Kündigungsfrist: zwei Wochentun & lassen

Wohnen und Asyl

Überteuerte Groß-WGs, Deutschkenntnisse, illegale Provisionen –  für Asylsuchende ist es besonders schwierig, eine halbwegs gute und vor allem leistbare Bleibe zu finden. Wie der Wohnungssektor in der Realität funktioniert, hat Gregor Stadlober recherchiert.

Foto: Mario Lang

Zu Silvester 2015 endete die Zeit der sogenannten Willkommenskultur. Die gesellschaftlichen Luken konnten nach den Übergriffen vor dem Kölner Dom «guten Gewissens» dicht gemacht und die Türen buchstäblich geschlossen werden. «Bis Anfang 2016 waren wir eher mit der Verteilung von Wohnraum und mit Einzugsmanagement beschäftigt», erzählt Elisabeth Jama, die Leiterin der Wohnberatung des Flüchtlingsdiensts der Diakonie, «aber dann ist das gekippt und seither immer schlechter geworden». Nicht nur die Bereitschaft, Wohnungen zur Verfügung zu stellen, ist geschwunden, gleichzeitig hat sich auch die Marktsituation insgesamt verschlechtert. Haben die Mitarbeiter_innen der Wohndrehscheibe der Volkshilfe aus den Annoncen für Kleinwohnungen vor fünf Jahren noch jede Woche 60 Angebote gefiltert, die für einkommensschwache Menschen in Frage kommen, sind es jetzt nur mehr 30 – und die sind um ein Drittel teurer als damals.

Die Folge sind Mietwucher, illegale Provisionen, Ablöse für leere Wohnungen, Besichtigungstermine um 300 Euro pro Wohnung und so weiter. In der Startbegleitung von Interface wurde deswegen eine eigene Stelle für solche Fälle geschaffen. Deren typisches Muster kennt Susanne Erian, die zuständige Mitarbeiterin, so gut, dass sie ihre Klient_innen gelegentlich damit verblüfft, ihnen zu antworten, noch ehe die Dolmetscher_innen die Frage übersetzt haben. Auch ihr jetziges Gegenüber Youssef* bestaunt sie deshalb wie eine Magierin. Dabei spricht Erian kein Wort Arabisch, sie weiß einfach aus Erfahrung, an welcher Stelle welche Fragen oder Informationen kommen.

Leidige Mieten. Youssef und seine Familie haben eines Tages aus heiterem Himmel einen Räumungsbescheid erhalten, obwohl sie die Miete immer bezahlt hatten – allerdings an den Hauptmieter und nicht an den Besitzer. Das hat so lange funktioniert, bis der Hauptmieter aufgehört hat, die Miete weiterzugeben. In solchen Fällen verhandelt Susanne Erian mit den Besitzer_innen, um die Familie in den Vertrag zu bekommen, während der oder die Hauptmieter_in hinausgeklagt wird. Sie ist Case Managerin, was bedeutet, dass sie Klient_innen mit Wohnungsproblemen in allen Belangen so lange betreut, bis sie nicht mehr gebraucht wird. Also bei Bedarf auch noch bei Problemen mit der Gastherme in der nächsten Wohnung.

Jetzt füllt sie mit Youssef die Selbstauskunft aus, die er für den Antrag auf Beistellung eines oder einer Dolmetscher_in braucht, weil er und seine Frau als Beklagte vor Gericht erscheinen müssen: Haben Sie ein Auto? Nein. Lebensversicherung? Nein. Rechtsschutz? Nein. Hat jemand Schulden bei Ihnen? Nein! Wie viel Geld haben Sie? 130 Euro. Wie viel Geld hat Ihre Frau? Null! Null!! Null!!!

Gesetze.

Viele Leute in ähnlichen Situationen mäandern wie diese Familie am absoluten Existenzminimum entlang. Das macht Stress und verbindet sich mit der psychisch ohnehin schon sehr belastenden Situation der meisten Betroffenen.

«Der Haupthintergrund der Wohnproblematik ist, dass die Wohnintegration gesetzlich nirgends verankert ist», sagt Susanne Schaidinger, die Leiterin der Startbegleitung. «In der EU-Richtlinie, im Asylgesetz, im Integrationsgesetz geht es fast überall ausschließlich um Existenzsicherung, Sprache und Arbeit, aber nicht um Wohnversorgung. Das heißt, es gibt nirgends eine gesetzliche Verankerung, dass Asylberechtigte in der ersten Zeit grundsätzlich einmal mit Wohnraum stabilisiert werden sollen.» Ohne diese Basis würden aber die geforderten ‹Integrationsleistungen› wie Jobsuche und Deutschlernen immens erschwert werden.

Wer zu einer der Beratungsstellen kommt, wird zu einem Workshop eingeladen, in dem er oder sie die Basics für das Verhalten am Wohnungsmarkt lernt. Die wichtigsten lauten: alles schriftlich geben lassen und nichts unterschreiben, ohne es vorher dem Betreuer oder der Betreuerin gezeigt zu haben. Viele Leute kommen jedoch erst, wenn es zu spät ist, oder sie ignorieren in ihrer Not die Ratschläge, weil die Vermieter_innen Druckmittel im Stil von ‹Wenn du nicht sofort unterschreibst, ist die Wohnung weg› anwenden.

Gesicht wahren.

Speziell Männer, die gerade erst Asyl bekommen haben und dann möglichst schnell ihre Familien nachholen wollen, stehen unter hohem Druck und verschulden sich für dubiose Verträge, um den Familien ein erbärmliches Ankommen zu ersparen, erklärt Elisabeth Jama. Dabei gehe es oft auch darum, das Gesicht zu wahren. Diese Männer haben noch nicht die Möglichkeit gehabt, Geld für Kaution etc. anzusparen, und können sich eine Wohnung eigentlich nicht leisten; aber sie wollen verhindern, dass die vermeintliche ‹Zusammenführung› nach oft jahrelanger Trennung bedeutet, dass die Familien in ein Quartier ziehen müssen, wo die Männer bestenfalls Besuchsrecht haben, während sie selbst weiter in einer Art Groß-WG hausen.

Bei diesen WGs handelt es sich um eine verbreitete Wohnform alleinstehender Männer. Sie funktioniert nach einem weitgehend standardisierten Schema: 250 Euro pro Monat für ein Bett im Viererzimmer mit Meldezettel; 200 Euro ohne Meldezettel (weil nicht unbegrenzt viele Personen in einer Wohnung leben dürfen, in diesem Fall muss man den Meldezettel um 50 bis 80 Euro zumieten); 300 bis 350 Euro für ein Bett im Zweierzimmer; fallweise 25 Euro Aufschlag für die Unterschrift des oder der Vermieter_in auf die Zahlbestätigung, die man für das Wohngeld braucht; Kündigungsfrist: zwei Wochen. Asylwerbende sind, wenn sie privat wohnen wollen, auf dieses System angewiesen, weil sie sich mit ihren monatlich 365 Euro aus der Grundversorgung nichts anderes leisten können. Anerkannte Flüchtlinge, die Mindestsicherung beziehen, könnten sich ‹echte› WG-Zimmer leisten, aber dieser Markt ist gleich angespannt und nicht weniger diskriminierend als der für Wohnungen, sodass es ein seltener Glücksfall ist, ein Zimmer zu bekommen, wenn man keine österreichischen Freund_innen hat, die persönlich vermitteln.

Auf dem freien Wohnungsmarkt hat sich das Verhältnis von Anbieter_in zu Kund_in in eines von Prüfer_in zu Geprüftem/Geprüfter verwandelt. Ohne Lohnzettel hat man da kaum eine Chance. «Aber selbst wenn das erfüllt ist, heißt es vom Makler regelmäßig: ‹Ja, ich würde eh gerne, aber die Besitzer wollen keine Ausländer›», schildert Alexandra Adam, die Leiterin der Wohndrehscheibe. Es komme auch vor, dass der Lohn dann leider genau um 100 Euro zu niedrig wäre für die Wohnung, oder wenn jemand gerade zu arbeiten begonnen habe, sollten dann auf einmal sechs Lohnzettel statt drei vorgelegt werden. Das gehe so weit, dass Makler_innen die Kund_innen einer regelrechten Deutschprüfung unterziehen, weil das angeblich die Besitzer_innen fordern. «Manche Migranten glauben, es gibt in Österreich ein Gesetz, dass man als Mindestsicherungsbezieher keine Wohnung mieten darf.»

Die Diskriminierung sei aber in erster Linie als Symptom zu sehen, meint Adam, die Krankheit sei das fehlende Angebot. Die Knappheit an Wohnraum und günstigem Baugrund sei ein Problem, das sich seit mindestens 10 Jahren abgezeichnet habe, aber es wurde nichts dagegen unternommen. Die einzige Schraube, an der man realistischerweise drehen könne, seien die Befristungen. Die müssten dringend abgeschafft werden, damit nicht ständig Wohnungssuchende auf den Markt gespült werden. Für die Mieter_innen ist die Befristung stressig und teuer – sie werden aus ihrem Umfeld gerissen, müssen wieder suchen und wieder Provision zahlen; für die Besitzer_innen ist es lukrativ, sie können alle drei, vier Jahre den Preis erhöhen. Das Gesetz sieht zwar einen 25-Prozent-Preisabschlag bei befristeten Verträgen vor, der wird aber laut einer WIFO-Studie de facto nicht gewährt. Kein Wunder, ist doch das Allerschlimmste, was passieren kann, dass man die zu viel kassierte Miete wieder zurückgeben muss. «Und ausgerechnet die Schwächsten sind auf den teuren und diskriminierenden privaten Markt angewiesen, weil sie kaum Zugang zu Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen haben. Da spießt es sich gewaltig», kritisiert Adam. Die Stadt bemüht sich zwar und bietet auch einige Startwohnungen für Asylberechtigte (nicht aber für subsidiär Schutzberechtigte) an, aber das hilft nur einem kleinen Teil der Betroffenen.

Eine Frage der Zeit.

Über die Größenordnung des Problems lässt sich nur spekulieren, weil es dazu kaum (verfügbare) Zahlen gibt. Weder die Menge der betrügerischen Vermietungen noch die der Groß-WGs wird systematisch erhoben, und ohne Zahlenbasis lässt sich ein Thema schwer diskutieren. Vielleicht will man es aber auch nicht so genau wissen, weil dadurch ein Problem unter der Oberfläche bleibt, für das niemand eine bessere (und billige) Lösung weiß. Denn solange der graue Markt und Behelfslösungen innerhalb der Communities die weitverbreitete Wohnungslosigkeit kaschieren helfen, haben viele dann doch irgendwie ein Dach über dem Kopf. «Aber es ist nur eine Frage der Zeit», prognostiziert Elisabeth Jama, «bis Wien zu einer Stadt der Obdachlosigeit wird».

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