildeter Laien aus Unterschicht, Delinquenz und Semi-Entmündigung gedeutet wird.

Bekanntlich sind Bobos nicht weniger klassismusanfällig als die RedakteurInnen von Revolverblättern und deren ständige LeserInnen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Letztere nicht die Bildung haben, die ihnen zur verbalen Zurückhaltung verhilft. Ich habe bei der Premiere die versteinerten Gesichter stadtbekannter liberaler Kritiker, also die Gesichter der Qualitätsmedien gesehen, als sie frontal mit unserer bunten Theatercrew konfrontiert waren, sagt Kramar. So viele sichtliche Opfer, so viele Verlierer auf der Bühne, so viele Laien, das haben die nicht gepackt. Ich sah ihre Blicke und wusste, sie werden das Stück vernichten. Der Regisseur hat für diese Produktion alle jene Underdogs engagiert, die schon in früheren Experimenten gelegentlich den Profis die Show gestohlen hatten. Augustinverkäuferin Heide Gross ist eine von ihnen.

Am Tag nach der Premiere wandte sich der Boulevard enttäuscht ab

Das oft geadelte, meist aber entwertete Wort Trash ist für die Charakterisierung des dreiphasigen Gesamtkunstwerks namens Pension F. jedoch irrelevant. Der Vorschlag der Drittelung kommt vom Theaterteam selbst. Maria Düchler, Akkordeonistin der Pension-F.-eigenen Kapelle DIE RANDKRUPPE, beschreibt die drei Akte des Gesamtwerks so: Der erste Akt, quasi der Hauptakt des Spektakels, ist die unglaublich dichte Berichterstattung der Medien über ein Stück, das zu diesem Zeitpunkt noch niemand lesen hätte können. Scheinheilig warnten die Revolverblätter vor einer Inzestkomödie, die die Opfer des Amstettner Familienvergewaltigers J. Fritzl ein zweites Mal zu Opfern mache, als ob nicht ihre Paparazzi-Berichte die Opfer schon zigfach verhöhnt und symbolisch ausgebeutet hätten. Der zweite Akt ist die Premiere der Revue, die wir hier spielen. Der Saal ist voller Menschen, die ihre Filmkameras, Fotoapparate, Mikrophone und Handys auf die Theatercrew richten. Normales Publikum ist kaum anwesend, nur von den Chefredakteuren geschicktes, aus allen Ecken Europas und von jenseits des Ozeans. Der dritte Akt ist die Normalität der Aufführungen nach der Premiere. Selbst angemeldete Fernsehteams verzichten aufs Erscheinen, weil sie endlich wahrgenommen haben, dass es in der Revue um sie geht, um ihre Quotengeilheit, und nicht um die weltbekannte Monster-Familie aus Amstetten. Hubsi Kramar hätte nichts Besseres inszenieren können, um die Massenmedien vorzuführen, als diese reale Abwesenheit trotz Pressekartenreservierung.

Kramar widerspricht öffentlich, in seiner Rolle als Conferencier seiner Revue. Er könne sich was Besseres vorstellen, um die Quotengeilheit der Massenmedien zu entlarven. Er könne in Mariazell, einer beliebten Destination schwuler Ex-Bischöfe, die Hochzeit des Jahrhunderts inszenieren. Fritzl heiratet die Kampusch. Der Korrespondent der deutschen Bild-Zeitung bauscht diese Bemerkung des Conferenciers gleich zu einer theatralischen Faktizität auf: In einer weiteren Szene feiert Natascha Kampusch mit Josef F. im katholischen Gnadenwallfahfrtsort Mariazell Hochzeit. Die dazugehörende Bild-Schlagzeile: WIDERLICH! ÖSIS SPIELEN DAS DRAMA UM DIE FRITZL-KINDER IM THEATER NACH!

Diese Bild-Schlagzeile sei an Untergriffigkeit nicht zu überbieten, zetert der an Untergriffigkeit nicht zu überbietende Kronen Zeitungs-Kolumnist Jeannée. Nachdem er schon in einigen Kolumnen den ekligen Versuch des infolge lebenslanger Erfolglosigkeit desperaten Theatermachers namens Hubert Kramar negiert hatte, legte er sich nun mit seinen Bild-Kollegen an und zeigte der Crew des 3Raum-Anatomietheters, wie trashig Trash sein kann: Nicht die Ösis spielen das Amstettner Inzest-Drama im Theater nach, sondern der notorische Beschmutzer des schönen Ösi-Nestes, lehrte Jeannée die Piefke-Journalisten Mores. Kramars Stück sei in der Tat WIDERLICH, aber mit uns Ösis hat es nichts, aber schon gar nichts zu tun (KZ vom 26. 2. 2009). Ein auf drei riesige Screens übertragenes Jeannée-Interview zum Fall Hubsi Kramar und Josef F. gehört zu den Ausnahmeereignissen im Genre der Realsatire und zu den Höhepunkten in Pension F.

Kolumnist Jeannée als verkörperte Klammer zwischen 68 und 09

Der Aktionist Kramer, der Leben, Kunst und Politik wie kein anderer österreichischer Künstler ineinander fließen lässt, sieht sich darin in der Tradition des Aufbruchs von 1968. Als eine Art Verkörperung der Klammer zwischen 68 und 09 kann ich mir freilich das Krone-Faktotum Jeannée besser vorstellen als den Provokateur Kramar. Eine Klammer verändert sich nämlich nicht. Das Happening Kunst und Revolution vom 7. Juni 1968 vor rund 300 Zuschauern im Hörsaal 1 des Neuen Institutsgebäudes der Uni Wien, ausgeführt von den Aktionisten Günter Brus, Otto Muehl, Malte Olschewski, Peter Weibel und Oswald Wiener, fand in Jeannée, damals Jungjournalist der Kronen Zeitung, seinen radikalsten Kritiker. Noch heute ist das Happening als Uni-Ferkelei bekannt. Copyright: Jeannée.

Manchmal wird getanzt im Stück Pension F. (den Rhythmus gibt Tini Tramplers neue Band DIE RANDKRUPPE vor). Das Stück wird zur Party; dem Betrachter kommt sie wie das große Gelächter des Teams um Hubsi Kramar vor. Ein Gelächter nach dem Triumph über die Massenmedien, die gründlich vorgeführt wurden. Triumphe über Jeannée vor einem Publikum, das den Schreibtischtäter noch nie mochte, sind billig. Die wirklichen Triumphe sind solche wider die eigene Gemütlichkeit. Geeignet zur Selbstirritation ist z. B. die Fragestellung, ob die Massenmedien tatsächlich so konkurrenzlos meinungsbildend sind, wie von linker Medienkritik behauptet wird. Wenn man dem Kommunikationswissenschaftler Kirschhofer-Bozenhardt glaubt, ist die These, dass die Menschen von Medien wie der Kronen Zeitung gegängelt und gelenkt werden können, eine erstaunlich zählebige Legende. Er verweist auf eine Studie, die der von den Nazis vertriebene Wiener Sozialwissenschaftler Paul Lazarsfeld in den 40er Jahren in den USA durchgeführt hat. Der zentrale Befund lautet, dass das gesamte Angebot der Massenmedien selektiv wahrgenommen wird. Die Menschen holen sich aus jeder Form von Nachrichtenmaterial Bestätigungen für ihre bereits vorhandenen Orientierungen, lautet die These, die die Manipulationsmacht der Massenmedien relativiert.

Kraliceks Freude über den ausbleibenden Applaus war zu früh

Im Sinne von Karl Kraus verdienten vor allem die liberalen Medien beziehungsweise die so genannten Qualitätsblätter die Aufmerksamkeit der Medienkritik. Wie würde sich Kraus zur heutigen Presselandschaft äußern? Würde er Kramars Leidenschaft im Kampf gegen den Boulevard teilen? Sicher ist, dass er sich nicht mit Peanuts abgeben würde, sondern seine Kritik erst bei jenen so genannten Qualitätsblättern ansetzen würde, deren vorgebliches Niveau sich hierzulande aus der Distanz zur Kronen Zeitung ableitet, notiert Richard Schuberth in seinem Buch 30 Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus. Vor allem die Chefredakteure, Leitartikler und Feuilletonisten von Standard und Falter würden in ständiger Angst vor der Beobachtung durch eine wieder auferstandene Fackel leben, meint Schuberth.

Warum richten die Flaggschiffe der Liberalität in den heimischen Mediengewässern ihre Rohre auf Kramar und seine Methoden der künstlerischen Intervention?

Was lässt den Falter-Kritiker Kralicek von dramaturgischer Planlosigkeit und von der Fehlbesetzung der Rolle des zynischen Zeremonienmeisters durch Kramar jammern? Wenn Kralicek den schütteren Schlussapplaus bei der Premiere als Bestätigung seiner Kritik anführt (Falter 9/09), reiht er sich in die unfreiwilligen Beitragspender von Realsatire ein. Denn zuvor hat er ja zugegeben: Bei der Premiere sind fast nur Journalisten da. Tatsächlich waren fast alle Plätze von MedienvertreterInnen besetzt. Warum sollten sich die Leute, gegen die sich das Stück richtet, mit tobendem Applaus dafür bedanken? Was bewegte die KritikerInnen der angesehenen deutschen Zeitungen zu gegenteiligen Positionen? In den Vorführungen nach der Premiere dominierte ein Publikum, dem man über die menschenrechtsverletzende Quotengeilheit der Krone und der TV-Sender nichts qualitativ Neues sagen kann. Das aber aus Mangel an Alternativen die liberalen Blätter immer noch für das Äußerstmögliche an kritischem Geist (Schuberth) hält.